Landvermesser dreht sich im Kreis
Jan Philipp Glogers geglückte Bühnenfassung von Kafkas „Schloss“.
DÜSSELDORF Ständig muss Moritz Führmann als Landvermesser K. hohe Bretterwände erklimmen. Auch am Boden gibt es für ihn viel zu tun in Jan Philipp Glogers Dramatisierung von Kafkas unvollendetem, rätselhaftem Roman „Das Schloss“. Die Premiere im Central des Düsseldorfer Schauspielhauses wurde eine zweieinhalbstündige Sinnsuche, die sich auf Christof Hetzers variabler Bühne und in den Köpfen des Publikums ereignete und natürlich ergebnislos blieb, nachdrücklich beklatscht. Glogers Kafka ist ein Kafka aus dem Geiste Samuel Becketts.
Immer wieder kreist die Drehbühne und mit ihr das Ensemble aus Bretterwänden. Am Anfang stehen sie noch still und bilden eine Front. Aha, das Schloss, denkt man. Doch rasch gerät diese Gewissheit wie auch alle anderen in Zweifel. Das vermeintliche Schloss scheint ein Aufenthaltsort der Bediensteten zu sein, die im nahen Dorf zu Hause sind. Nach der Pause formieren sich die Bretterwände zu einzelnen Baukörpern, und man fragt sich, ob nicht doch das Schloss gemeint ist. Denn Kafka hat es so beschrieben. „Das Schloss“schildert den vergeblichen Kampf des Landvermessers K. um Anerkennung seiner Existenz durch ein geheimnisvolles Schloss und dessen Vertreter – so nüchtern lässt sich der Inhalt beschreiben. Regisseur Gloger macht daraus ein turbulentes Spiel mit lebhaften Figuren, die undurchsichtig wirken. Sie agieren zwischen zwei Polen: dem Landvermesser, der Einlass ins Schloss begehrt und sich davon die Erfüllung seines Lebens erhofft, und einem, der im Verzeichnis der Mitwirkenden nicht vorkommt, weil er unsichtbar bleibt: Klamm, einem hohen Schloss-Beamten.
Moritz Führmann spielt den Landvermesser als einen, dem im Umgang mit Menschen jedes Mittel recht ist, um sein Ziel zu erlangen: ein Gespräch mit Klamm, den Eintritt ins Schloss, eine Existenz, die nicht ständig in sich zusammenzufallen droht. Deshalb geht er mit Frieda (Tabea Bettin), Klamms angeblicher früheren Geliebten, ein Verhältnis ein, deshalb sucht er auch die Wirtin (Claudia Hübbecker) auf seine Seite zu ziehen, ebenso den Vorsteher (Thomas Wittmann). Doch er gelangt nicht ans Ziel, es bleibt ein Warten auf Godot.
So statuarisch wie bei Beckett geht es bei Gloger nicht zu. Er lässt sein Bühnenpersonal klettern, schreien und einander zu Leibe rücken, überall herrscht Bewegung – eine großartige Ensemble-Leistung. Die hat ihre Entsprechung in den Dialogen. Alles klingt vorläufig, beruht auf Vorbehalten, könnte stimmen oder auch nicht. Man hätte das Stück da enden lassen können, wo Akten über K. auf die Bühne fliegen und abgeholt werden, Licht aus. Doch Gloger lässt das Spiel der Ungewissheiten noch einmal aufflammen. Zeit zum Nachdenken, was K.s Klimmzüge bedeuten: vergebliche Suche nach Heilsgewissheit? Ohnmacht gegenüber einer undurchschaubaren Bürokratie? Revolte gegen die Welt der Väter? Der Regisseur folgt Kafka, hat nichts hinzugedichtet und überlässt dem Publikum die Deutung seiner hochästhetischen Regie.
Termine 17., 26. September, 4., 18. und 23.Oktober, 5. November.