Arbeitsagentur warnt vor Aus für Hartz IV
Behördenchef Scheele sieht Reformbedarf. Die Jusos wollen statt Sanktionen ein System aus Anreizen.
BERLIN Die 15 Jahre alte Agenda-Politik steht im Ruf, ein wesentlicher Faktor für die Stabilität der deutschen Wirtschaft gewesen zu sein. Trotzdem quält sie die Sozialdemokraten wie ein Gespenst. Besonders an der Reform des Arbeitslosengeldes, auch Hartz IV genannt, arbeitet sich die SPD bis heute ab. Ungerecht, veraltet, herabwürdigend, heißt es dann. Die SPD will Hartz IV abschaffen und ersetzen.
Aber wie? Darum rankt sich eine besonders kontrovers geführte Debatte, die spätestens zum derzeit für Ende 2019 geplanten Parteitag beendet sein soll. Dann soll ein Konzept auf dem Tisch liegen, das mit dem ewigen Spuk aufräumt.
Doch nun warnt der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, vor einem Abgesang auf Hartz IV. „Dies hilft vor allem denjenigen nicht, die darauf angewiesen sind: Die Art, wie über die Grundsicherung gesprochen wird, stigmatisiert diese Menschen eher“, sagte Scheele. „Für sie kann der Gang zum Jobcenter zu einer schlechten Erfahrung werden, weil sie überall hören, wie schlecht das System Hartz IV sei“, so der BAChef, der SPD-Mitglied ist. Er halte wenig davon, ein „funktionierendes und zuverlässiges System wie die Grundsicherung“ohne Not abzuschaffen, ohne eine konkrete Alternative bieten zu können.
SPD-Chefin Andrea Nahles hatte am Wochenende bei einer Veran- staltung ihrer Partei gesagt, dass es tiefgreifende Änderungen brauche. „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen“, sagte sie und kündigte eine„Sozialstaatsreform 2025“an. Rückendeckung bekommt sie dabei vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW). Dessen Chef Marcel Fratzscher sagte, Hartz IV sei ungeeignet für heutige Herausforderungen. „Deutschland hat einen ungewöhnlich großen Niedriglohnbereich, zu viele Geringqualifizierte und viel zu viele Menschen, die von Armut bedroht sind.“
Scheele wirbt hingegen für Reformen im System und stellt zunächst infrage, ob jemand, der 30 Jahre gearbeitet hat, behandelt werden soll- te wie jemand, der noch nie in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. „Unvernünftig ist es auch, dass junge Menschen in der Grundsicherung härter sanktioniert werden als ältere, im schlimmsten Fall bis zum Verlust der Wohnung. Das erschwert uns, den Kontakt zu den Jugendlichen zu halten.“
Juso-Chef Kevin Kühnert will diese Sanktionen anders als Scheele ganz abschaffen und schlägt stattdessen zusätzlicheVergünstigungen für Hartz-IV-Bezieher vor, die man bei Regelverstößen wieder streichen könnte.„Wer Anreize schaffen will, der sollte diese positiv ausgestalten, beispielsweise durch stärkere Vergünstigungen bei der Nutzung von Freizeitangeboten“, sagte Kühnert. Seiner Meinung nach könne eine Grundsicherung niemals relativierbar sein, sagte der Juso-Chef.
„Wie darüber gesprochen wird, stigmatisiert die Menschen“
Detlef Scheele Bundesagentur für Arbeit