„Alles lief wie automatisiert ab“
Günter Wetzel, der samt Familie 1979 mit einem selbst gebauten Heißluftballon aus der DDR entkommen war, sprach mit Gymnasiasten über die spektakuläre Flucht
REES (rem) Die Fragen gingen den Schülern des Aspel-Gymnasiums nicht aus.„Damit war nicht zu rechnen“, hatte der 63-jährige Gast vorab gesagt, der mit Familie und Bekannten am 16. September 1979 mit seinem selbst gebauten Heißluftballon aus der damaligen DDR geflüchtet war. Jetzt erzählte Günter Wetzel auf Einladung des Geschichtsvereins Ressa den jungen Menschen von dem gefährlichen Unternehmen, das alle acht Korb-Insassen unverletzt überlebt haben. Aufmerksam verfolgten die Schüler der neunten Klassen auch die Q 2 Schulkollegen, was Günter Wetzel mit Ehefrau und den beiden damals zwei und fünf Jahre alten Jungs, und zwar zusammen mit einer weiteren vierköpfigen Familie, dazu bewogen hatte, unter Lebensgefahr in den Westen zu fliehen. Er schilderte die schwierigen Lebensumstände damals, die Kontrolle durch den Staat, auch von der 20-Jahr-Feier der DDR, wegen der auch jungen, langhaarigen Männern einfach die Haare abgeschnitten wurden. „Das geht nicht“, sagte er an die Jugend gewandt, die aufmerksam zuhörte.
Und das er weder Physik studieren noch Pilot werden durfte – weil sein Vater, als er selbst gerade fünf Jahre alt war, sich in den Westen abgesetzt hatte. „Auch deshalb wollten wir raus“, sagte er. So beschlossen er und ein Bekannter, mit einem selbst gebauten Ballon aus der DDR zu entkommen. „Der Weg zu Fuß über die Grenze war einfach zu gefährlich, gerade wegen der Selbstschuss-Anlagen und Tretminen“, berichtete er weiter.
In den anderthalb Jahren, die sie von den Plänen bis zur endgültigen Flucht brauchten, besorgten sich die beiden Familien alles, was zum Bau eines Ballons nötig war. Wenige Wochen vor dem Start saß ihnen dann auch die Staatssicherheit, sprich Stasi, im Nacken. Wären sie geschnappt worden, hätte den Erwachsenen Gefängnis gedroht, den Kindern Heim-Unterbringung.
Beim letztlich dritten Versuch hoben alle acht Personen mitten in der Nacht auf einer Wiese ab, stiegen – dabei fing der Ballon sogar noch Feuer, konnte aber gelöscht werden – auf 2000 Meter Höhe, verloren dann, weil das Gas ausging, rasch an Höhe, und landeten schließlich nach 18 Kilometer langer Fahrt doch im Westen.
„Hatten die Kinder keine Angst?“, wollte ein Schüler anschließend wissen. „Unsere beiden Jungs waren erst zwei und fünf Jahre. Die haben von alledem nichts mitbekommen“, sagte Wetzel. „Wie war das emotional, als sie alle in Sicherheit waren?“, meinte eine Schülerin. „Ein totales Glücksgefühl“, antwortete der ge- bürtige Ostdeutsche, der jetzt im Westen lebt.
Wie er es erlebt hätte, als beim Start sein Bekannter durch ein Seil im Gesicht verletzt wurde, wollte ein anderer wissen. Wetzel:„Alles ist damals wie automatisiert abgelaufen, vom Start bis zur Landung“.
Sie seien zwar die ersten gewesen, aber nicht der letzten DDR-Bürger, die mit dem Ballon geflohen sind. 72 Versuche hätte es danach noch gegeben auf dem Luftweg raus zu kommen, davon 50 mit einem Heißluftballon. Dabei seien auch viele ums Leben gekommen.