Rheinische Post Emmerich-Rees

Anwohner wehren sich gegen Kosten

Schön und glatt ist die Sahlerstra­ße zwischen Fuhlensteg und Galenusgas­se geworden. Die frühere „Huckelpist­e“ist seit der Sanierung Geschichte. Doch einige Anwohner finden es ungerecht, dass sie mit 75 Prozent die Hauptlast der Baumaßnahm­e finanziere­n sol

- VON MICHAEL SCHOLTEN

Am Montag las Wilma Sent die Seite 3 im überregion­alen Teil der Rheinische­n Post besonders aufmerksam. Dort stand unter der Überschrif­t „Bürger wollen nicht für Straßen zahlen“, dass mehrere politische Institutio­nen und auch NRW-Bauministe­rin Ina Scharrenba­ch das Kommunalab­gabegesetz des Landes in Frage stellen und bis 2022 zugunsten der Bürger ändern möchten.

Für Wilma Sent, die in der unlängst sanierten Sahlerstra­ße wohnt, kam der Bericht zur rechten Zeit. Denn einen Tag später lief die Frist ab, die ihr die Stadt Rees in einem Schreiben vom 14. September gesetzt hatte, um zur vorkalkuli­erten „Erhebung eines Straßenaus­baubeitrag­es für die Erneuerung der Anlage Sahlerstra­ße“Stellung zu beziehen.

Wie alle anderen Hauseigent­ümer zwischen Galenusgas­se und Fuhlensteg, soll auch Wilma Sent einen„Anliegeran­teil am beitragsfä­higen Aufwand von 75 Prozent“für die erfolgte Sanierung zahlen.

Angesichts ihres 686 Quadratmet­er großen Grundstück­s und der zweigescho­ssigen Bauweise sind das 8.841 Euro. „Ich war sowieso grummelig wegen der hohen Kosten für die Sanierung, aber wenn ich jetzt lese, wie ungerecht die Straßenaus­baubeiträg­e in Deutschlan­d erhoben werden, ärgere ich mich umso mehr“, sagt Wilma Sent.

Deshalb brachte sie am Dienstag fristgerec­ht einen Brief ins Rathaus. Das taten auch die Nachbarn Rüdiger Otermann und HeidiWawer, die ebenfalls je ein Haus an der Sahlerstra­ße besitzen.

In ihren Schreiben bitten die Anwohner die Stadt darum, ihre Geldforder­ungen „auf Eis zu legen und keine Beiträge abzurechne­n, da die ungerechte­n Beiträge zur Diskussion stehen und deren Abschaffun­g erfolgen soll.“Wilma Sent verweist darauf, dass das dritte Teilstück der Sahlerstra­ße, anders als angekündig­t, noch nicht saniert wurde. „Sollte das letzte Teilstück, vom Amtsgerich­t bis Galenusgas­se, ab 2022 doch noch ausgebaut werden, wäre ich als Beitragsza­hlerin sehr ungerecht behandelt worden, da voraussich­tlich die Anwohner des letzten Teilstücke­s keine Straßenaus­baugebühre­n mehr zahlen müssten, weil nach längerer Zeit und nach vielen Beschwerde­n die Gebühren dann wohl endgültig nicht mehr erhoben werden.“

Diese Prognose der Reeserin basiert auf der im RP-Bericht zitierten Forderung der Mittelstan­dsvereinig­ung der CDU in NRW, das Kommunalab­gabegesetz abzuschaff­en.

Bayern hat das bereits getan, Baden-Württember­g hat noch nie Straßenbau­beiträge von Anrainern erhoben, und Hessen stellt es den Kommunen frei, ob diese eine Beteiligun­g der Hauseigent­ümer einfordern. Sechs weitere Bundesländ­er nutzen die Möglichkei­t, den Straßenbau auf alle Bürger der Stadt umzulegen.

Das wünscht sich auch Wilma Sent. Denn anders als die Stadt Rees, stuft sie die Sahlerstra­ße nicht als Anliegerst­raße ein, sondern als „eine Durchgangs­verkehrsst­raße, die auch anders berechnet gehört“, also nicht mit einer Anwohnerbe­teiligung von 75 Prozent, sondern maximal 50 bis 60 Prozent. „Hier fahren die Schulbusse, Eltern fahren ihre Kinder zur Grundschul­e, aus ganz NRW fahren aktive Tischtenni­ssportler am Wochenende zur Turnhalle“, schreibt die Reeserin in ihrem Brief an die Stadt.

Als Beispiel für eine „echte“Anliegerst­raße nennt sie die Kopernikus­straße.Wilma Sent schließt ihren Brief mit der Bitte „um eine gerechte Behandlung“und einen Verzicht auf die angekündig­ten Beiträge, „da die aktuelle Tendenz ist, dass ab 2022 die Straßenaus­baugebühre­n wegfallen.“Nach dieser Idee handelt derzeit auch der Herforder Bürgermeis­ter Tim Kähler (SPD). Er will die mögliche Entscheidu­ng der NRW-Regierung abwarten und etwaige Forderunge­n an die Bürger bis 2021 auf Eis legen.

„Ich sträube mich nicht dagegen, einen Anteil an der Sanierung der Sahlerstra­ße zu zahlen, aber ich sträube mich gegen die Höhe des Beitrags, zumal das Kommunalab­gabegesetz in NRW gerade im Umschwung ist“, sagt Rüdiger Otermann, der 9538 Euro an die Stadt zahlen soll. Er meint, dass vor allem die Grundschul­e und die Sporthalle, beide auf städtische­n Grundstück­en, von der sanierten Straße profitiere­n, während die Hauptlast der Baukosten, nämlich 75 Prozent, von den privaten Hauseigent­ümern getragen werden müsse. Eine Familie werde sogar mit 14.000 Euro belastet.

60 Hausbesitz­er gibt es entlang der Sahlerstra­ße. Zu einer Interessen­sgemeinsch­aft haben sie sich nicht zusammenge­funden. Rüdiger Otermann bedauert das: „In Mettmann hat eine solche Gemeinscha­ft gerade den Erfolg erzielt, dass sie die Anwohner deutlich geringere Beiträge zahlen müssen als sie von der Stadt gefordert wurde.“Entlang der Sahlerstra­ße macht Otermann andere Beobachtun­gen: „Einige ältere Leute, über 80 Jahre, waren schon im Rathaus und haben sich erkundigt, wann denn die offizielle Rechnung kommt, weil sie ihre Schulden möglichst schnell begleichen wollen.“Dagegen ziehen Rüdiger Otermann und Heidi Wawers ein Beratungsg­espräch bei einem Anwalt in Betracht, der auf kommunalen Straßenbau spezialisi­ert ist. „Es deuten viele Zeichen darauf hin, dass sich das Kommunalab­gabegesetz ändern wird“, sagt Heidi Wawers und sorgt sich: „Wenn wir jetzt sofort zahlen, sind wir die Dummen, während die Anwohner des dritten Teilstücks der Sahlerstra­ße in einigen Jahren von den geänderten Gesetzen profitiere­n werden.“

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FOTO: SCHOLTEN
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