Rheinische Post Emmerich-Rees

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Es wäre wieder ein Junge gewesen, haben mir die Schwestern später gesagt.“„Gott, wie furchtbar!“Ich konnte Fräulein Maslow fast nicht verstehen, aber dann hörte ich, wie sie sagte: „Krieg. Was war da schon ein einzelnes Menschenle­ben wert?“

Ich hörte, dass Mutter aufstand. „Ich habe Ihre Eier ja noch gar nicht eingepackt.“

Es raschelte.

„Danke schön.“

Fräulein Maslows Geld klapperte auf dem Küchentisc­h.

„Und grüßen Sie Ihren Mann noch einmal schön von mir.“ gen an.

Die Frau sah aus wie eine Zigeunerin.

Wie die Zigeuner, die jedes Jahr gekommen waren und mit ihren bunten Wagen, ihren Pferden und ihrer flatternde­nWäsche ein paarWochen neben dem Friedhof kampiert hatten.

Dann war es immer ganz still im Dorf geworden. Weil die Kleinen nicht auf die Straße durften.

Ich war sowieso nicht auf die Straße gegangen.

Ich hatte gemütlich bei Omma oben im Haus gesessen. Von dort guckten wir immer durch die Fenster auf das Dorf hinunter, auf die Leute, die in der Nähe wohnten.

Auf Bertrams, deren Hof ein Stückchen hinter der Dorfgrenze lag und die deshalb nicht evangelisc­h sein mussten.

Wie die beiden großen Mädchen zur Schule in den Nachbarort gingen und wieder nach Hause kamen, Ina und Walburga.

Ina hatte kurze braune Locken wie meine Puppe, die deshalb auch Ina hieß.

Und wir schauten dem kleinen Norbert zu, wie er mit dem Dreirad auf dem Hof herumkurvt­e und mit seiner Schaufel den großen Ameisenhau­fen im Wall kaputt haute.

Aus dem Flurfenste­r konnten wir die Reimannfam­ilie beobachten, die in einer Holzbarack­e hinter unserem Garten gleich an der Landstraße lebte.

„Niemandsla­nd“, sagte Vater. „Irgendwann reißen die denen die Bude ab.“

Vater Reimann hatte ein rostiges Fahrrad mit einem Anhänger. Damit war er immer unterwegs, sammelte überall Schrott und schmiss ihn auf einen Haufen hinter der Baracke.

Hin und wieder kamen Männer mit dicken Autos und holten die Sachen ab.

Manchmal trank Vater Reimann zu viel. Dann lagen Fahrrad und Anhänger umgekippt auf der Straße und Reimann singend im Graben. Bis seine dicke Frau aus der Baracke getobt kam und ihn mit dem Teppichklo­pfer verdrosch. Dabei schimpfte sie so laut, dass wir oben in unserem Flur jedesWort hören konnten. Aber Omma verstand auch kein Platt.

Mutter Reimann trug immer Kittelschü­rzen ohne was drunter.

Sie hatte zwei große Töchter, die ich schön fand mit ihren langen Locken, den Stöckelsch­uhen und den engen Pullovern, aber Omma schüttelte immer nur den Kopf, wenn sie die Mädchen sah.

Ein paar kleinere Söhne hatten sie auch. Ich wusste nicht, wie viele, denn ich konnte sie nicht auseinande­rhalten. Sie sahen alle aus wie der Vater, klein, braun und dünn.

Es kam vor, dass die Polizei auftauchte und die Jungen abholte, weil keiner von denen zur Schule ging.

Dann wollte Omma nicht mehr gucken sondern lieber „Mensch ärgere dich nicht“spielen. Und wenn Männer mit dicken Autos kamen, die keinen Schrott kauften, sondern mit einer von den Töchtern hintenrum in die Baracke gingen, sagte Omma immer: „Lass uns zusammen ein Buch lesen.“

Aber eigentlich beobachtet­en wir das Dorfleben sowieso nicht so oft. Nur, wenn wir darauf warteten, dass einer nach Hause kam, Mutter, Vater oder Opa.

Und dann, in dem Frühling, bevor Omma starb, war auf einmal Tante Liesel da gewesen, mit Karl-Dieter und Dago und hatteWirbe­l gemacht, ob Omma auch gut versorgt wäre. Und als Omma auf den Tisch haute, nahm Liesel Mutter beiseite und redete heimlich mit ihr unten in der Wohnung.

Auch Onkel Maaßen kam und sprach mit Vater, draußen bei Opas Kaninchens­tällen. Auf Platt.

Und als sie gerade in Ommas Küche die Rindfleisc­hsuppe für das Sonntagses­sen kochte, sagte Mutter plötzlich zu mir: „Deine Puppe muss auch mal an die frische Luft. Und jetzt, wo du zuWeihnach­ten den schönen Korbwagen gekriegt hast . . . Fahr doch deine Ina mal ein bisschen draußen spazieren.“

Ich hatte auf Ommas Schoß gesessen und ihr beim Kartoffels­chälen geholfen und verstand nicht, was Mutter wollte. Aber Omma nickte.

Also trug Mutter den Korbwagen mit Ina nach draußen, und ich fuhr meine Puppe auf dem Schotterwe­g vor unserem Haus hin und her. Ich schaute immer wieder nach oben, aber Omma war an keinem Fenster zu sehen.

Dann kamen plötzlich Bertrams Mädchen von gegenüber gelaufen, und Walburga ging in die Knie und fragte: „Willst du mit uns spielen?“Sie hatte ihre Puppe dabei, aber es war keine „Echt Schildkröt“.

Mir wurde heiß, und ich wusste nicht, was ich sagen sollte – die waren doch schon groß.

Ina hielt mir einen Korb hin. „Wir haben unsere Puppenklei­der dabei.“

Da ließ ich den Wagen mit meiner Puppe einfach stehen und rannte ins Haus.

Meine Ina hatte zu Weihnachte­n einen Skianzug mit Mütze und Schal bekommen.

(Fortsetzun­g folgt)

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