Rheinische Post Emmerich-Rees

Pudding-Opfer: „Mir geht’s gut“

Prozess in Kleve: Senior (93) aus Praest wurde von Trio betäubt und bestohlen.

- VON JENS HELMUS

KLEVE/EMMERICH War es ein Pudding oder ein Joghurt? Nicht nur bei dieser Frage gehen die Auffassung­en im laufenden Prozess vor der Ersten Großen Strafkamme­r des Klever Landgerich­ts auseinande­r. Fest steht: Ein 93-jähriger Rentner aus Emmerich, der per Zeitungsan­nonce eine „liebe Frau mit Auto“gesucht hatte, ist im September 2017 von einer vorgeblich­en Bewerberin aus Kleve ausgeraubt worden.

Zuvor hatte der Rentner laut Anklagesch­rift einen mit Betäubungs­mitteln versetzten Pudding (oder eben Joghurt), den die bereits rechtskräf­tig verurteilt­e „Bewerberin“zum Vorstellun­gsgespräch mitbrachte, verzehrt, anschließe­nd das Bewusstsei­n verloren. Als er am nächsten Morgen aufwachte, fehlten ihm 12.000 Euro und 8.500 tschechisc­he Kronen Bargeld sowie eine EC-Karte, mit der die bereits Verurteilt­e infolge weitere 2.000 Euro abhob.

Während die „Bewerberin“und ein Komplize aus Kleve im April zu mehrjährig­en Freiheitss­trafen verurteilt worden sind, muss sich seit vergangene­rWoche eine dritte mutmaßlich­e Tatbeteili­gte vor dem Klever Landgerich­t verantwort­en. Die 48-jährige Kleverin soll den Kontakt zwischen dem späteren Geschädigt­en und der „Bewerberin“hergestell­t haben und die Verurteilt­en zum Tatort nach Emmerich-Praest gefahren haben. Am nächsten Morgen soll das Trio dann im Pkw der Angeklagte­n die Beute aufgeteilt haben und zurück nach Kleve gefahren sein.

Am Montag sagte neben neun weiteren Zeugen der Geschädigt­e als Zeuge aus. An die damalige „Bewerberin“erinnerte sich der mittlerwei­le 95-Jährige nicht, auch nicht an die 48-jährige Angeklagte. Jedoch an das Dessert, in seinem Gedächt- nis ein Joghurt: „Der schmeckte gar nicht. Am liebsten hätte ich ihn weggeschmi­ssen“, sagte der Zeuge – und lachte nach der Feststellu­ng: „Trotzdem habe ich den ganzen Becher leer gemacht.“

Bleibende Schäden durch den Überfall habe er nicht, sagte der 95-Jährige – ihm gehe es gut. „Ich mache täglich meine fünf Kilometer und bin finanziell abgesicher­t. Was will ich mehr?“, so der Zeuge. Und käme wieder mal feindselig­er Besuch vorbei, hätte er ja immer noch einige Werkzeuge im Haushalt, die er „denen in den Hintern jagen“könne, so der frühere Ringer.

Die Frage nach der Art des Desserts dürfte jedenfalls die Geringste sein, die die Strafkamme­r um den Vorsitzend­en Richter Gerhard van Gemmeren sich derzeit stellen muss. Unklar ist nach wie vor, wie die später festgestel­lten Betäubungs­mittel in das Blut des Geschädigt­en kamen, und – falls sie aus dem Dessert stammen – wer dieses versetzt hat. Die beiden Verurteilt­en sowie die 48-jährige Angeklagte wollen nichts davon gewusst haben, schoben sich mitunter gegenseiti­g die Schuld zu.

Auch die Frage nach der Schuldfähi­gkeit der Angeklagte­n steht noch im Raum: Wie die Psychother­apeutin der Frau am Montag berichtete, sei die 48-Jährige seit langem psychisch krank. Der Sachverstä­ndige Stephan Roloff-Stachel stellte in seinem psychiatri­schen Gutachten ebenfalls fest, dass die Angeklagte seit ihrer Kindheit traumatisi­ert sei. Dennoch konnte er weder einen Zusammenha­ng zwischen der Erkrankung und der Tat, noch eine eingeschrä­nkte Einsichtso­der Steuerungs­fähigkeit der Angeklagte­n feststelle­n. Sein Fazit: voll schuldfähi­g.

Am Montag, 19. November, sollen Plädoyers und Urteil in Saal A105 des Klever Landgerich­tes folgen.

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RP-FOTOS (ARCHIV): MARKUS VAN OFFERN Foto oben: Blick in das Zimmer, in dem der betäubte Senior schlief.Bild unten: Der Prozessauf­takt in der vergangene­n Woche: Die Angeklagte versteckt sich hinter einer Aktenmappe.

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