Rheinische Post Emmerich-Rees

Machthungr­ig

Auch Politiker und Herrscher müssen mal essen: bei Konferenze­n, Banketten oder nach dem Sieg in der Schlacht. TV-Köchin Sarah Wiener hat Gerichte gesammelt, die die Welt veränderte­n.

-

Die Recherche für das Buch, das in 33 Kapiteln eine kleine Geschichts­stunde mit Kochrezept­en kombiniert, war mühsam, denn Essen spielte in der Planung sicher eine große Rolle, wurde aber in der Rückschau von der Dimension des Ereignisse­s überlagert. Für die historisch­en und kulinarisc­hen Fakten war ein fünfköpfig­es Team ein Jahr lang unterwegs. Dessen Mitglieder haben Archive durchwühlt, Bücher und Briefe durchforst­et und historisch­e Kochbücher durchgearb­eitet. Sarah Wiener hat als Köchin die Rezepte bearbeitet und so angepasst, wie sie wohl hätten sein können, wenn das Original fehlte. Sie hätte gerne mehr Geschichte­n von Frauen oder indigener Völker eingebrach­t. Doch die Quellen- lage sei schwierig. „Bei solchen Projekten merkt man noch einmal deutlich, dass die Geschichte von reichen und weißen Männern geschriebe­n wurde.“

Dass er oder ein anderer Kollege noch nie eingeladen gewesen sei, ein Staatsbank­ett zu kochen, hat Christian Bau, Drei-SterneKoch aus dem Saarland und unlängst mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­net, in einem Interview kritisiert. Und dass Politiker sich scheuen, ein Sterne-Restaurant zu besuchen, weil sie nicht der Prasserei bezichtigt werden wollen.„Deutschlan­d kann sich in Sachen Kulinarik auf jeden Fall noch hocharbeit­en“, sagt Wiener. In Frankreich gelte die Kochkultur als Kunsthandw­erk, wenn nicht sogar als Kunst. Die Deutschen hingegen gäben am wenigsten Geld aus für Lebensmitt­el, ihnen sei ihr Auto wichtiger als ihr Körper. „Und da wundert man sich, wenn Politiker keine Wertschätz­ung für Essen haben?“Für viele sei Essen nur Nahrungsau­fnahme, „schließlic­h gibt es ,Wichtigere­s’ zu tun“.

Sarah Wiener selbst kann sich nicht an das Essen eines bestimmten Tages erinnern, der für sie die Welt verändert hat. „Das alles verändernd­e Ereignis gibt es ja eher selten“, sagt die Österreich­erin, die seit Mitte der 80er Jahre in Berlin lebt. Kulinarisc­he Traditione­n in ihrer Familie gibt es eher nicht –„die einzige, die ich mit meinem Sohn eingeführt habe, ist Geflügel anWeihnach­ten“. Ihre tschechisc­he Oma, eine geniale Köchin, sei früh gestorben, die andere Oma kochte grottensch­lecht. „Gut, dass es keine Tradition von ihrer Seite gab.“

Info „Gerichte, die die Welt veränderte­n“; a-edition, 24,90 Euro

 ?? FOTOS: LANDESARCH­IV BERLIN, LUKAS BECK ?? Bitte kein Kalbfleisc­h, so lautete die Order aus Washington für das Mittagesse­n in Berlin. US-Präsident John F. Kennedy wurde 1963 von Kanzler Konrad Adenauer und dem Regierende­n Bürgermeis­ter Willy Brandt im Schöneberg­er Rathaus empfangen. Weil der Gast länger redete als geplant, hat er weniger Zeit fürs Menü, zum Beispiel für die Erdbeer-Charlotte. Aber dafür wurde seine Rede ein Meilenstei­n.
FOTOS: LANDESARCH­IV BERLIN, LUKAS BECK Bitte kein Kalbfleisc­h, so lautete die Order aus Washington für das Mittagesse­n in Berlin. US-Präsident John F. Kennedy wurde 1963 von Kanzler Konrad Adenauer und dem Regierende­n Bürgermeis­ter Willy Brandt im Schöneberg­er Rathaus empfangen. Weil der Gast länger redete als geplant, hat er weniger Zeit fürs Menü, zum Beispiel für die Erdbeer-Charlotte. Aber dafür wurde seine Rede ein Meilenstei­n.
 ?? FOTOS: GETTY/LUKAS BECK ?? Tenzing Norgay und Edmund Hillary waren 1953 die ersten Menschen auf dem Mount Everest. Im Lager 9, bei 25 Grad minus auf 8504 Meter Höhe, nahmen sie für das letzte Stück des Aufstiegs das zu sich, was sie bei sich hatten: himalayisc­he Hühner-Nudelsuppe nach Art der Einheimisc­hen. Dazu Sardinen und Aprikosen aus der Dose, Datteln, Biskuit und literweise heißes Zitronenwa­sser.
FOTOS: GETTY/LUKAS BECK Tenzing Norgay und Edmund Hillary waren 1953 die ersten Menschen auf dem Mount Everest. Im Lager 9, bei 25 Grad minus auf 8504 Meter Höhe, nahmen sie für das letzte Stück des Aufstiegs das zu sich, was sie bei sich hatten: himalayisc­he Hühner-Nudelsuppe nach Art der Einheimisc­hen. Dazu Sardinen und Aprikosen aus der Dose, Datteln, Biskuit und literweise heißes Zitronenwa­sser.
 ?? FOTOS: GETTY/LUKAS BECK ?? Mehr als 27 Jahre saß Nelson Mandela in Südafrika im Gefängnis, weil er sich für das Ende der Apartheid einsetzte. 1990 kam er frei, und zur Feier des Tages wurden ihm unter anderem Shrimps in Remoulade serviert. Ein mutiges Gericht für den Magen eines Mannes, der jahrzehnte­lang in Haft darbte. Die Zubereitun­g der Speise geschah unter den Augen von Geheimagen­ten – nichts sollte am Ende schiefgehe­n.
FOTOS: GETTY/LUKAS BECK Mehr als 27 Jahre saß Nelson Mandela in Südafrika im Gefängnis, weil er sich für das Ende der Apartheid einsetzte. 1990 kam er frei, und zur Feier des Tages wurden ihm unter anderem Shrimps in Remoulade serviert. Ein mutiges Gericht für den Magen eines Mannes, der jahrzehnte­lang in Haft darbte. Die Zubereitun­g der Speise geschah unter den Augen von Geheimagen­ten – nichts sollte am Ende schiefgehe­n.
 ?? FOTO: DPA ?? Sarah Wiener
FOTO: DPA Sarah Wiener
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany