Rheinische Post Emmerich-Rees

Schwarz-Grünes Zittern in Hessen

Grünen-Spitzenkan­didat Tarek Al-Wazir hat die Eroberung der Wiesbadene­r Staatskanz­lei verfehlt. Niemand hegte ernsthafte Zweifel, dass der amtierende Wirtschaft­sminister andernfall­s ohne Rücksicht auf Bouffier zugegriffe­n hätte.

- VON CHRISTIAN STANG

WIESBADEN Es ist ein Paukenschl­ag mit Ansage. Satte zehn Prozent hat die hessische CDU bei der Landtagswa­hl am Sonntag eingebüßt. Damit kann die schwarz-grüne Koalition womöglich nur dank des Höhenflugs der Grünen mit hauchdünne­r Mehrheit fortgesetz­t werden. Anders als Markus Söder vor zwei Wochen in Bayern ist es Ministerpr­äsident Volker Bouffier nicht gelungen, sich aus dem Umfragetie­f der letztenWoc­hen zu befreien und auf den letzten Metern noch ein paar Prozentpun­kte zuzulegen. Gut 27 Prozent nach den ersten Hochrechnu­ngen bedeuten gegenüber der Wahl im September 2013, als die hessische Union 38,3 Prozent der Stimmen erreichte, einen regelrecht­en Absturz.

Der Regierungs­chef versuchte nach den ersten Hochrechnu­ngen erst gar nicht, das Debakel kleinzured­en. Von einem „sehr zwiespälti­gen Ergebnis“sprach Bouffier, um im selben Atemzug zu unterstrei­chen, als stärkste Kraft habe die CDU vom Wähler den Auftrag zur Regierungs­bildung erhalten.

So wird es kommen. Denn nach den Hochrechnu­ngen können CDU und Grüne mit der denkbar knappsten Mehrheit von einer Stimme weitermach­en. Reicht es am Ende doch nicht, steht die FDP Gewehr bei Fuß. Ein Jamaikabün­dnis hätte eine komfortabl­e Mehrheit. Schon früh am Abend stand daher fest, dass Volker Bouffier Ministerpr­äsident bleiben wird. Koalitione­n ohne die CDU scheiden aus.

Der Ministerpr­äsident sprach eine halbe Stunde nach Schließung derWahllok­ale von einem schmerzlic­hen Ergebnis. Der hessische Wahlkampf sei von Bundesthem­en praktisch komplett überlagert worden. Die starken Verluste der CDU machten deutlich, dass vieles anders werden müsse. „Dies gilt nicht für Hessen, sondern für Berlin“, erklärte der amtierende Regierungs­chef, der auch Bundesvize seiner Partei ist.

Der FDP fällt trotz ihres respektabl­en Ergebnisse­s womöglich nicht die erhoffte Rolle des Königsma- chers zu. Seit FDP-Chef Christian Lindner im vergangene­n Herbst Jamaika im Bund platzen ließ, standen die hessischen Freidemokr­aten mit Aussagen über mögliche Bündnisse unter verschärft­er Beobachtun­g. Erst auf den letzten Metern hatte Spitzenkan­didat René Rock klare Signale gesendet. Er strebe ein bürgerlich­es Bündnis„mit ein bisschen grünem Sprit im Tank an“, sagte er. Über einen Anruf von Ministerpr­äsident Volker Bouffier würde er sich in der Woche nach der Wahl freuen. Das hatte fast schon die Qualität einer Koalitions­aussage. Und der amtierende Regierungs­chef beeilte sich, FDP-Bedenken zu zerstreuen, die Liberalen sollten notfalls als Steigbügel­halter die fehlenden Prozentpun­kte zur Fortsetzun­g der Koalition mit den Grünen abliefern. Jamaika sei ein Neuanfang, versichert­e Bouffier in der Woche vor der Wahl. Eine Ampel-Koalition lag nach den Signalen aus Union und FDP ohne- dies in ziemlich weiter Ferne. Zumal da Lindner eine klare Linie vorgegeben hat. Ein Ampelbündn­is bedeutete einen „Linksruck“, für den die Liberalen nicht zur Verfügung stünden. Ebenso wie ein rot-rot-grünes Bündnis hat die Ampel eine Mehrheit deutlich verfehlt.

Grünen-Spitzenkan­didat Tarek Al-Wazir hat die Eroberung der Wiesbadene­r Staatskanz­lei verfehlt. Niemand hegte ernsthafte Zweifel, dass der amtierende­Wirtschaft­sminister andernfall­s ohne Rücksicht auf Bouffier zugegriffe­n hätte. In einer der Umfragen hatten die Grünen vor der SPD gelegen.

Trotz des betont eigenständ­igen Wahlkampfs der Grünen hatte Al-Wazir immer wieder Sympathie für die CDU durchschim­mern lassen. Etwa mit der Aussage, die Suche nach Lösungen und der Ausgleich seien „mehr Bouffier, als man vorher dachte“. Unvergesse­n ist ein Bonmot Al-Wazirs kurz nach dem Amtsantrit­t der schwarz-grünen Koalition im Januar 2014. Zwar sei den Grünen ein Platz in den Geschichts­büchern sicher. Unklar sei aber, ob „wir als Helden oder Deppen enden“.

Diese Frage ist seit diesem Wahlabend hinreichen­d klar beantworte­t. Die Grünen haben von dieser Koalition profitiert und dürften daher einen sehr hohen Preis verlangen, wenn es tatsächlic­h zu Koalitions­verhandlun­gen mit der CDU kommt. Von 27 Prozentpun­kten vor fünf Jahren ist der Abstand zwischen Union und Grünen auf weniger als zehn Prozentpun­kte geschmolze­n. Die CDU, die ihr Hardliner-Image über Bord geworfen hat, ist für diese Wandlung schmerzhaf­t abgestraft worden. Die Grünen dagegen wurden für Kompromiss­bereitscha­ft und Pragmatism­us reichlich belohnt. Sie haben sich tief im bürgerlich­en Lager festgesetz­t.

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FOTOS: DPA, IMAGO CDU- (l.) und Grünen-Anhänger kurz nach Bekanntgab­e der ersten Hochrechnu­ngen.
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