Pittsburgh trauert
Nach dem Blutbad in einer Synagoge in den USA werden Details über den Täter bekannt. Der Mann verbreitete seinen Hass im Netz.
WASHINGTON Bevor er aufbrach, um ein Blutbad anzurichten, nahm Robert Bowers eine jüdische Hilfsorganisation verbal ins Visier. „HIAS lässt Invasoren herein, die unsere Leute töten“, schrieb er bei Gab, einem beliebten Netzwerk von rechten Nationalisten, über die Hebrew Immigrant Aid Society, die Flüchtlingen in den USA hilft. „Ich kann nicht dasitzen und zuschauen, wie meine Leute abgeschlachtet werden. Scheiß drauf, wie ihr es seht. Ich gehe rein.“
Was folgte, wird als wohl schwerster antisemitischer Angriff der amerikanischen Geschichte in die Chronik eingehen. Am Samstagvormittag, zehn Minuten vor zehn, drang Bowers in die Synagoge „Tree of Life“ein, eines von rund einem Dutzend jüdischer Gotteshäuser in Squirrel Hill, einem Stadtteil, in dem gut ein Viertel der Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Pittsburgh lebt. Was die Lower East Side für New York war, ist Squirrel Hill für die einstige Steel City in Pennsylvania: das Zentrum jüdischen Lebens.
Um 9.54 Uhr Ortszeit ging der erste Notruf ein. Zu der Zeit fanden in der Synagoge drei Gottesdienste parallel statt. Während die Türen des Tempels unter derWoche verschlossen sind, stehen sie am Sabbat weit offen. Eine ständige Polizeipräsenz vor jüdischen Gemeindezentren, jüdischen Museen, jüdischen Gotteshäusern kennen die USA nicht. Bowers, der in einem Vorort Pittsburghs lebt und sich in Squirrel Hill bestens ausgekannt haben dürfte, stieß offenbar auf keinerlei Widerstand, als er um sich zu schießen begann. Bewaffnet war er mit einem Sturmgewehr des Typs AR-15 und drei Glock-Pistolen. Ehe Spezialeinheiten der Polizei am Ort des Verbrechens eintrafen, hatte er elf Menschen getötet. Acht Männer und drei Frauen, das jüngste Opfer 54, das älteste 97. Darunter ein Ehepaar, Sylvan und Bernice Simon, er 86, sie 84. Darunter zwei Brüder, Cecil und David Rosenthal, der eine 59, der ande- re 54 Jahre alt. Zwei weitere Synagogenbesucher wurden verletzt.
In über zwei Jahrzehnten im Dienst, so beschrieb es später Robert Jones, der Chef des Ermittlerteams des FBI, habe er keinen derart entsetzlichen Tatort gesehen. Bill Peduto, der Bürgermeister Pittsburghs, sprach vom schwärzesten Tag in der Geschichte seiner Stadt. „Dies war, um es klar zu sagen, ein Ereignis des 21. Jahrhunderts. Schüsse in einem Gotteshaus“, schrieb David Shribman, der Chefredakteur der Pittsburgh-Post Gazette. „Und Verwirrung. Verwirrung darüber, was es bedeutet und ob das vergiftete politische Umfeld es verursacht hat oder eher widerspiegelt.“
Als Bowers das Gebäude verließ, versuchten ihn Polizeibeamte zu stoppen. Drei von ihnen verletzte er bei einem Feuergefecht, während er zurück in die Synagoge rannte, wo er sich im dritten Stock verbarrikadierte. Nach ungefähr 20 Minuten, so das FBI, gab er auf und wurde, selber verwundet, in ein Krankenhaus gebracht.
Nach Informationen der Pittsburgh Post-Gazette gab der 46-Jährige in ersten Verhören zu Protokoll, er wolle, dass alle Juden sterben. Die Juden hätten einen Genozid an„seinem Volk“zu verantworten. Zuvor hatten rechte Blogger die bizarrsten Gerüchte gestreut, darunter eines, wonach der Milliardär George Soros, ein aus Ungarn stammender Holocaust-Überlebender, eine durch Mexiko in Richtung US-Grenze ziehende Migrantenkarawane finan- ziert haben soll. Soros war es auch, an dessen Adresse Cesar Sayoc, ein glühender Trump-Fan aus Florida, vor wenigen Tagen die erste von 14 Briefbomben schickte. Womöglich hat es dazu beigetragen, Bowers‘ Hass auf die Spitze zu treiben.
Das Southern Poverty Law Center, eine Bürgerrechtsinitiative in Alabama, vergleicht das Massaker mit vorausgegangenen rassistisch motivierten Gewalttaten in religiösen Einrichtungen. Darunter die Schießerei in der Emanuel Church, einer afroamerikanischen Kirche in Charleston, wo ein weißer Überlegenheitsfanatiker 2015 neun Gläubige erschoss. Darunter auch der Überfall auf einen Sikh-Tempel in der Nähe von Milwaukee, bei dem 2012 sechs Menschen starben. Nach einem Bericht der Anti-Defamation League (ADL), die sich dem Kampf gegen die Diskriminierung von Juden verschrieben hat, ist die Zahl antisemitischer Zwischenfälle im vergangenen Jahr, dem Jahr des Amtsantritts von Trump, gegenüber dem Vorjahr um 57 Prozent gestiegen. Dies, so die ADL, sei der steilste Anstieg seit dem Ende der Siebziger, als man mit den Statistiken begann.
Trump sprach in einer ersten Reaktion von einer „schrecklichen, schrecklichen Sache, was mit dem Hass in unserem Land und überall in der Welt passiert.“Wäre die Synagoge von Bewaffneten bewacht worden, wäre vielleicht niemand ums Leben gekommen, sagte der Präsident, bevor er Stunden später auf einer Kundgebung im ländlichen Illinois erklärte: „Wir alle müssen zusammenarbeiten, um das hässliche Gift des Antisemitismus aus unserer Welt zu entfernen“.
Abgesehen von der häufig wiederholten Forderung nach bewaffneten Wächtern habe Trump an diesem Tag die richtigen Worte gefunden, applaudierte Adam Schiff, ein Demokrat aus Kalifornien, im US-Kongress einer der prominentesten Abgeordneten jüdischen Glaubens. Nur reiche es eben nicht, an einem einzigen Tag das Richtige zu sagen, wenn man an allen anderen die Spaltung der Gesellschaft schüre. „Es ist der Präsident, der den Ton der Debatte bestimmt“, mahnte Schiff. „Und die Kernfrage ist, welches Klima wir mit diesem Ton in unserem Land schaffen.“