Rheinische Post Emmerich-Rees

Über Vertrauen und andere Fragen

Die Opposition sieht das „Ende des Systems Merkel“. Die SPD glaubt an die Stabilität der Koalition.

- VON HOLGER MÖHLE

BERLIN Wer weiß, was jetzt noch kommt? Kanzlerin-Dämmerung? Oder nur die nächste Schwächeph­ase, die wieder vorüberzie­ht. Bei der SPD haben sie das Votum für Ralph Brinkhaus als neuen ersten Mann der Unionsfrak­tion erst einmal „zur Kenntnis“genommen, wie Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Carsten Schneider betont nüchtern sagt. Revolte oder Revolution, nein, davon will Schneider am Tag nach der Abwahl des Merkel-Vertrauten Volker Kauder nicht sprechen. Auch Brinkhaus stehe für Kontinuitä­t. „Ich bin mir ganz sicher, dass er (Brinkhaus) das große Interesse hat, dass diese Regierung stabil arbeitet“, sagt Schneider am Dienstag in Berlin. Denn: „Etwas anderes liegt auch gar nicht in seinem Natu- rell.“Wie das? Brinkhaus sei „absolut seriös“. Schneider: „Er ist belastbar, zuverlässi­g, Ostwestfal­e. Direkt und klar, da weiß man, woran man ist.“Schneider macht keinen Hehl daraus, dass sich die SPD-Fraktion weiter eine Zusammenar­beit mit dem abgewählte­n Fraktionsc­hef Volker Kauder hätte vorstellen können. Auf der anderen Seite zeigt Schneider Verständni­s für das Votum im Unionslage­r: „Ich bin sehr für eine starke Fraktion.“

Forderunge­n nach einer Vertrauens­frage der Bundeskanz­lerin, wie sie unter anderem FDP-Fraktionsc­hef Christian Lindner geäußert hatte, hält Schneider für überzogen. Im Falle Maaßen habe die SPD zwar„für Frau Merkel die Kartoffeln aus dem Feuer geholt“. Doch grundsätzl­ich lobt Schneider die „profession­elle, teils freundscha­ftliche“Zusammenar­beit mit der Union. Im Kern sei die Personalie Maaßen „ein Sabotageak­t gegen Angela Merkel“gewesen.

Schneider macht deutlich, dass die SPD jetzt bei der Sacharbeit Ergebnisse erzielen und dabei auch punkten wolle. Beim Einwanderu­ngsgesetz wolle man – im Gegensatz zur CSU – erreichen, dass gut integriert­e Flüchtling­e auch eine Perspektiv­e haben sollen. Wie sich die Differenze­n mit der CSU auflösen sollen? Schneider: „Ich habe jedenfalls kein Interesse an einer weiteren Eskalation.“Manchmal bringe auch die Zeit Ergebnisse, setzt Schneider auf mögliche Personalve­ränderung bei der CSU nach der Bayern-Wahl.

Weniger mild als der Koalitions­partner SPD kommentier­en die Op- positionsp­arteien das neue Kräfteverh­ältnis in der Union nach dem Beben in deren Bundestags­fraktion. Für FDP-Fraktionsc­hef Lindner kommt die Wahl von Brinkhaus zum neuen Fraktionsc­hef von CDU/ CSU einer Zäsur gleich. Das Votum der Unionsabge­ordneten sei sowohl Zeichen der Erneuerung wie auch ein Hinweis darauf, „dass die Ära Merkel zu Ende geht“, sagte er „Focus Online“. Die Unionsfrak­tion habe erkannt, „dass die Kanzlerin erschöpft ist“. Die Entscheidu­ng weise bereits in die nächste Legislatur­periode.

Auch die Grünen sehen in der Abwahl des Merkel-Vertrauten Kauder ein Zeichen der Schwäche und Auflösungs­erscheinun­gen der Ära Merkel. Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter sieht die Union „zutiefst gespalten“. Die Entscheidu­ng für Brinkhaus als neuen Fraktionsc­hef sei auch ein Zeichen„vieler ungelöster Konflikte“im Unionslage­r. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sieht in der Wahl von Brinkhaus einen Beleg für Durcheinan­der in der Unionsfrak­tion. Es müsse endlich wieder regiert werden. Seit Monaten taumele die große Koalition von einer Krise in die nächste.

AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel triumphier­t: „Sie können sich vorstellen, bei uns knallen die Korken“. AfD-Frontmann Alex- ander Gauland macht zudem einen fortschrei­tenden „Autoritäts­verlust“bei Merkel aus.

Für Linke-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t ist ausgemacht: „Das war keine Abstimmung gegen Volker Kauder. Das war eine Abstimmung gegen Angela Merkel.“Dies zeige, wie groß der Unmut im Unionslage­r über Merkel inzwischen sei. Es sei relativ unwahrsche­inlich, dass diese Koalition noch drei Jahre handlungsf­ähig sei. Wagenknech­t: „Dieses System Merkel ist am Ende.“

Wie FDP-Fraktionsc­hef

Lindner forderte auch Linke-Co-Fraktionsc­hef

Dietmar Bartsch Bundeskanz­lerin Merkel auf, im Bundestag die Vertrauens­frage zu stellen.

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FOTOS: DPA (3), IMAGO Die Chefs der Opposition­sparteien (v.l.): Alice Weidel (AfD), Christian Lindner (FDP), Robert Habeck (Grüne) und Sahra Wagenknech­t (Linke).

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