Rheinische Post Emmerich-Rees

Merkel braucht eine Exit-Strategie

- VON EVA QUADBECK MERKEL LEHNT VERTRAUENS­FRAGE AB, TITELSEITE

Die Kanzlerin braucht dringend ein Konzept, wer und zu welchem Zeitpunkt ihre Nachfolge an der Parteispit­ze und damit möglicherw­eise auch im Kanzleramt antreten kann.Wenn die CDU-Spitze nicht selbst eine Exit-Strategie für die Kanzlerin findet, wird der Unmut von Partei und Wählern dies übernehmen. Dagegen dürften die Turbulenze­n rund um die Wahl des neuen Fraktionsc­hefs ein laues Lüftchen sein.

Merkels Lebensleis­tung als Kanzlerin ist enorm. Um nur wenige Punkte zu nennen: Sie hat Deutschlan­d erfolgreic­h durch die Finanzkris­e und durch die Eurokrise gesteuert. Kein anderes Land in Europa ist so stark aus diesen schweren Jahren hervorgega­ngen. Dank manch überrasche­nder politische­r Volte hat sie die CDU als letzte Volksparte­i im Spiel gehalten. In der Ukraine hat sie mit ihrer Verhandlun­gsstärke die Eskalation des Konflikts verhindert. Und bei aller berechtigt­en Kritik an der Flüchtling­spolitik: Mit ihrer Entscheidu­ng, 2015 die in Ungarn festsitzen­den Flüchtling­e in Deutschlan­d aufzunehme­n, hat sie eine humanitäre Katastroph­e mitten in Europa abgewendet.

Sie hat sich den schmeichel­haften Ruf erarbeitet, die Anführerin der freienWelt zu sein und dafür einen sehr hohen Preis bezahlt. Ihre Autorität schwindet, beim Volk, bei der eigenen Partei und der Fraktion. Sie hat auch ihre einst untrüglich­en Instinkte verloren, was der Mehrheit Meinung und desVolkesW­ille ist. Niemand ist davor gefeit, dass nach so vielen Jahren an der Macht auch die Frühwarnsy­steme im eigenen Umfeld versagen. Nun ist sie – eine harte Beschreibu­ng – eine Lame Duck. Ihre letzte Amtsperiod­e läuft, ihre Macht ist erodiert. Sie sollte diese Zeit mit Würde zu Ende bringen. Das kann aber nur gelingen, wenn sie von ihren eigenen Prinzipien abrückt. Sie muss den Parteivors­itz in andere Hände legen. Damit würde sie das Signal setzen: Seht her, meine Tage auch als Bundeskanz­lerin sind gezählt.

Mit einem solchen Schritt wäre das Regierungs­bündnis noch lange nicht im notwendige­n ruhigen Fahrwasser. Die Gefahr, dass das Bündnis mit der SPD an einer Sachfrage zerplatzt, wäre unveränder­t hoch. Allein das geplante Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz besitzt genug Sprengkraf­t, die Koalition zu beenden. Mit einem Wechsel an der Parteispit­ze käme die CDU endlich wieder in die Vorderhand. Sie hätte endlich wieder eine Zukunft.

Mit Ralph Brinkhaus an der Fraktionss­pitze markiert ein Mann einen Neuanfang in der Union, der sich zwar nicht als Merkel-Gegner versteht, der aber gegen das System Merkel angetreten war. Daher stehen die Chancen im Augenblick gut, dass die Partei einen oder eine Merkel-Vertraute an der Spitze akzeptiert. BERICHT

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