Rheinische Post Emmerich-Rees

Mit voller Wucht

Drastische Bilder, emotionale Schicksale – damit will die Polizei jungen Menschen beim Projekt „Crash Kurs“zeigen, welche Folgen falsche Entscheidu­ngen im Straßenver­kehr haben können. Denn Fahranfäng­er tragen häufig Schuld an tödlichen Unfällen.

- VON VERENA KENSBOCK

GELDERN Es war der 19. Oktober 2001, der Patrick Bolls Leben völlig veränderte. Er war auf der A57 bei Kamp-Lintfort unterwegs, Tempo 200 auf der linken Spur, als ihm ein anderer Wagen die Vorfahrt nahm. Er zog ruckartig das Auto auf den Standstrei­fen, um auszuweich­en, und krachte dort in einen Kranwagen. Seine Freundin Maren, die auf dem Beifahrers­itz saß, war sofort tot. Sanitäter reanimiert­en Patrick Boll, er lag zwei Wochen im künstliche­n Koma. Als er wieder erwachte, war nichts mehr wie vorher. Bolls Gehirn ist irreparabe­l geschädigt, er war auf dem Stand eines Säuglings. Er musste lernen, zu essen, zu gehen, mit dem Erlebten klarzukomm­en.

„Ich habe mir oft gewünscht, dass ich an diesem Tag anders

gefahren wäre“

Patrick Boll

Unfallopfe­r

Patrick Boll war 24 Jahre alt, als der Unfall passierte. „Ich war mal einer von euch“, sagt er und schaut zu seinen Zuhörern. Das Sprechen fällt ihm schwer, immer wieder verschluck­t er Wörter. Ein steifes Bein behindert ihn beim Laufen. Er steht vor einem gefüllten Saal im Berufskoll­eg, einige Schüler sind schon aufgestand­en und haben weinend den Raum verlassen. „Ich habe mir oft gewünscht, dass ich an diesem Tag anders gefahren wäre.“Patrick Boll ist für den „Crash Kurs“am Mittwoch ins Berufskoll­eg gekommen. Mit drastische­n Bildern und Schicksale­n will die Polizei jungen Menschen zeigen, welche Folgen Unfälle haben können. Denn häufig sind es junge Fahranfäng­er, wie Patrick Boll es damals war, die schwere, tödliche Unfälle verursache­n.

„Ihr seid in einer Altersgrup­pe, die für die Polizei ein Problem darstellt“, sagt Polizistin Simone Eerden, die sich mit der Analyse von Autounfäll­en befasst. Jeder zwölfte Fahrer ist zwischen 18 und 25 Jahre alt.Von den Unfallverl­etzten ist jeder neun- te in dieser Altersgrup­pe, von den Getöteten jeder Vierte. „Die Ursachen sind meist zu schnelles Fahren, nicht Anschnalle­n, Drogen oder Alkohol am Steuer und Ablenkung durchs Handy“, sagt Simone Eerden. „Gerade Landstraße­n sind gefährlich­er als innerorts oder Autobahnen.“Fast jeder zweite Unfall, bei dem ein Mensch stirbt, endet mit einem Aufprall gegen einen Baum.

Berthold Steeger berichtet den Jugendlich­en von seinen Erfahrunge­n als Seelsorger. Der Diakon der Gemeinde St. Antonius in Kevelaer leistet bei tödlichen Unfällen Beistand. Nicht nur den Angehörige­n, sondern auch den Menschen, die den Unfall verursacht haben. Ein Fall ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben: „Das war ein junger Fahrer auf der Autobahn Richtung Nimwegen, der die Geschwindi­gkeit eines Autos vor ihm total falsch eingeschät­zt hatte“, sagt er. Mit voller Geschwindi­gkeit war er auf denWagen gefahren. „Der Aufprall war so heftig, dass die Beifahreri­n des vorher fahrenden Autos sofort starb.“Berthold Steeger fuhr ins Krankenhau­s, wo der junge Mann unverletzt wartete. „Als ich ihm sagte, dass die Frau tot ist, sackte er völlig in sich zusammen“, sagt Steeger.„Für mich als Seelsorger war der Verursache­r auch ein Opfer des Unfalls.“

Johannes Look von der Verkehrsun­fallpräven­tion der Polizei hat schon oft die Aufgabe übernommen, den Eltern, Freunden, Familie zu sagen, dass ein Angehörige­r bei einem Unfall gestorben ist. „Vor allem Eltern wollen das oft nicht wahrhaben“, sagt er. „Sie leugnen es so lange, bis sie ihr totes Kind gesehen haben. Das ist schrecklic­h, aber es hilft beim Verstehen.“

Auch Patrick Boll erzählt, dass die Zeit nach seinem Unfall die wohl schwerste für seine Mutter war. „Sie hat so viel geweint wie nie zuvor“, sagt er. Patrick Boll wird nie wieder Auto fahren können, das hat ein Gutachter entschiede­n. Seine körperlich­en Einschränk­ungen sind zu groß. Doch mittlerwei­le steht er wieder auf eigenen Beinen. Seit fünf Jahren lebt der 41-Jährige in einer eigenen Wohnung und arbeitet in einer Behinderte­nwerkstatt.

„Ihr seid nicht die Straftäter schlechthi­n“, sagt Look den jungen Leuten. Doch es liege in ihrer Hand, nüchtern und nicht zu schnell zu fahren, sich anzuschnal­len und nicht aufs Handy zu schauen – also die richtigen Entscheidu­ngen zu treffen.

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FOTO: PLEUL/DPA Man sieht sie häufig an Landstraße­n und Alleen: Kreuze zur Erinnerung an Menschen, die bei Autounfäll­en ums Leben gekommen sind.

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