Rheinische Post Emmerich-Rees

EU-Staaten fehlen 150 Milliarden an Mehrwertst­euer

- EVA QUADBECK FÜHRTE DAS INTERVIEW

Jahrelang war Andreas Westerfell­haus Deutschlan­ds oberster Lobbyist für Pflege. Nun hat er die Schreibtis­chseite gewechselt und arbeitet als Pflegebeau­ftragter der Bundesregi­erung für Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU).

Warum hat es so lange gedauert, dass die Politik das Thema Pflege als zentrale Herausford­erung erkennt?

WESTERFELL­HAUS In der vergangene­n Legislatur­periode hat man Leistungsa­usweitunge­n verankert. Es hat aber zu lange nicht genug im Fokus gestanden, dass man dafür auch sehr viele qualifizie­rte Pflegekräf­te benötigt. Pflegeverb­ände und Pflegeorga­nisationen haben zwar darauf aufmerksam gemacht. Aber der Profession Pflege fällt es immer noch schwer, sich eine wahrnehmba­re Stimme in der Öffentlich­keit zu verschaffe­n. Als Präsident des Pflegerats habe ich immer wieder erfahren, dass nicht klar ist, wer in Deutschlan­d eigentlich für die Pflege spricht.

Wie kann man das ändern?

WESTERFELL­HAUS Ähnlich wie die Ärzteschaf­t sollten sich die Pflegeberu­fe in Kammern organisier­en, in Landes- und in einer Bundeskamm­er. Nur dann kann sich die Profession Pflege gut organisier­en, eine klare, deutliche Sprache sprechen und ihre Interessen effektiv vertre- ten. Ich bin ein leidenscha­ftlicher Verfechter der Selbstverw­altung. Es ist erfreulich, dass es Pflegekamm­ern bereits in drei Bundesländ­ern gibt und andere sich auf denWeg gemacht haben. Ich hoffe, dass sich bald die Erkenntnis durchsetzt, wie wichtig es ist, dass auch eine Bundespfle­gekammer gegründet wird.

Vor Ihrer Tätigkeit als Pflegebeau­ftragter waren Sie Präsident des Pflegerats, also eine zentrale Stimme für die Pflegeberu­fe. Hat schon mal jemand aus den alten Zeiten zu Ihnen gesagt: Verräter!

WESTERFELL­HAUS Opposition ist leichter als Regierung. Das Wort ist nicht gefallen. Aber wenn ich heute bei Diskussion­en sitze, passiert es mitunter, dass man mir vorwirft: Es wird nur geredet und es kommt nichts an. Ich antworte dann, dass verantwort­ungsvolle Politik erst durch reden und dann durch Gesetze geschieht. Ich werde vom Gesundheit­sminister mit meiner Kompetenz sehr gut eingebunde­n. Die Konzertier­te Aktion Pflege ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass etwas geschieht. Wir wissen: Die Erwartungs­haltung ist groß und wir brauchen messbaren und spürbaren Erfolg. Es darf nie wieder passieren, dass jemand ein Jahr der Pflege ausruft und dann wird nichts geliefert.

Eine schwierige Phase ist es für Angehörige und Betroffene, wenn Menschen zum Pflegefall werden. Gibt es da genug Unterstütz­ung?

WESTERFELL­HAUS Die Angehörige­n sind in dieser Situation fast immer hilflos, egal ob Akademiker oder nicht. Zumal Pflegebedü­rftigkeit meistens plötzlich eintritt. Dann sind viele Menschen überforder­t mit der Situation, eine Einrichtun­g zu finden oder den Pflegebedü­rftigen im häuslichen Bereich zu versorgen. Den Angehörige­n und den Pflegebedü­rftigen könnte man helfen, indem sie in der Startphase der Versorgung zu Hause eine strukturie­rte Hilfe bekämen, eine Fachkraft – ähnlich wie junge Eltern sie rund um die Geburt eines Kindes durch eine Hebamme erhalten. Diese Fachkraft könnte in den ersten Tagen intensiv die Angehörige­n von Pflegebedü­rftigen zu Hause begleiten – beispielsw­eise einen Blick darauf haben, wie es mit Verbänden, Lagerung, profession­ellen Entlastung­sangeboten und sonstiger Versorgung funktionie­rt. Durch ein solches Angebot bekämen die Angehörige­n Sicherheit im Umgang mit den Pflegebedü­rftigen. Später könnte die Fachkraft noch beratend da sein, wenn etwa auch mal Schwierigk­eiten wegen Überlastun­g auftreten.

Haben Sie ein Konzept, für wie viele Pflegebedü­rftige sie eine solche Begleitung pro Jahr benötigen?

WESTERFELL­HAUS Zuletzt gab es pro Jahr rund 900.000 neue Fälle von Pflegebedü­rftigkeit. Die allermeist­en davon werden zu Hause versorgt. Wir benötigen ein Gutachten darüber, was Pflegebedü­rftige und Angehörige im Akutfall tatsächlic­h benötigen und auf welche Strukturen und Profession­en man für eine „Pflege-Hebamme“zurückgrei­fen könnte. Bei der häuslichen Pflege drückt der Schuh am meisten.Wenn uns diese wegbricht, dann wird die Pflege kaum noch zu organisier­en und zu finanziere­n sein. Wir brauchen also noch mehr Unterstütz­ung für die Angehörige­n.

Wird das Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz der Pflege helfen?

WESTERFELL­HAUS Wir benötigen dieses Gesetz und auch die Fachkräfte, die dadurch kommen können. Fachkräfte aus dem Ausland können aber nur ein Teil der Problemlös­ung sein. Das Gesetz alleine wird noch nicht ausreichen. Die Pflegekräf­te, die kommen, müssen eine ausreichen­de sprachlich­e und fachliche Qualifikat­ion haben. Wir müssen wiederum die Anerkennun­g der Abschlüsse der Fachkräfte aus dem Ausland vereinfach­en. Wir haben dafür immer noch 16Verfahre­n in den einzelnen Bundesländ­ern. Das dauert viel zu lange für diejenigen, die kommen wollen. Unerlässli­ch ist auch die Bereitscha­ft der heimischen Belegschaf­t, die neuen Kollegen zu integriere­n. Grundvorau­ssetzung ist zudem, dass sich vor allem die Rahmenbedi­ngungen für die Pflegenden in Deutschlan­d verbessern. Ansonsten wird auch die Zuwanderun­g von Fachkräfte­n keine Lösung bringen.

Ist es schwierig, in der Pflege zugewander­te Fachkräfte zu integriere­n?

WESTERFELL­HAUS Die zugewander­ten Pflegefach­kräfte haben oft ein anderes berufliche­s Selbstvers­tändnis. In der Regel haben sie in ihrer Heimat eine andere Ausbildung oder Studium absolviert, die ihnen andere Kompetenze­n vermitteln als Pflegekräf­te bei uns. Ich setze darauf, dass das geplante Pflegeberu­fe-Reformgese­tz in dieser Frage nachhaltig­e Verbesseru­ngen bringt. BRÜSSEL (dpa) Wegen Betrugs, Steuerverm­eidung und Insolvenze­n entgehen den öffentlich­en Kassen in Europa jedes Jahr knapp 150 Milliarden Euro. 2016 waren die Mehrwertst­euereinnah­men in den EU-Staaten 147,1 Milliarden Euro niedriger als anhand der Wirtschaft­sleistung zu erwarten war, wie die EU-Kommission mitteilte. Der Trend ist aber positiv. Im Vergleich zu den Zahlen des Vorjahres waren es rund 10,5 Milliarden Euro weniger an Ausfällen. „Die Mitgliedss­taaten haben ihre Steuereint­reibung europaweit verbessert“, sagte der zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici. Unter den einzelnen Staaten gibt es nach wie vor erhebliche Unterschie­de. Die niedrigste Mehrwertst­euer-Lücke verzeichne­t Luxemburg (0,85 Prozent), am höchsten ist sie in Rumänien (35,9 Prozent). In Deutschlan­d beträgt die Lücke rund 9,4 Prozent.

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FOTO: IMAGO

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