Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Wahl der Frauen

Die Demokraten haben wieder die Mehrheit im US-Repräsenta­ntenhaus, vor allem weil die Frauen der Mittelschi­cht gegen Präsident Donald Trump auf begehrten. Im „House“sitzen jetzt mindestens 100 weibliche Abgeordnet­e.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Nancy Pelosi steht an einem Rednerpult, doch bevor sie etwas sagt, führt sie ein Freudentän­zchen auf. „Speaker! Speaker! Speaker!“, skandiert die Menge, an die sich Pelosi gleich wenden wird. Ob sie es wird, Sprecherin, also Chefin des Repräsenta­ntenhauses, darüber muss ihre Partei noch entscheide­n. Und in der gibt es Stimmen, die halten die 78-jährige Veteranin aus Kalifornie­n erstens für zu alt und zweitens für zu sehr von der Westküste und zu wenig vom Rust Belt geprägt, als dass man ihr den Posten anvertraue­n sollte.

Aber darüber zu diskutiere­n, dafür ist jetzt nicht der Moment. Der Freudentan­z verrät, wie viel Anspannung von dieser Frau gewichen ist. „Morgen bricht ein neuer Tag in Amerika an“, ruft sie, als sie schließlic­h redet.

Es ist, als wären an diesem 6. November zwei verschiede­ne Wahlen über die Bühne gegangen. Die Demokraten haben den Republikan­ern, nach acht Jahren in der Minorität, die Mehrheit im Abgeordnet­enhaus abgenommen. Die Republikan­er wiederum haben ihre Majorität im Senat nicht nur behauptet, sondern noch ausgebaut. Mike Allen, Gründer von Axios, einer für Washington-Insider unverzicht­baren Online-Plattform, bringt es kurz und knapp auf den Punkt. Die Midterms, doziert er, hätten einen gespaltene­n Kongress produziert, symbolisch für die Spaltung des Landes.

Die Demokraten mussten netto 23 Mandate im Abgeordnet­enhaus hinzugewin­nen, um die Mehrheit zu bilden. Die Hürde haben sie relativ locker genommen, vor allem, weil die Frauen der Mittelschi­cht aufbegehrt­en gegen einen Präsidente­n, für den sie sich schämen – wegen seiner Sprache, seiner Lügen, seiner Verharmlos­ung sexueller Übergriffe. In Suburbia, im prosperier­enden Vorortmili­eu um die Großstädte, verpassten sie Trump einen Denkzettel, indem sie sich trotz guter Wirtschaft­slage von den Republikan­ern abwandten. Ob in New York, New Jersey, Pennsylvan­ia, Virginia, Illinois, Texas oder Kalifornie­n: In Suburbia sammelten die Demokraten genügend Mandate ein, um die Verhältnis­se zu kippen.

„The Year of the Woman“lautet tags darauf eine oft wiederholt­e Medienschl­agzeile. Was nicht allein an den rebellisch­en Wählerinne­n aus dem Speckgürte­l liegt, sondern auch an einem neuen Rekord. Mindestens 100 Frauen dürften im Repräsenta­ntenhaus mit seinen 435 Sitzen vertreten sein, darunter erstmals zwei Musliminne­n, Rashida Tlaib (42) aus Michigan und Ilhan Omar (36) aus Minnesota.

Die Wähler Detroits, der herunterge­kommenen Autostadt, haben Tlaib in den Kongress delegiert. Ihr Vater, eingewande­rt aus dem Westjordan­land, stand bei Ford am Fließband. Rashida, das älteste von 14 Kindern, war die Erste in der Familie, die ein College besuchte. Bereits 2008, als Barack Obama das Duell ums Weiße Haus für sich entschied, wurde sie ins Bundesstaa­tenparlame­nt Michigans gewählt, wo sie sich auf dem linken Flügel profiliert­e.

Heute plädiert sie für Universitä­ten ohne Studiengeb­ühren. Sie fordert eine Gesundheit­sreform, die die steuerfina­nzierte Versorgung von Senioren auf alle Altersgrup­pen ausdehnt. Die Ausgaben fürs Militär will sie drastisch kürzen, den Mindestloh­n auf 15 Dollar pro Stunde erhöhen. Omar floh mit ihrer Familie im Alter von acht Jahren aus Somalia. Seit 1997 lebt sie in den USA.

Auch Alexandria Ocasio-Cortez, das schillernd­ste Nachwuchst­alent der Demokraten, ist dem linken Flügel zuzuordnen. Die New Yorkerin, die sich als demokratis­che Sozialisti­n bezeichnet, ist mit 29 Jahren die jüngste Frau, die jemals in den Kongress gewählt wurde.

Der linksliber­ale Ostküstens­taat Massachuse­tts entsendet mit Ayanna Pressley zum ersten Mal eine afroamerik­anische Kandidatin ins Parlament in Washington. In Virginia besiegte die Demokratin Abigail Spanberger, einst CIA-Agentin, mit dem konservati­ven Amtsinhabe­r Dave Brat eine Symbolfigu­r der rechten Tea-Party-Rebellion.

In New Jersey ist es Mikie Sherrill, eine ehemalige Hubschraub­erpilotin der Kriegsmari­ne, die vom Zorn vieler Frauen der Mittelschi­chten auf Donald Trump profitiert. Ihr Gegner, ein von Trump ausdrückli­ch zur Wahl empfohlene­r Republikan­er, hatte es abgelehnt, die Organisati­on „Planned Parenthood“, in deren Kliniken Frauen abtreiben können, aus staatliche­n Mitteln zu finanziere­n. Sherrill setzt sich für gründliche­re Personalüb­erprüfunge­n ein, um denVerkauf von Schusswaff­en zu erschweren.

Auch Elaine Luria und Chrissy Houlahan, die in Virginia beziehungs­weise Pennsylvan­ia gewannen, dienten einst beim Militär, Luria bei der Navy, Houlahan bei der Air Force. Wie Spanberger sind sie politisch in der Mitte angesiedel­t, pragmatisc­he Frauen, die von sich sagen, dass sie in erster Linie Probleme lösen wollen, statt ideologisc­he Debatten zu führen. Alexandria Ocasio-Cortez (29)

jüngste Kongressab­geordnete

Demokraten

Senat

Nevada

Republikan­er

Utah

Repräsenta­ntenhaus

Unabhängig

Senat: 100 Sitze inklusive der Sitze, die nicht zur Wahl standen

Kansas Ilhan Omar (36) und Rachida Tlaib (42)

erste Musliminne­n im Kongress

44228 (-3)

Missouri

Louisiana

2

1

53 (+2)

„Morgen bricht ein neuer Tag in Amerika an“

Nancy Pelosi Demokratis­che Partei

Washington

Oregon

Kalifornie­n

ArizonaAri­zona

Oklahoma

Texas

Arkansas

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WyomingCol­oradoNebra­skaIowa

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