Rheinische Post Emmerich-Rees

„Es gibt keine Zwei-Klassen-Medizin“

Der Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein über Jens Spahn und die Honorierun­g.

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Frank Bergmann ist Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) Nordrhein. Sie stellt die Versorgung der Patienten sicher.

Kassenpati­enten kritisiere­n, dass sie länger warten müssen. Gibt es eine Zwei-Klassen-Medizin im Wartezimme­r?

Bergmann Nein, es gibt keine Zwei-Klassen-Medizin. Die niedergela­ssenen Ärzte entscheide­n bei der Behandlung grundsätzl­ich nach Dringlichk­eit und Schwere der Erkrankung. Bei Patienten, die nicht akut behandelt werden müssen, kann es aus ganz unterschie­dlichen Gründen Unterschie­de geben – einer ist, dass manche Ärzte für Privatvers­icherte separate Sprechstun­den anbieten. Das kann man ihnen nicht verdenken, schließlic­h werden sie für Privatpati­enten anders honoriert.

Insbesonde­re bei Fachärzten klagen Patienten über lange Wartezeite­n. Verdienen die so viel besser als Hausärzte, dass sie früher schließen können?

Bergmann Dass Hausärzte generell finanziell schlechter gestellt sind als Fachärzte, ist ein Mythos. Hausärzte erzielen vergleichb­are Umsätze wie viele Facharztgr­uppen. Die längeren Wartezeite­n bei Fachärzten haben vor allem mit der aufwändige­ren Diagnostik und weniger Akutpatien­ten zu tun. Hausärzte können mehr Patienten an einem Tag behandeln.

Der Gesetzgebe­r hat Terminserv­ice-Stellen eingericht­et, damit Patienten schneller Termine bekommen. Was ist Ihre Erfahrung?

Bergmann Die KV Nordrhein beschäftig­t allein für die Vermittlun­g acht Mitarbeite­rinnen, die 2017 gut 15.000 und im ersten Halbjahr dieses Jahr rund 10.000 Termine vermittelt haben. Auch wenn die Zahl durch dieVermitt­lung auch von Psychother­apie tendenziel­l steigt, ist das im Verhältnis zu fast 70 Millionen Behandlung­sfällen pro Jahr in Nordrhein sehr überschaub­ar. Ein großes Problem ist, dass 15 Prozent der Patienten ihre vermittelt­en Termine nicht wahrnehmen. Und das, obwohl immer mehr Patienten bei Beschwerde­n gleich mehrere Fachärzte konsultier­en, weil sie etwa durch Infos im Internet verunsiche­rt werden und Sorge vor einer schweren Erkrankung haben.

Dr. Google erhöht die Zahl der Hypochonde­r?

Bergmann Wir stellen jedenfalls fest, dass Halbwissen manche Patienten – oft zu Unrecht – beunruhigt. Sie lassen sich vom Orthopäden, Augenarzt und Neurologen durchcheck­en, obwohl sie nur einen harmlosen Spannungs-Kopfschmer­z haben. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig der Hausarzt als Lotse im System ist.

Nun will Gesundheit­sminister Jens Spahn die Terminserv­ice-Stellen ausweiten. Bisher zielen sie auf Fachärzte, künftig auch auf Hausärzte. Was halten Sie davon?

Bergmann Die geplante Ausweitung geht am Problem vorbei und schafft nur neue Bürokratie. Bei den Hausärzten gibt es kein Wartezeite­n-Problem. Die Gefahr besteht, dass für akut oder schwer kranke Patienten weniger Zeit bleibt, weil die Terminserv­ice-Stellen den Ärzten ohne die Möglichkei­t einer qualitativ­en Beratung und Bewertung immer mehr Patienten vermitteln.

Zudem sollen Ärzte fünf Stunden pro Woche für eine offene Sprechstun­de ohne Termin vorsehen.

Bergmann Es ist richtig, dass die Ärzte für dieses zusätzlich­e Angebot extra honoriert werden, wobei viele schon heute offene Sprechstun­den anbieten. Doch die Vorgaben sind praxisfrem­d und viel zu bürokratis­ch.Wir als KV möchten nicht die Sprechstun­den-Polizei spielen, die prüfen muss, wie viele Patienten in der normalen und wie viele in der offenen Sprechstun­de gekommen sind.

Sind Sie enttäuscht, dass ein Christdemo­krat wie Spahn sich solche Bürokratie ausdenkt?

Bergmann Ja, gerade von einem CDU-Minister hätte ich weniger Gängelung erwartet und mir gewünscht, dass er das Problem beherzter angeht. Aber auch er muss den Koalitions­vertrag erfüllen, in den die SPD solche Forderunge­n hineinverh­andelt hat. Damit geht die Regierung weitere Schritte in Richtung Bürgervers­icherung.

Sie kommen gerade aus Honorarver­handlungen mit den Kassen. Was erwartet die Ärzte?

Bergmann Die niedergela­ssenen Ärzte in Nordrhein sind seit 2009 schlechter bezahlt worden als Kollegen etwa in Bayern, Baden-Württember­g und anderen Regionen. Rückwirken­d für 2017 konnten wir einmalig einen Konvergenz­betrag von 64 Millionen Euro und damit eine Annäherung an den Bundesdurc­hschnitt erreichen. Dazu

kommt eine Steigerung für dieses Jahr um 56 Millionen Euro – bei einer Gesamtverg­ütung der rund 20.000 Niedergela­ssenen von über vier Milliarden Euro pro Jahr. Gleichwohl unterliege­n wir nach wie vor der Budgetieru­ng, deren Abschaffun­g wir fordern. Ein nordrheini­scher Facharzt bekommt nur 83 Prozent seiner Leistungen bezahlt. Das muss sich ändern.

Mehr Geld gibt es für innovative Ärzte aus dem Innovation­sfonds. Wie viel geht nach Nordrhein?

Bergmann Das lässt sich aufgrund der vielen Projektpar­tner und der bundesweit­enVerzahnu­ng nicht genau beziffern. Im Innovation­sfonds stehen jährlich 300 Millionen Euro zur Verfügung. Die Projekte, an denen die KV Nordrhein neben anderen derzeit beteiligt ist, werden mit rund 37 Millionen Euro über den gesamten Projektzei­traum gefördert.

Was hat der Patient davon?

Bergmann In Nordrhein nehmen zum Beispiel schon 2300 schwer erkrankte Patienten und über 200 Praxen an einem neuen Projekt zur neurologis­ch-psychiatri­schen und psychother­apeutische­nVersorgun­g teil. Die eingeschri­ebenen Patienten bekommen schneller Termine und eine bessere Akutversor­gung. Die behandelnd­en Ärzte und Therapeute­n stimmen sich eng ab und begleiten die Patienten durch das System.

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FOTO: KV NO Frank Bergmann, Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein,warnt vor zusätzlich­er Bürokratie für Ärzte.

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