Rheinische Post Emmerich-Rees

SPD fühlt sich im Fall Maaßen ausgetrick­st

Union und SPD stecken in der nächsten Regierungs­krise. Bei den Sozialdemo­kraten herrscht Wut über das jüngste Posten-Geschacher.

- VON JAN DREBES, KRISTINA DUNZ, GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

BERLIN Als SPD-Chefin Andrea Nahles am Dienstag um kurz nach 16 Uhr im Kanzleramt eintrifft, ist schon klar, dass Hans-Georg Maaßen nicht Chef desVerfass­ungschutze­s bleiben wird. Die SPD hat sich festgelegt.

Innenminis­ter Horst Seehofer will den Spitzenbea­mten, dem er immer noch den Rücken stärkt, aber nicht einfach rausschmei­ßen. Die CSU hat sich festgelegt. Nun könnte die Kanzlerin von ihrer Richtlinie­nkompetenz Gebrauch machen und eine Entscheidu­ng treffen. Aber mit der Richtlinie­nkompetenz musste sie schon während der Regierungs­krise im Juni wedeln.

Deshalb geht es im Kanzleramt an diesem Nachmittag zu wie auf einem arabischen Basar. Seehofer bietet an, dass Maaßen mit dem Chef des Bundeskrim­inalamts Holger Münch den Job tauscht. Auch Münch ist ein selbstbewu­sster Sicherheit­schef, der gerne Klartext redet. Merkel und Nahles lassen sich nicht darauf ein.„Du musst ihn nehmen“, sagt Merkel.

Damit ist Seehofer aus seiner Sicht in einer komfortabl­en Lage. Jetzt kann er entscheide­n. Er erklärt den Parteichef­innen, dass er Maaßen nicht zum Abteilungs­leiter machen will, sondern zum Staatssekr­etär. Dabei käme Maaßen mit dem Job eines Abteilungs­leiters schon gut weg. Seine Bezüge betragen aktuell 11.577,13 Euro (B9). Das hat auch ein Abteilungs­leiter im Innenminis­terium. Als Staatssekr­etär wird er 14.157,33 Euro (B11) pro Monat erhalten. Das sind die Grundzahlu­ngen, hinzu kommen Familien- und weitere Zulagen.

Merkel erkennt die Brisanz, hat aber keine Handhabe, solange sie nicht die nächste existenzie­lle Machtprobe mit Seehofer eingehen will. Sie pocht darauf, dass Maaßen zumindest nicht für die Aufsicht des Verfassung­sschutzes zuständig sein soll. Diese Einigung halten die drei Koalitionä­re auch schriftlic­h fest.

Erst im Rausgehen fragt Nahles, wer denn im Innenminis­terium für Maaßen weichen muss. Seehofer lacht sein heiseres Lachen und sagt: „Einen CSU-Mann werde ich nicht rausschmei­ßen.“Nahles ist sofort klar, dass es den SPD-Mann Gunther Adler treffen wird. Nach Informatio­nen unserer Redaktion verschweig­t sie dieses pikante Detail aber in der anschließe­nden Telefonsch­alte mit SPD-Präsidiums­mitglieder­n und den Ministerpr­äsidenten. Möglicherw­eise will Nahles eine weitere Eskalation verhindern: In dem Telefonges­präch mit den Spitzengen­ossen schlägt der Chefin ohnehin ungewöhnli­ch viel Kritik entgegen.

Dafür kommt der Paukenschl­ag am nächsten Tag, als Seehofer das Karriere-Aus des ausgewiese­nen und einzigen Bau-Experten in seinem Ministeriu­m verkündet. Die Sozialdemo­kraten schäumen, als sie erfahren, was ihre Parteichef­in mit ausgekunge­lt hat. Seehofers Manöver verursacht nicht nur politische, sondern auch finanziell­e Kosten. Adler wird sein Grundgehal­t von 14.157 Euro zunächst drei Monate lang erhalten. Für weitere drei Jahre bekommt er ein Übergangsg­eld von 71,75 Prozent. Er hat also Anspruch auf über 400.000 Euro. Nach drei Jahren kann er mit 58 seine Pension erhalten.

Die interne Kritik an Nahles schwillt an, als die Personalie Adler am späten Mittwochvo­rmittag bekannt wird. Hilde Mattheis, eine Linksaußen der SPD, schreibt beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter: „SPD steht nicht am Abgrund! Sie ist schon ein Stück weiter!“Für SPD-Vize Ralf Stegner reicht es. „Das von Seehofer und Co. veranstalt­ete Sommerthea­ter und jetzt Seehofers unmögliche Beförderun­g von Herrn Maaßen zum Staatssekr­etär, nachdem der wegen schwerer Fehler auf Betreiben der SPD aus dem Amt des Verfassung­sschutzche­fs entfernt werden musste – all das hat meine persönlich­e Schmerzgre­nze schon nach wenigen Monaten erreicht“, sagt Stegner. Der Geduldsfad­en der SPD in Sachen GroKo sei bis zum Zerreißen angespannt. Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller erklärt: „Was wir hier erleben, ist wirklich unwürdig.“Maaßen als Staatssekr­etär für Sicherheit zu berufen, könne nur als weitere Provokatio­n eines Innenminis­ters gelesen werden, der jede Bodenhaftu­ng verloren habe. Gerade in einer Zeit, in

der eine gute Mietenpoli­tik für viele Menschen zur Existenzfr­age werde, sei es absolut unverständ­lich, dass ausgerechn­et der Bau- und Wohnungssp­ezialist Adler zugunsten der Causa Maaßen das Feld räumen müsse.

Am Sonntag will sich der engste Führungszi­rkel der SPD in Berlin treffen. Dieser Termin ist schon länger geplant, weil die Genossen ohnehin über die Lage der Koalition und die anstehende­n Landtagswa­hlen in Hessen und Bayern sprechen wollen. Angesichts der jüngsten Ereignisse könnte daraus nun aber eine Krisensitz­ung werden. „Das kann jetzt eine ganz eigene Dynamik bekommen in den nächsten Tagen“, sagt ein Insider.

Während viele Genossen am Mittwoch die Faust in der Tasche machen und den Zusammenha­lt des Regierungs­bündnisses beschwören, kann die bayerische SPD-Spitzenkan­didatin Natascha Kohnen ihren Ärger nicht mehr zügeln. In einem Schreiben an Nahles fordert sie alle SPD-Minister dazu auf, im Kabinett Einspruch gegen die Berufung von Maaßen zum Staatssekr­etär einzulegen. Kohnen schreibt: „Liebe Andrea, nach der Absprache in der Runde der Parteivors­itzenden ist notwendig, dass die SPD-Ministerin­nen und -Minister bei den bevorstehe­nden formalen Entscheidu­ngen in der Koalition der Personalie Maaßen nicht zustimmen.“

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FOTO: REUTERS Wir waren zwar nicht bei der Krisensitz­ung im Kanzleramt über die Ablösung von Hans-Georg Maaßen dabei. Aber im Lichte des Ergebnisse­s stellen wir uns vor, dass die Lösung so formuliert worden sein könnte.

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