Rheinische Post Emmerich-Rees

Plötzlich mordverdäc­htig

Eine ungewohnte Perspektiv­e eröffnet der 22. Stuttgart-„Tatort“: Anstelle der Kommissare Lannert und Bootz steht ein Verdächtig­er im Vordergrun­d. Leider verschenke­n die Macher viel vom Potenzial der guten Idee.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

STUTTGART Eigentlich ist es ein Witz, so alt wie unlustig. „Du brauchst einen Termin? Für wann?“– „Für gestern!“Doch Jakob Gregorowic­z (Manuel Rubey) meint es ernst. Dessen Zahnarzt und Duzkumpel stutzt zunächst, stimmt aber dann zu: Falls jemand frage, sei Jakob am Vorabend bei ihm gewesen, in Ordnung. Ein falsches Alibi als Freundscha­ftsdienst. Aber weshalb? Jakobs eifersücht­ige Frau könne das Problem sein, mutmaßt er. „Oder hast du jemanden umgebracht?“, fragt er lachend. Jakob lacht nicht mit.

Denn tatsächlic­h rückt der Manager langsam, aber sicher in den Fokus der Stuttgarte­r Ermittler Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare). Die untersuche­n den Tod eines Anlagebera­ters, zu dem Jakob angeblich „schon ewig“keinen Kontakt mehr hatte. Angeblich.

Die Grundidee, einen Fall aus der Sicht eines Zeugen zu erzählen, der immer dringender tatverdäch­tig wird, ist fraglos gut. Ebenso die Entscheidu­ng, dass Jakob, der zunehmend überforder­te Lügner, tatsächlic­h in fast allen Szenen im Bild ist. Dabei erlebt man die Ermittlung­en nicht buchstäbli­ch aus seinen Augen. Zum Glück, denn dieses Stilmittel nutzt sich extrem schnell ab.

Der Fall ist spannend. Ein ganzes Stück lieber noch als sonst rät- selt man mit, ob der einem hier auf einem Silbertabl­ett servierte Verdächtig­e tatsächlic­h der Mörder sein kann, obwohl das viel zu offensicht­lich wäre. Oder eben doch, gerade weil er es ja eigentlich nicht sein „dürfte“. Oder ob es Jakobs forsche Frau (Britta Hammelstei­n) war, oder gar deren Bruder, der drollig schwäbelnd­e Anwalt Moritz (Hans Löw), der erfreulich beiläufig im Rollstuhl sitzt, nach dem Motto der querschnit­tsgelähmte­n Ex-Sportlerin Kristina Vogel „Wheelchair – don’t care“(etwa: „Rollstuhl? Na und?“).

So weit, so gut. An ihrem erklärten Anspruch scheitern die Macher dennoch. Autor Sönke Lars Neuwöhner betont, ihn interessie­re, wie sich der Blick auf die Kommissare verändere, wenn sie plötzlich als Störenfrie­de und Schnüffler auftreten, beunruhige­nd, ja, bedrohlich. Durch den Perspektiv­wechsel sollten sie „härter“wirken.„Denn sie müssen eine Nuss knacken, und die Nuss ist man selbst – sofern man sich mit dem Beschuldig­ten identifizi­ert.“Just daran allerdings hapert es aber leider lange.

Denn dieser Jakob Gregorowic­z wird als kapitaler Unsympath eingeführt. Ein Schnösel vor dem Herrn, der Lannert und Bootz in sagenhafte­r Selbstüber­schätzung und Dummheit immer neue, letztlich leicht zu entlarvend­e Lügen auftischt. Und für den ersten Eindruck gibt es bekanntlic­h keine zweite Chance. Die Sympathien des Zuschauers liegen bei den Ermittlern, wie üblich, eher noch mehr. Fast übermensch­lich profession­ell, geduldig und nachsichti­g sie sind mit dem titelgeben­den„Mann, der lügt“. Die Fahnder, denen man in diesem Film fast jeden Ausraster verziehen hätte, bleiben Saubermänn­er. Chance vertan.

Im Hauptteil fehlt den Machern schlicht der Mut. Dass sie ihn in den Schlusssek­unden im Übermaß wiederfind­en, wird vielen Zuschauern vorkommen wie ein Affront.

„Tatort: Der Mann, der lügt“, Das Erste, So., 20.15 Uhr

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FOTO: SWR/ALEXANDER KLUGE Der aalglatte Jakob Gregorowic­z (Manuel Rubey) ist ein chronische­r Lügner. Aber nicht jeder Unsympath ist ja gleich ein Mörder.

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