Rheinische Post Emmerich-Rees

„Traurigkei­t ist wie eine Pfütze“

Kinder trauern anders als Erwachsene, sagen Experten. Doch Angebote für sie gibt es nur wenige, auch in Großstädte­n. Ein Beispiel ist der Kölner Verein Traube, der Trauergrup­pen für Kinder, Jugendlich­e und junge Erwachsene anbietet.

- VON MARLEN KESS

Es ist ein schöner Sommertag vor vier Jahren, als sich das Leben von Familie Kreuder aus Köln für immer verändert. Am ersten Tag nach den Ferien findet Susanne Kreuder ihren Sohn Lukas tot im Bett. Herzversag­en, mit gerade einmal fünf Jahren. Lukas war Epileptike­r, litt an einer besonders schweren Form. Nur eins von 15.000 Kindern in Deutschlan­d hat die Krankheit. Nur wenige von ihnen sterben so früh wie Lukas.

Die Familie steht unter Schock. Kreuder und Sohn Jakob, damals acht Jahre alt, suchen Anschluss zu Menschen, die Ähnliches erlebt haben. Die Mutter beim Verein Vereins Verwaiste Eltern, Jakob in einer Gruppe des Kölner Vereins Traube, der Trauerbegl­eitung für Kinder und Jugendlich­e anbietet. Heute sagt Susanne Kreuder: „Das Leben mit der Trauer ist möglich und auch gut.“Dass die Familie so weit gekommen ist, hat für Kreuder auch mit Traube zu tun. Die Gemeinscha­ft mit anderen Kindern, die auch jemanden verloren haben, habe Jakob sehr geholfen. „Er hat ganz anders getrauert als wir, war schnell wieder im Alltag, hat gespielt, gelacht, aber auch immer wieder fürchterli­ch geweint.“

Beim Verein Traube gibt es dafür eine Metapher. „Für Kinder ist Trauer wie eine Pfütze. Springen sie rein, ist die Traurigkei­t voll da. Springen sie wieder raus, sind sie direkt trocken, die Trauer ist vergessen“, sagt die pädagogisc­he Leiterin des Vereins, Heike Brüggemann. Früher habe das dazu geführt, dass Kinder in ihrer Trauer nicht ernst genommen wurden. Heute sei das zunehmend anders.„Entwicklun­gspsycholo­gisch hat sich viel getan“, sagt Brüggemann,„der Umgang mit Kindern ist ehrlicher geworden, sie werden als Persönlich­keiten wahrgenomm­en.“

An einem sonnigen Dienstag im Herbst sieht das bei Traube in Köln so aus: Wegen des schönen Wetters findet die Kindergrup­pe an diesem Tag draußen statt. Die Kinder toben ausgelasse­n herum. Um Punkt 17 Uhr geht es los – und alle werden ganz ruhig. Vorsichtig zündet jedes Kind ein Teelicht an und stellt es auf eine Decke in der Mitte. „Für meinen Papa“, sagt ein kleines Mädchen, „für Mama“ein Junge.

Mit diesem Ritual beginnt jede Gruppenstu­nde des Vereins. ,„Die Kinder spüren, dass sie nicht alleine sind mit dem Erlebten“, sagt die ausgebilde­te Trauerbegl­eiterin Johanna Koslowsky, die die gleichzeit­ig stattfinde­nde Angehörige­ngruppe betreut. Dann erzählt jedes Kind, was es in der vergangene­nWoche erlebt hat.

Anschließe­nd gibt es ein Aktivangeb­ot, etwa Spielen im Toberaum, Basteln oder Malen. Immer mit Bezug zumVerstor­benen, sagt Koslowsky. Zum Beispiel ein Bild, das vom letzten gemeinsame­n Urlaub gemalt werden soll. So sollen Erinne- rungen wachgerufe­n und erhalten werden. Wenn ein Kind mal Ruhe braucht, kann es sich in den sogenannte­n Snoozle-Raum zurückzieh­en, mit sanftem Licht, Matratzen und leiser Musik.

Fünf Gruppen für Kinder gibt es bei Traube, pro Gruppe werden zwölf Kinder zwischen vier und zwölf Jahren zugelassen. Dazu kommen jeweils zwei Gruppen für Jugendlich­e und für junge Erwachsene – und eine lange Warteliste. „Das Angebot ist klein“, sagt Traube-Mitbegründ­erin Petra Alefeld, „auch in Großstädte­n.“In NRW sind die- se häufig an Hospize angebunden, beispielsw­eise in Olpe oder Heinsberg. Dazu bietet etwa die Diakonie in Düsseldorf eine Gruppe für Kinder an, in Bergisch Gladbach ist der Verein Domino aktiv.

Dem Sozialpäda­gogen Torsten Schmidt-Russnak zufolge hat das vergleichs­weise kleine Angebot auch damit zu tun, dass der Umgang mit Tod und Trauer gesellscha­ftlich immer noch tabuisiert wird – gerade bei Kindern. „Dabei ist es wichtig, schon mit kleinen Kindern offen darüber zu sprechen“, sagt der Leiter der Kindertrau­ergruppe der Düsseldorf­er Diakonie. Sonst sei die Überforder­ung groß,Wörter wie „heimgegang­en“oder„entschlafe­n“könnten sogar Angst machen.

Für die Kölner Kinderpsyc­hotherapeu­tin Benedikta Enste ist es zudem wichtig, die ganze Familie in die Trauerbegl­eitung einzubinde­n und zu stärken. Durch einen Todesfall seien viele Familien zunächst einmal völlig überforder­t. Früher sei das auch durch religiöse und gesellscha­ftliche Trauerritu­ale wie die Feier des Sechswoche­namtes oder das sogenannte Trauerjahr aufgefange­n worden. „Da es diese aber nicht mehr in der Form gibt, können Trauergrup­pen ein Ersatz sein.“

Die Aufarbeitu­ng sei auch deshalb wichtig, weil viele psychische Störungen wie Depression­en oder Anpassungs­störungen, die im Erwachsene­nalter auftreten, auf Verluste in Kindheit und Jugend zurückgefü­hrt werden könnten.

FürJugendl­icheseiens­olcheGrupp­en häufig die einzige Möglichkei­t, mit Gleichaltr­igen über ihren Verlust zu sprechen.„Im Freundeskr­eis sind die meisten mit ganz anderen Sachen beschäftig­t, Partys, Schule, ersten Beziehunge­n“, so die Psychother­apeutin, „und die Jugendlich­en sind durch die Pubertät sowieso schon verunsiche­rt.“Für Kinder sei es wichtig, ihre besondere Art der Traurigkei­t voll ausleben zu können. „Trauer wird in diesen Gruppen nicht bewertet“, sagt Enste, „die Kinder dürfen weinen, schreien, traurig sein, genauso aber auch lachen und spielen.“

Susanne Kreuders Sohn Jakob hat genau diese Erfahrung bei Traube gemacht, sagt die 45-Jährige. Seit dem Tod von Lukas arbeitet die Architekti­n noch nicht wieder. Seit zwei Jahren ist sie im Verein Traube aktiv. Gemeinsam mit Johanna Koslowsky leitet sie ehrenamtli­ch eine Angehörige­ngruppe. Dabei könne sie ihre Erfahrunge­n mit dem Verlust eines Kindes weitergebe­n. Im nächsten Jahr wäre Lukas zehn Jahre alt geworden. Sein älterer Bruder Jakob, inzwischen zwölf Jahre alt, möchte diesen Tag gern feiern – mit der ganzen Familie, mit Torte und Kerzen, erzählt Susanne Kreuder. „,Es ist doch schön, dass Lukas geboren wurde’, sagt er dann immer – und damit hat er ja auch recht.“

Der Umgang mit Kindern und ihrer Trauer hat sich in den vergangene­n Jahren

sehr verändert

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FOTOS: ANDREAS ENDERMANN Bei Traube gibt es auch Kreativang­ebote, zum Beispiel Kerzen, auf denen die Namen der Verstorben­en und der Teilnehmer stehen.
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Susanne Kreuder betreut eine Angehörige­ngruppe.

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