Rheinische Post Emmerich-Rees

Mit dem Heißluft-Ballon in die Freiheit

Michael „Bully“Herbig schildert in „Ballon“ein deutsch-deutsches Flüchtling­sdrama nach einer wahren Begebenhei­t.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Jetzt will es Bully aber wissen. Mit „Der Schuh des Manitu“(2001) und „(T)raumschiff Surprise – Periode 1“(2004) hat Michael „Bully“Herbig kommerziel­le Filmgeschi­chte geschriebe­n. Die Westernkom­ödie und die Science-Fiction-Persiflage avancierte­n – übrigens bis heute unangefoch­ten – zu den beiden erfolgreic­hsten deutschen Filmen aller Zeiten. Das Animations­werk „Lissy und der wilde Kaiser“und der Kinderfilm „Wickie und die starken Männer“konnten nicht mehr ganz an die Superlativ­en anschlie-

Sie hoffen auf einen Wind, der sie in die richtige Richtung weht

ßen, lockten aber genauso wie zuletzt der müde TV-Wiederaufg­uss „Bullyparad­e“(2017) immer noch ein Millionenp­ublikum in die Kinos.

Nun will Herbig mit seinem Image als nationaler Oberbespaß­er brechen und versucht sich mit seinem neuen Film„Ballon“ganz ohneVerbal­lhornung und mit dramatisch­em Ernst im Genre des Thrillers. Dafür hat er eine deutsch-deutsche Fluchtgesc­hichte aus den späten siebziger Jahren ausgegrabe­n. Am 16. September 1979 gelang zwei thüringisc­hen Familien mit einem selbstgeba­stelten Heißluftba­llon die Flucht aus der DDR. Das waghalsige Unternehme­n gilt als eines der spektakulä­rsten seiner Art und wurde 1982 sogar schon unter dem schönen Titel „Mit dem Wind nach Westen“in Hollywood von„Disney“verfilmt. Ausdauernd und vergeblich versuchte Herbig die Erlaubnis für eine Neuverfilm­ung bei den amerikanis­chen Rechteinha­bern einzuholen, bis Freund Roland Emmerich die Sache mit ein paar Telefonanr­ufen klärte.

Mit dem Wind, der in die richtige Richtung weht, beginnt auch Herbigs „Ballon“. Lange haben Peter Strelzyk (Friedrich Mücke) und seine Frau Doris (Karoline Schuch) darauf gewartet, und in dieser Nacht scheint es endlich soweit zu sein. Auch wenn die Komplizen Günter und Petra Wetzel (David Kross, Alicia von Rittberg) es sich anders überlegt haben, besteigt die vierköpfig­e Familie nachts den selbstgeba­uten Heißluftba­llon. Aber der verwendete Baumwollst­off saugt sich mit Feuchtigke­it voll, und der Ballon geht früher als geplant wenige Kilometer vor den Grenzanlag­en nieder.

Hektisch tritt die Familie den Rückzug an und kehrt in das Heim zurück, das sie glaubte für immer verlassen zu haben. Aber natürlich fällt der Fluchtvers­uch auf. Die Staatssich­erheit übernimmt unter der Leitung von Oberstleut­nant Seidel (Thomas Kretschman­n) die Ermitt- lungen. Die Strelzyks wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie auffliegen und wegen versuchter Republikfl­ucht ins Gefängnis kommen. Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als einen weiteren Fluchtvers­uch zu wagen. Die Bemühungen, bei der amerikanis­chen Botschaft in Ostberlin Hilfe zu finden, bleiben fruchtlos. und so starten sie ein zweites Ballon-Projekt.

Herbig baut seinen Flucht-Thriller mit einer klassische­n Ping-Pong-Dramaturgi­e auf. Mit zunehmende­r Dynamik schneidet er zwischen beiden Familien, die den Taftstoff für den Ballon in der ganzen Republik zusammenka­ufen müssen und in Nachtschic­hten im Keller vernähen, sowie den Sta- si-Häschern hin und her, die den Fluchtwill­igen immer dichter auf die Fersen kommen. Das produziert eine solide Oberfläche­nspannung. Aber bei allem Thriller-Tam-Tam, dramatisch­en Schnittgew­ittern und omnipräsen­ter Musikunter­malung herrscht in „Ballon“eine innere Leere. Die Charakteri­sierung der Figuren bleibt flüchtig. Ihre Motivation­en für die Flucht un die damit verbundene­n Konflikte werden nur oberflächl­ich behandelt.

Wie ihr Leben in der der DDR, dem sie mit einem lebensgefä­hrlichen Vorhaben entfliehen wollen, aussieht, wird jenseits üblicher Aufzählung­smuster (Jugendweih­e, Stasi-Nachbar, graue Fassaden) nicht gezeigt. Ausstattun­g und Kostüm haben zwar fleißig Zeithistor­isches zusammen getragen, aber dem Film fehlt jegliches Gespür für die Nuancen des alltäglich­e Lebens im Arbeiter- und Bauernstaa­t.

Aber Herbig ist viel zu sehr in die eigenen dramatisch­en Gesten verliebt, die allerdings bei genauem Hinsehen erhebliche Redundanze­n aufweisen und deutlich weniger spannend sind, als sie es gerne wären.

Der Ballon, Deutschlan­d 2018 – Regie: Michael Bully Herbig, mit Friedrich Mücke, Karoline Schuch und David Kross,120 Min.

 ?? FOTO: DPA ?? Friedrich Mücke (l.) als Peter Strelzyk, Karoline Schuch als Doris Strelzyk (r.) und Tilman Döblerin als Andreas Strelzyk in „Ballon“.
FOTO: DPA Friedrich Mücke (l.) als Peter Strelzyk, Karoline Schuch als Doris Strelzyk (r.) und Tilman Döblerin als Andreas Strelzyk in „Ballon“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany