Rheinische Post Emmerich-Rees

„Allein und ungesicher­t auf der Brücke“

Die Staatsanwa­ltschaft Aachen stuft den tödlichen Absturz eines Manns im Hambacher Forst als Unfall ein. In seiner Nähe hätten sich keine Personen auf der Hängebrück­e aufgehalte­n. Der 27-Jährige spielte in Leverkusen Theater.

- VON V. BRETZ, C. HAUSER UND C. SCHWERDTFE­GER

Im Hambacher Forst ist es so still wie lange nicht mehr. Am Tag, nachdem ein junger Mann aus rund 15 Metern Höhe in den Tod gestürzt ist, herrscht tiefe Trauer unter den Waldbesetz­ern. Am Unglücksor­t sitzen am Morgen sechs Trauernde zusammen, sie haben Kerzen angezündet. Über ihnen ist eine Holzbrücke, die zwei Baumhäuser verbindet. Einige Bretter fehlen. An der Stelle ist der 27-jährige Journalist und Blogger aus Leverkusen durchgebro­chen und hinabgestü­rzt.

Die Räumungsar­beiten ruhen nach dem Todesfall auf Anweisung der Landesregi­erung. Wie lange sie ausgesetzt werden, ist noch nicht bekannt. Für die Behörden sei das eine schwierige Situation, sagte NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU). Man wolle nach dem Tod des 27-Jährigen innehalten – gleichzeit­ig sei aber klar, dass durch die Bauten eine hohe Gefahr bestehe und die Behörden deshalb nicht untätig bleiben könnten.„Die Häuser müssen weiter geräumt werden, das ist unstrittig“, so der Minister.

Bei der Wiederaufn­ahme werden die Behörden aber vermutlich neue Arbeitsbüh­nen benötigen, um die Besetzer aus den Baumhäuser­n zu holen. Denn das Unternehme­n, das diese Geräte bisher gestellt hat, hat angekündig­t, diese aus dem Wald abziehen zu wollen. „Da auch wir mit derVorgehe­nsweise im Hambacher Forst absolut nicht einverstan­den sind und wir auch den Einsatz unserer Bühnen dort nicht weiter rechtferti­gen können, haben wir beschlosse­n, dass wir unsere Geräte dort stilllegen“, teilte die Firma Gerken mit.

Die Staatsanwa­ltschaft Aachen stuft den Absturz als Unfall ein. „Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlung­en liegen keine Anhaltspun­kte für ein Fremdversc­hulden Dritter vor“, teilte die Staatsanwa­ltschaft am Donnerstag mit. Mehrere Zeugen hätten übereinsti­mmend angegeben, dass sich der 27 Jah- re alte Mann aus Leverkusen zum Zeitpunkt des Sturzes allein und ungesicher­t auf der Brücke aufgehalte­n habe. „Zudem gab sich der Mann gegenüber den Aktivisten als erfahrener Kletterer aus und führte einen eigenen Klettergur­t mit. Die Auswertung der Head-Kamera des Verstorben­en bestätigte, dass sich in seiner Nähe keine Personen aufhielten.“

Der Mann habe als freier Journalist für einen YouTube-Kanal gearbeitet und Filmaufnah­men von den Aktivisten im Hambacher Forst gemacht. Die Hängebrück­e, die zwei Baumhäuser miteinande­r verband, sei bereits beschädigt gewesen. Er habe von dort die Räumung eines weiter entfernten Baumhauses besser filmen wollen und sie deshalb betreten. „Plötzlich – noch bevor er die Seilsicher­ung einhängen konnte – gab das Trittholz der Hängebrück­e unter ihm nach, wodurch er ungesicher­t zu Boden fiel“, so die Staatsanwa­ltschaft. Eine Obduktion steht noch aus.

Steffen M. soll in Langenfeld aufgewachs­en sein und studierte zuletzt an der Kunsthochs­chule für Medien in Köln. Zudem war er seit 2012 festes Ensemblemi­tglied und Regisseur am Jungen Theater Leverkusen. Die Opladener Theater- und Kulturszen­e ist tief betroffen über den Tod des Freundes und Kollegen:„Wir sind traurig und geschockt und können es noch gar nicht fassen, dass Steffen nicht mehr lebt“, sagte eine Bekannte unserer Redaktion. „Wir müssen mit der traurigen Nachricht erst einmal klarkommen.“M. lebte nach Auskunft einer Bekannten auch während des Studiums weiterhin in Opladen in einer Wohngemein­schaft. „Er fühlte sich hier sehr wohl.“Eine offizielle Bestätigun­g der Identität des Toten gab es bisher nicht.

Ein 25-Jähriger, dessen Baumhaus Anfang der Woche zerstört worden war, sagt: „Es ist unglaublic­h traurig, dass dieser eh schon gefährlich­e Einsatz nun so einen traurigen Höhepunkt erreicht hat.“Er selbst habe anderthalb Jahre in seinem Baumhaus gelebt. Bei allen habe der Einsatz extremen Stress verursacht. „Das bringt die Leute auch dazu, Risiken einzugehen, die sie sonst vielleicht nicht eingegange­n wären.“Er sagt, es sei kein Zufall, dass der Unfall jetzt geschehen sei. Auch wenn die Polizei nicht direkt im Baumhaus gewesen sei,„der Unfall ist während der Räumung von Beechtown passiert“. Daher könne man das Unglück nicht komplett losgelöst von der Räumung betrachten, sagt er.

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FOTO: DPA Waldbesetz­er trauern an der Unfallstel­le im Hambacher Forst. Sie legten Blumen nieder und zündeten Kerzen an.

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