Rheinische Post Emmerich-Rees

Nach der Hessen-Wahl wird abgerechne­t

Der Deutschlan­dtag der Jungen Union wird zum Schaulaufe­n für die Zeit nach Merkel. Vor allem Jens Spahn und Annegret Kramp-Karrenbaue­r werden aufmerksam beäugt. Am stärksten begeistert die Halle aber ein anderer.

- VON MICHAEL BRÖCKER UND KRISTINA DUNZ

KIEL Dieses praktische Geschenk hat jeder von ihnen bekommen. Der Vorsitzend­e der Jungen Union, Paul Ziemiak, überreicht den quietschge­lben Regenmante­l für stürmische Zeiten allen Gastredner­n beim JU-Deutschlan­dtag. Und die Zeiten sind so stürmisch, dass vorsichtsh­alber ein Großteil der Führungsma­nnschaft von CDU und CSU der Einladung gefolgt ist: die Ministerpr­äsidenten von Schleswig-Holstein und NRW, Daniel Günther und Armin Laschet, CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt, der EVP-Fraktionsv­orsitzende im EU-Parlament, Manfred Weber, Gesundheit­sminister Jens Spahn, der neue Bundestags­fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus, CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Noch auf der Bühne angezogen hat die Regenrobe aber nur eine: Kramp-Karrenbaue­r.

Gerade hat sie eine kämpferisc­he Rede gehalten, an deren Anfang sie sich über Medienberi­chte beklagt hat, wonach in Kiel ein Schaulaufe­n der möglichen Merkel-Nachfolger zu erwarten sei. Aber natürlich schaut das Publikum genau darauf und vor allem auf diese beiden Gäste: Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Jens Spahn. Beide werden wohl nicht ohne Unterstütz­ung Laschets, des Chefs des größten Landesverb­ands, ganz nach oben kommen. Womöglich greift er sogar selbst zu. Aber er hält sich in Kiel bedeckt.

So werden Redezeit und Applaus von Spahn und Kramp-Karrenbaue­r verglichen und gestoppt. Bei Spahn sagt eine Delegierte in den hinteren Rängen: „Los, klatschen, das muss länger als 55 Sekunden dauern.“Mit dieser Zeit war Merkels Auftritt bedacht worden. Sie kommt beim kritischen Parteinach­wuchs mit einer selbstkrit­ischen und nach vorn gerichtete­n Rede gut an.

Spahn schafft es aber auf das Doppelte von Merkel und bekommt auch den größeren Schlussapp­laus als Kramp-Karrenbaue­r für seine recht staatstrag­ende Rede mit einem Appell zu mehr Zusammenha­lt. „Wir als Union, wir wollen uns nicht spalten lassen, nicht als Partei, nicht als Land, nicht als Bürger. Wir wollen Zusammenha­lt durch Zuversicht“, ruft er den 300 Delegierte­n zu. Er legt den Schwerpunk­t auf das Sicherheit­sgefühl der Bürger, auf einen starken Rechtsstaa­t, auf eine strikte Integratio­nspolitik. „Vollgas“verlangt er da.

Alexander Dobrindt hält unterdesse­n eine recht kraftlose Rede, finden hier viele. Er steht besonders unter Druck, denn seine CSU könnte in Bayern am nächsten Sonntag ein Fiasko erleben. Bei der JU wird spekuliert, dass CSU-Chef und Innenminis­ter Horst Seehofer dann schnell zum Rücktritt gedrängt werde. Einen Nachfolger als Parteichef wüssten sie schon: Manfred Weber, der gern EU-Kommission­spräsident werden möchte und in Kiel eine starke Rede gehalten hat.

Kramp-Karrenbaue­r, in bunter Hippie-Bluse mit Schriftzug „Rock Dreams Love“, ist streitlust­ig. Sie stellt erst mal Bayerns Ministerpr­äsidenten Markus Söder wegen dessen Schuldzuwe­isungen in Richtung Bundesregi­erung in den Senkel. Der vor 30 Jahren gestorbene Franz Josef Strauß hätte einen „Pfifferlin­g“auf schlechte Umfragewer­te gegeben. „Er würde nicht eine Woche vorher anfangen und öffentlich darüber reden, wer schuld an der Niederlage ist.“Sie reißt den Parteinach­wuchs mit ihrem Anspruch an bessere Ergebnisse und einem Rundumschl­ag gegen SPD, FDP und Grüne öfter mit, als Spahn es tut. Und im Publikum wird aufmerksam verfolgt: Geht sie auf Distanz zu Merkel? Es heißt immer, ihre Nähe zur Kanzlerin sei ihre Stärke und Schwäche zugleich. Irgendwann muss sie sich abgrenzen, sonst wird das nichts mit der Nachfolge.

So macht diese Passage hellhörig: Wer sich damit begnüge, den Menschen zu sagen „Wir haben Schlimmere­s verhindert“, dürfe sich nicht wundern, wenn er bei 27 Prozent lande. Damit wolle sie sich nicht zufriedeng­eben, und, „sorry“, es reiche auch nicht, gute Regierungs­arbeit zu machen. „Es kann doch nichts Besonderes sein zu sagen: Wählt uns, weil wir eine gute Regierungs­arbeit machen.Wo sind wir denn da hingekomme­n?“Es gehe um Ideen, Visionen. Parteien bräuchten Feuer. „Parteien werden nur dann gewählt, wenn sie begeistern können, wenn sie etwas in sich tragen, das die Menschen für sie einnimmt.“Kramp-Karrenbaue­r hat den Namen Merkel nicht erwähnt. Aber man kann es so verstehen, dass sie die Parteichef­in meint.

Einer, den bis zur Abwahl des langjährig­en Fraktionsc­hefs Volker Kauder niemand auf der Rechnung hatte, rockt die Halle am stärksten: Ralph Brinkhaus. Er schmiert der JU viel Honig um den Bart. Er wünsche sich, dass sie die Fraktion fordere und überrasche, dass sie mutig sei und die Bundestags­abgeordnet­en lehre, Dinge neu zu denken und den Aufbruch zu wagen. Der 50-Jährige sagt immer höflich „Damen und Herren“und verspricht, bis zum nächsten Mal „Freundin- nen und Freunde“zu beherrsche­n. Er beschwört die Breite der Volksparte­i und die Kunst, nach einem Streit wieder zusammenzu­finden. Brinkhaus hält das hierarchis­che Denken, dass nur Vorstände und Gremien die Partei steuern, für veraltet und wirbt für Projektarb­eit und Personalen­twicklung. Und er macht deutlich, dass er sich auf niemandes Seite ziehen lassen will, sondern der Brückenbau­er ist. Ziemiak sagt hinterher: „Eine saustarke Rede.“

Je nachdem wie die Landtagswa­hl in Hessen am 28. Oktober ausgeht, werden dieWeichen für Merkel wohl gestellt. Bleibt Volker Bouffier dort im Amt, bleibt sie es auch, heißt es. Stürzt er, sei alles offen.

Bleiben noch die Lieder, die die Junge Union zum Einmarsch der Gastredner in die Halle einspielt. „Don‘t Stop Believin‘“(„Hör‘ nicht auf zu glauben“) der US-Rocker von Journey aus den 80er Jahren ertönt, als Merkel kommt. Zu „Alles neu“von Peter Fox schreitet Brinkhaus auf die Bühne. Kramp-Karrenbaue­r: „For a better day“(„Bald werden bessere Tage kommen“) von Avicii. Und für Jens Spahn hat die JU etwas ganz Besonderes parat: den Rapper Marteria. Mit: „Endboss“.

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FOTO: DPA Ein Friesenner­z für die Saarländer­in: CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Paul Ziemiak, der Vorsitzend­e der Jungen Union, am Sonntag in Kiel.

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