„Ich gehe mit einem Auftrag“
Der Lehrer war die vergangenen 20 Jahre am Berufskolleg Kleve tätig. Nun geht er für drei Jahre an eine der zwei deutschen Schulen in Istanbul. Ein Gespräch über die Gründe für diese Reise.
KREIS KLEVE/ISTANBUL Karl Schmidt machte 1984 sein Abitur in Paderborn und im Anschluss seine Kochausbildung im Steigenberger Parkhotel in Düsseldorf. 1989 studierte er Ernährungswissenschaften und Chemie auf Lehramt in Bonn. Nach Zwischenstationen an einer Realschule und einem Berufskolleg in Düsseldorf wechselte er 1998 an das Berufskolleg Kleve. In den vergangenen 20 Jahren unterrichtete er dort vorrangig Köche, später auch die Schüler der gymnasialen Oberstufe in Ernährungslehre und Chemie. In den vergangenen Jahren engagierte er sich für einen Schüleraustausch nach Island und Skandinavien. Dort entstand auch sein Wunsch, selbst ins Ausland zu gehen. In der letzten Augustwoche flog er nach Istanbul, dort leitet er in den nächsten drei Jahren an einem deutschen Gymnasium den Fachbereich Chemie. Begleitet wird er von seiner Frau Susanne Hendriks.
Herr Schmidt, wie kam es dazu, dass Sie nun nach Istanbul gehen?
Karl Schmidt Ich habe mich als Auslandsdienstlehrkraft (ADLK) beworben, dieser ganze Prozess hat ungefähr ein Jahr gedauert. Im Februar 2017 habe ich damit angefangen. Das geht im Beamtendienst über mehrere Stufen, über die Schulleitung und die Bezirksregierung Düsseldorf. In der Schule und in Düsseldorf musste ich je eine Prüfung ablegen. Dann bin ich bei der ZFA, der Zentralstelle für Auslandsschulwesen gelandet.
Was sind das für Prüfungen?
Schmidt Im Grunde genommen brauchte ich eine dienstliche Beurteilung. Dafür musste ich unterrichten und eine Konferenz leiten. Also Unterrichtsbeobachtung, Konferenzleitung und ein Kolloquium.
Also Dinge, die Sie ohnehin täglich machen?
Schmidt Ja, genau. Es ist natürlich aufwendig. Aber gut, das gehört einfach zum Geschäft.
Hat die ZFA dann festgelegt, dass Sie nach Istanbul gehen?
Schmidt Nein, nein. Als ich das Okay hatte aus Düsseldorf, habe ich mich initiativ in zwölf europäischen Städ- ten beworben. Das Problem ist, dass Auslandsschulen fast immer Gymnasien sind. Und da ich mit der Ernährungslehre im Ausland am Gymnasium nicht unterrichten kann, musste ich mich auf die Chemie konzentrieren. Deshalb brauche ich eine große Schule oder eine Funktionsstelle, etwa als stellvertretender Schulleiter. Dafür unterrichtet man zwölf Stunden weniger und mit zwölf Stunden Chemie komme ich an vielen Schulen unter, aber nicht mit 24. Ich hatte mich in Addis Abeba in Äthiopien beworben, in Bratislava in der Slowakei, dann in Izmir in der Türkei. Das hat aber alles nicht geklappt. Die haben dann aber gefragt, ob ich nicht Interesse an Istanbul hätte. Man landet prinzipiell in einer großen Datei und die Schulleiter können auf einen zugreifen. Von den Initiativbewerbungen habe ich aber fast gar nichts gehört. Wenn ich eine Antwort bekommen habe, dann war die negativ. Oder man hofft, dass irgendjemand auf einen in dieser Datei zugreift. Dann darf man höchstens dreimal begründet absagen, sonst ist man raus. Die wollen schon sehen, dass man sich nicht nur die Kirschen rauspickt. Stockholm ist so eine Schule. Die haben viele Bewerbungen. Da kommt man nur mit einer super Kombination unter. Chemie und Mathe etwa, mit Mathe wäre ich überall untergekommen. Das Angebot aus der Türkei habe ich Anfang Mai bekommen und zugesagt.
Wie lange wird der Aufenthalt in Istanbul?
Schmidt Wir Auslandsdienstlehrkräfte sind verbeamtet, wir unterschreiben Dreijahresverträge.
Danach können Sie nahtlos wieder in ihren alten Job zurück?
Schmidt Die Chancen stehen gut, wieder am Berufskolleg Kleve angestellt zu werden.
Sie werden in Istanbul also Chemie unterrichten?
Schmidt Ja, nur Chemie für 26 Stunden. Und ich bin dann Fachbereichsleiter für Chemie am Istanbul Erkek Lisesi, eine sechszügige Schule. Es gibt dort fünf Jahrgangsstufen: ein Einführungsjahr und dann noch mal vier Schuljahre. Wir sind insgesamt mit fünf Chemielehrern da.
Haben Sie schon mehr über die Schule erfahren? Warum gibt es in Istanbul überhaupt deutsche Schulen?
Schmidt Es gibt in Istanbul zwei deutsche Schulen, ich bin am Istan- bul Erkek Lisesi. Es gibt auch noch das Alman Lisesi. Das Erkek Lisesi ist eine türkische staatliche Schule mit deutschem Zweig. Die Schüler machen dort das türkische und das deutsche Abitur. Und das deutsche Abitur ist sehr hoch angesehen in der Türkei. Denn die Schüler dürfen mit der allgemeinen deutschen Hochschulreife anschließend in Deutschland studieren. Das Schulsystem in der Türkei ist dreigeteilt. Vier Jahre Grundschule, vier Jahre Volksschule. Alle Schüler machen nach der achten Klasse eine Prüfung mit maximal 500 Punkten. An das Erkek Lisesi kommt man mit 498 oder mehr.
Da ist aber nicht viel Luft nach oben.
Schmidt Am Alman Lisesi ist es genauso, der Schulleiter dort spricht von 4400 Bewerbern. Genommen werden 130 Schüler pro Jahr.
Also auch wenn Stockholm vielleicht noch beliebter sein sollte, scheint Istanbul ja nicht weit abgeschlagen zu sein.
Schmidt Genau. Das sind schon tolle Schüler, auf die freue ich mich sehr.
In wie weit spielt die aktuelle Türkeipolitik eine Rolle?
Schmidt Ich sage das immer wieder: Ich gehe mit einem gesellschaftlichen Auftrag und nicht mit einem politischen. Da muss man diplomatisch sein und sich sehr zurückhalten. Je näher es kommt, desto mehr Fragen stelle ich mir natürlich, aber im Grunde merkt man in der Stadt erstmal nichts davon. Wir waren schon zu Besuch dort, auch in der Schule und zur Wohnungssuche. Wir werden angehalten, uns rauszuhalten. Ich habe den Vorteil, Chemie und nicht Politik zu unterrichten. Wir wurden auch imVorbereitungskurs darauf hingewiesen, nicht auf dicke Backe zu machen. So nach dem Motto: Nur wir haben das wahre demokratische System. In vielen Ländern ist das einfach anders, es gibt 140 deutsche Schulen weltweit. Da muss man mit sehr viel Fingerspitzengefühl rangehen. Ich denke, dass ich das kann.