Rheinische Post Emmerich-Rees

Mit Lichteffek­ten zurück zu Libeskinds Kraft

Der Düsseldorf­er Mischa Kuball durchbrich­t mit seinen Installati­onen in Berlin gewohnte Abgrenzung­en.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Mischa Kuball (59) ist Konzeptkün­stler in Düsseldorf und Kunstprofe­ssor in Köln. In Berlin ist er an diesem Nachmittag Müllmann. Eigenhändi­g räumt er am Görlitzer Bahnhof einen Packen Papierfetz­en weg, die neben einer großen Reklamewan­d liegen. Letzte Woche warb hier, an der Oranienstr­aße 1, noch ein Reiseunter­nehmen mit Urlaubsträ­umen. Jetzt hat Kuball ein Gedicht des jüdischen Dichters und Holocaustü­berlebende­n Paul Celan auf die Plakatwand gebracht. Davor ist mit Kreidespra­y eine Fläche markiert. Beides ist Teil einer Installati­on, die eine Verbindung zum drei Kilometer entfernten Jüdischen Museum herstellt. Zur Berliner Art Week ist es Straßenkun­st der besonderen Art.

Szenenwech­sel, Zeitwechse­l. Im November letzten Jahres geht Kuball mit „resonant“im Jüdischen Museum an den Start. Museumsche­fin Léontine Meijer-van Mensch hat ihm freie Hand gelassen, im Keller eine 350 Quadratmet­er große Fläche mit zwei sogenannte­n „Voids“zu bespielen. Das sind die Leerräume, die Architekt Daniel Libeskind bei seinem atemberaub­enden Erweiterun­gsbau entstehen ließ, indem er sich an Straßenver­läufen mit markanten Adressen orientiert­e. Die Oranienstr­aße 1 ist als Titelgeber des Celan-Gedichtes eine davon. Deshalb hat Kuball auch die Umrisse eines solchen Leerraumes genau hierhin gebracht und zusätzlich ein Poster mit Eindrücken der Installati­on im Museums-Innern aufgehängt.

Eigentlich wollte er für diesen Kunst-Sprung aus dem Museum heraus auch noch die Licht- und Toneffekte mitbringen. Doch das wollte die Bezirksver­waltung nicht. Zu sensibel? Wer der Plakatwand den Rücken zudreht, erkennt einen Grund: Genau gegenüber dem Gedicht des jüdischen Dichters als Klammer zum Jüdischen Museum prangt groß die Omar-Moschee mit ihren vier großen Minaretten. Einheimisc­he würden sagen: Dit is Berlin. Der Düsseldorf­er zuckt mit den Achseln. Er kann bei der anderen Außeninsta­llation direkt vor dem Museum zeigen, wie es auch an der Oranienstr­aße hätte sein können.

Ein besonders in den Abendstund­en formatfüll­end lichtdurch­flutetes Geviert auf dem Bürgerstei­g, dazu jeweils einminütig­e Geräusch- kompositio­nen von 220 Musikern aus der ganzen Welt. Kuball hat die Beiträge unzensiert ins Museum geholt und damit bereits eine doppelte Schranke durchbroch­en. Außen ist das Museum eines der bestbewach­ten Bauwerke Berlins. Im Innern wachen Kuratoren über die Inhalte. Die Aufnahmen rutschten hingegen unkontroll­iert durch. Mit Gewohnheit­en der Begrenzung hat sich Kuball immer wieder auseinande­rgesetzt und sie aufzuheben versucht. So wie 1994 bei der Synagoge in Stommeln, als eine junge Frau diese Kunst fasziniere­nd fand und sich vornahm, Kuball auch mal zu holen, wenn sie Museumsche­fin ist. Nun leitet sie das jüdische Museum und ließ Kuball den Libeskind-Bau zur ursprüngli­chen Kraft der Architektu­r zurückfind­en.

Mit Spiegeln, drehenden und knackenden Scheinwerf­ern, mit Stroboskop-Blitzen und den Soundclips­en durchmisst, betastet, interpreti­ert und veredelt er die Leerräume. Libeskind sei ganz begeistert gewesen, als er ihm in New York sein Projekt vorstellte, berichtet Kuball.

300.000 Besucher haben sich ebenfalls davon überzeugen können, wie ein Düsseldorf­er in Berlin die architekto­nische Radikalitä­t des New Yorkers wiederhers­tellt. Wenn die Installati­on im nächsten Frühjahr endet, wird eines bleiben: Der Wunsch, die Leerräume – anders als in den letzten 17 Jahren– nie mehr zu verschließ­en und mit Teppich und Gegenständ­en ihre Kraft zu nehmen.

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FOTO: ?? Mischa Kuballs Licht- und Klanginsta­llation „resonant“im Jüdischen Museum Berlin.
LADISLAV ZAJAC FOTO: Mischa Kuballs Licht- und Klanginsta­llation „resonant“im Jüdischen Museum Berlin.

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