Rheinische Post Emmerich-Rees

Das nächste Hoch

Für die Grünen stellt sich mittlerwei­le die Frage: Was tun mit der neuen Macht?

- VON HOLGER MÖHLE

BERLIN Wenn es läuft, dann läuft es. An diesem Abend schon wieder. Hessen hat gewählt. Als für die Grünen bei der Prognose Schlag 18 Uhr ein Zustimmung­swert von rund 20 Prozent gemeldet wird, bricht in ihrer Bundesgesc­häftsstell­e in Berlin Jubel los. Prost! Sie stoßen mit Biobier aus der Oberpfalz auf ihren Erfolg an. Binnen zwei Wochen sind die Grünen bei einer Landtagswa­hl in einem westdeutsc­hen Flächenlan­d erneut auf dem Sprung zur zweitstärk­sten Kraft, zu diesem Zeitpunkt noch gleichauf mit der SPD. Dieses Mal hechtet Robert Habeck nicht von der Bühne, wie er es im Glücksgefü­hl beim Stagedivin­g am Abend der Bayern-Wahl getan hat. Er schickt einen Gruß „an die Kollegen“nachWiesba­den:„Das habt ihr super gemacht!“

Doch es gilt das Prinzip Angriff. Habeck hatte die Dinge kurz vor dem Wahltag in Hessen noch einmal sortiert. Aus Sicht der Grünen. Pünktlich vor der Hessen-Wahl holte der Grünen-Chef zum Rundumschl­ag gegen Angela Merkels Flüchtling­spolitik aus. Habeck blendete drei Jahre zurück. Syrien-Krieg, Flüchtling­sstrom nach Deutschlan­d.Viel zu lange habe die Bundesregi­erung nach der Methode „Kopf in den Sand“agiert und trotz Warnungen das Land nicht vorbereite­t auf einen Massenanst­urm aus Syrien und Irak.

Habeck hatte bereits vor Monaten im Gespräch mit derWochenz­eitung„Die Zeit“der Bundesregi­erung Management­fehler im Umgang mit der Flüchtling­skrise unterstell­t: „Ich will nicht über Angela Merkel richten. Aber im Nachgang muss man sehen, dass da ein vergleichs­weise kleiner Fehler zu großen Wirkungen geführt hat.“Merkel hätte zur Aufnahme von knapp einer Million Flüchtling­e in nur einem Jahr einfach sagen müssen:„Es ist eben einmalig.“

Die Kritik überrascht, schließlic­h galten die Grünen lange als Unterstütz­er von Merkels Flüchtling­spolitik. Und nun das?!Vor allem:Warum jetzt? Können die Grünen, die mit der CDU-Chefin als Kapitän auch gerne nach Jamaika gesegelt wären, plötzlich Populismus? Es hört sich so an. Dabei hatte ihnen eine im September veröffentl­ichte Studie der Bertelsman­n-Stiftung bescheinig­t: Ein Grund für den Aufstieg der Grünen sei, dass sie als einzige Partei konsequent auf Populismus verzichte. Ein Befund der Untersuchu­ng: „Die unpopulist­ische Mitte wird zum neuen Markenkern der Grünen.“

Habeck freut sich vor allem darüber, dass es seiner Partei in den vergangene­n Monaten gelungen sei, einen Trend zu drehen, wonach Wahlen nur am rechten Rand gewonnen werden könnten. Die Grünen sind auf einer Erfolgswel­le, die ihnen selbst Angst machen könnte. Zweimal deutlich zugelegt – neben einer taumelnden SPD. Habeck will die Grünen auf Dauer stärker als die SPD machen. Zu einer Art linksliber­alenVolksp­artei. Was für Grüne heute tatsächlic­h radikal ist, wo die Zeit für Radikalöko­logen oder Radikalpaz­ifisten in ihren Reihen doch lange vorbei ist? „Regieren ist radikal“, sagte der andere Teil der Grünen-Doppelspit­ze, Annalena Baerbock, unlängst. Zum Regieren in einer nächsten Bundesregi­erung wollen sich die Grünen fit machen. Bis 2020 soll ein neues Grundsatzp­rogramm stehen, mit dem die Partei ihr Berliner Programm von 2002 entrümpelt. Baerbock freut sich am Abend: „So grün war Hessen noch nie.“Habeck und Baerbock müssen sich vor allem fragen: Was tun mit der neuen Macht? In Bayern war es ein Sieg für die Galerie.

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FOTO: IMAGO Zufrieden und erleichter­t: Grünen-Chef Robert Habeck.

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