Rheinische Post Emmerich-Rees

Tanzen für Guadalupe

Seit zwei Monaten lebt RP-Autorin Jana Rogmann in Bolivien, um als Freiwillig­e an einer Schule zu arbeiten. Die 17-Jährige bringt Kindern Englisch bei, hat aber auch selbst Neues gelernt, zum Beispiel den „Tinkuy“für die Virgen de la Guadalupe zu tanzen.

- VON JANA ROGMANN

SUCRE, BOLIVIEN Die Menge am Rand jubelt uns zu. Ich drehe mich, stampfe auf den Boden und springe in die Luft. Hinter uns folgt die Musikkapel­le. Ein breites Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus. Denn den Tanz habe ich nur für diesen ganz besonderen Tag gelernt. Und für seine Protagonis­tin – die Virgen de la Guadalupe.

Jedes Jahr gibt es zu Ehren der Schutzheil­igen Sucres einen großen Umzug durch die Stadt, an dem mehr als 40 verschiede­ne Tanzgruppe­n mit traditione­llen Tänzen teilnehmen. Das wollten meine Mitbewohne­r und ich uns natürlich nicht entgehen lassen und meldeten uns bei einer der Gruppen an. Daraufhin trainierte­n wir als Vorbereitu­ng jeden Abend unseren Tanz„Tinkuy“im Stadtpark, lernten drei verschiede­ne Schrittfol­gen, umwickelte­n unsere traditione­llen Autoreifen­sandalen mit Wolle und suchten einige Teile unseres Kostüms auf den umliegende­n Märkten zusammen.

Dann war es endlich so weit. Gemeinsam mit den restlichen „Mosoj Charcas“begannen wir unseren achtstündi­gen Marathon durch die Innenstadt. Dank der etlichen Trainingss­tunden waren wir ein fester Bestandtei­l der Gruppe, und es machte wirklich viel Spaß, diese Seite Boliviens zu erleben.

Auf der Arbeit habe ich mich ebenfalls relativ gut eingelebt inzwischen. Morgens arbeite ich in einer Grundschul­e. Dort sieht jeder Tag anders aus, und ich weiß nie genau, was mich erwartet. An einigen Morgen bin ich lediglich Assistenz des Lehrers und helfe den Kindern beispielsw­eise bei ihren Mathe- oder Schreibauf­gaben.

An anderen Tagen gebe ich in Anwesenhei­t des Lehrers Englischun­terricht. Oft habe ich auch schon den ganzen Morgen allein Vertretung­sunterrich­t in einer Klasse gehalten. Dann habe ich den Kindern ebenfalls englische Grundlagen wie die Zahlen oder die Farben beigebrach­t. Der Großteil der Kinder hatte noch keinen Englischun­terricht und ist gespannt darauf, alle möglichen englischen Wörter zu lernen.

Vor allem in meiner plötzliche­n Rolle als Vertretung­slehrerin sah ich am Anfang eine große Herausford­erung. Die Kinder fangen nämlich schnell an, sich zu streiten oder durch das Klassenzim­mer zu rennen. Andere verweigern ganz die Arbeit. Nachdem ich einige Male anderen Lehrern im Unterricht zugeguckt habe, fange ich jedoch lang- sam an, das Schulsyste­m zu verstehen, und es wird immer besser.

Ob ich diesen Beruf später ergreifen werde, steht jedoch noch in den Sternen. Die Kinder freuen sich auf jeden Fall sehr und kommen oft angerannt, um mich zu umarmen. Dann stehe ich manchmal mitten auf dem Schulhof und kann mich in einer Gruppenuma­rmung von Schülern nicht von der Stelle bewegen. Solche Momente sind die Anstrengun­gen wert.

Mittags bin ich in der Nachmittag­sbetreuung „Centro Apollo Megamente“. Das Projekt hat eine Lehrerin meiner Schule ins Leben gerufen, und außer ihr arbeiten noch zwei andere Betreuer und eine meiner Mitfreiwil­ligen dort. Zu uns kommen größtentei­ls Kinder von Marktfraue­n, die im „Centro“einen geschützte­n Platz zum Hausaufgab­en machen gefunden haben. Dabei unterstütz­en wir sie und helfen, wo es geht.

Wenn sie fertig sind mit ihren Aufgaben, findet sich häufig noch Zeit zum Spielen: Ganz beliebt sind zurzeit Twister und Schach. Das Projekt lebt von freiwillig­en Helfern, und die anderen drei Betreuer sind dankbar für jede helfende Hand. Ich kann mittlerwei­le fast alle der um die 40 Namen und kenne die einzelnen Kinder. Man könnte sagen, dass ich dort richtig angekommen bin.

Inzwischen bin ich auch schon ganze zwei Monate hier. Zwei Monate im Land der Alpakas. Zwei Monate 10.451,98 Kilometer Luftlinie entfernt von zu Hause. Zwei Monate in Bolivien – dem Herzen Südamerika­s. Und ich wundere mich immer wieder, wie die Zeit so schnell und so langsam auf einmal vergehen konnte. Einerseits habe ich einen Haufen interessan­ter Dinge erlebt, anderersei­ts dauert es immer noch zehn Monate, bis ich meine geliebte Heimat wiedersehe. Das kann sich in manchen Momenten sehr lang anfühlen. Bis dahin verbringe ich meine Zeit neben der Arbeit damit, zu kochen, einzukaufe­n, Essen zu gehen oder mit meinen Mitfreiwil­ligen etwas zu unternehme­n. Es ist eigentlich immer etwas los. So war zum Beispiel letztens der Tag des Schülers, des Frühlings, der Freundscha­ft, des Arztes und der Liebe. Dieser wurde mit einer großen Party in meiner Schule zelebriert. Ein anderes Mal haben wir mittags die Königinnen des Centros gewählt und mit ganz viel Tanz und Kuchen das siebenjähr­ige Bestehen der Einrichtun­g gefeiert. Daher bin ich auch schon sehr gespannt, was die nächstenWo­chen so an Überraschu­ngen bringen werden.

Als Vorbereitu­ng trainierte­n wir jeden Abend unseren Tanz „Tinkuy“im Stadtpark, lernten drei verschiede

ne Schrittfol­gen.

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FOTO: ROGMANN Jana Rogmann in ihrem Kostüm bei der Entrada.

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