Nach der Hessen-Wahl wird abgerechnet
Der Deutschlandtag der Jungen Union wird zum Schaulaufen für die Zeit nach Merkel. Vor allem Jens Spahn und Annegret Kramp-Karrenbauer werden aufmerksam beäugt. Am stärksten begeistert die Halle aber ein anderer.
KIEL Dieses praktische Geschenk hat jeder von ihnen bekommen. Der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak, überreicht den quietschgelben Regenmantel für stürmische Zeiten allen Gastrednern beim JU-Deutschlandtag. Und die Zeiten sind so stürmisch, dass vorsichtshalber ein Großteil der Führungsmannschaft von CDU und CSU der Einladung gefolgt ist: die Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und NRW, Daniel Günther und Armin Laschet, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der EVP-Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, Manfred Weber, Gesundheitsminister Jens Spahn, der neue Bundestagsfraktionschef Ralph Brinkhaus, CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Noch auf der Bühne angezogen hat die Regenrobe aber nur eine: Kramp-Karrenbauer.
Gerade hat sie eine kämpferische Rede gehalten, an deren Anfang sie sich über Medienberichte beklagt hat, wonach in Kiel ein Schaulaufen der möglichen Merkel-Nachfolger zu erwarten sei. Aber natürlich schaut das Publikum genau darauf und vor allem auf diese beiden Gäste: Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn. Beide werden wohl nicht ohne Unterstützung Laschets, des Chefs des größten Landesverbands, ganz nach oben kommen. Womöglich greift er sogar selbst zu. Aber er hält sich in Kiel bedeckt.
So werden Redezeit und Applaus von Spahn und Kramp-Karrenbauer verglichen und gestoppt. Bei Spahn sagt eine Delegierte in den hinteren Rängen: „Los, klatschen, das muss länger als 55 Sekunden dauern.“Mit dieser Zeit war Merkels Auftritt bedacht worden. Sie kommt beim kritischen Parteinachwuchs mit einer selbstkritischen und nach vorn gerichteten Rede gut an.
Spahn schafft es aber auf das Doppelte von Merkel und bekommt auch den größeren Schlussapplaus als Kramp-Karrenbauer für seine recht staatstragende Rede mit einem Appell zu mehr Zusammenhalt. „Wir als Union, wir wollen uns nicht spalten lassen, nicht als Partei, nicht als Land, nicht als Bürger. Wir wollen Zusammenhalt durch Zuversicht“, ruft er den 300 Delegierten zu. Er legt den Schwerpunkt auf das Sicherheitsgefühl der Bürger, auf einen starken Rechtsstaat, auf eine strikte Integrationspolitik. „Vollgas“verlangt er da.
Alexander Dobrindt hält unterdessen eine recht kraftlose Rede, finden hier viele. Er steht besonders unter Druck, denn seine CSU könnte in Bayern am nächsten Sonntag ein Fiasko erleben. Bei der JU wird spekuliert, dass CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer dann schnell zum Rücktritt gedrängt werde. Einen Nachfolger als Parteichef wüssten sie schon: Manfred Weber, der gern EU-Kommissionspräsident werden möchte und in Kiel eine starke Rede gehalten hat.
Kramp-Karrenbauer, in bunter Hippie-Bluse mit Schriftzug „Rock Dreams Love“, ist streitlustig. Sie stellt erst mal Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder wegen dessen Schuldzuweisungen in Richtung Bundesregierung in den Senkel. Der vor 30 Jahren gestorbene Franz Josef Strauß hätte einen „Pfifferling“auf schlechte Umfragewerte gegeben. „Er würde nicht eine Woche vorher anfangen und öffentlich darüber reden, wer schuld an der Niederlage ist.“Sie reißt den Parteinachwuchs mit ihrem Anspruch an bessere Ergebnisse und einem Rundumschlag gegen SPD, FDP und Grüne öfter mit, als Spahn es tut. Und im Publikum wird aufmerksam verfolgt: Geht sie auf Distanz zu Merkel? Es heißt immer, ihre Nähe zur Kanzlerin sei ihre Stärke und Schwäche zugleich. Irgendwann muss sie sich abgrenzen, sonst wird das nichts mit der Nachfolge.
So macht diese Passage hellhörig: Wer sich damit begnüge, den Menschen zu sagen „Wir haben Schlimmeres verhindert“, dürfe sich nicht wundern, wenn er bei 27 Prozent lande. Damit wolle sie sich nicht zufriedengeben, und, „sorry“, es reiche auch nicht, gute Regierungsarbeit zu machen. „Es kann doch nichts Besonderes sein zu sagen: Wählt uns, weil wir eine gute Regierungsarbeit machen.Wo sind wir denn da hingekommen?“Es gehe um Ideen, Visionen. Parteien bräuchten Feuer. „Parteien werden nur dann gewählt, wenn sie begeistern können, wenn sie etwas in sich tragen, das die Menschen für sie einnimmt.“Kramp-Karrenbauer hat den Namen Merkel nicht erwähnt. Aber man kann es so verstehen, dass sie die Parteichefin meint.
Einer, den bis zur Abwahl des langjährigen Fraktionschefs Volker Kauder niemand auf der Rechnung hatte, rockt die Halle am stärksten: Ralph Brinkhaus. Er schmiert der JU viel Honig um den Bart. Er wünsche sich, dass sie die Fraktion fordere und überrasche, dass sie mutig sei und die Bundestagsabgeordneten lehre, Dinge neu zu denken und den Aufbruch zu wagen. Der 50-Jährige sagt immer höflich „Damen und Herren“und verspricht, bis zum nächsten Mal „Freundin- nen und Freunde“zu beherrschen. Er beschwört die Breite der Volkspartei und die Kunst, nach einem Streit wieder zusammenzufinden. Brinkhaus hält das hierarchische Denken, dass nur Vorstände und Gremien die Partei steuern, für veraltet und wirbt für Projektarbeit und Personalentwicklung. Und er macht deutlich, dass er sich auf niemandes Seite ziehen lassen will, sondern der Brückenbauer ist. Ziemiak sagt hinterher: „Eine saustarke Rede.“
Je nachdem wie die Landtagswahl in Hessen am 28. Oktober ausgeht, werden dieWeichen für Merkel wohl gestellt. Bleibt Volker Bouffier dort im Amt, bleibt sie es auch, heißt es. Stürzt er, sei alles offen.
Bleiben noch die Lieder, die die Junge Union zum Einmarsch der Gastredner in die Halle einspielt. „Don‘t Stop Believin‘“(„Hör‘ nicht auf zu glauben“) der US-Rocker von Journey aus den 80er Jahren ertönt, als Merkel kommt. Zu „Alles neu“von Peter Fox schreitet Brinkhaus auf die Bühne. Kramp-Karrenbauer: „For a better day“(„Bald werden bessere Tage kommen“) von Avicii. Und für Jens Spahn hat die JU etwas ganz Besonderes parat: den Rapper Marteria. Mit: „Endboss“.