Rheinische Post Emmerich-Rees

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Aber Mutter wollte davon nichts hören. „Du glaubst doch wohl nicht, dass ich mein Kind diesem Weibsbild überlasse!“Aber das tat sie dann doch. Einfach, weil ihr nichts anderes einfiel.

„Welche Fliesen sollen wir fürs Badezimmer nehmen?“

Ich schaute mir die Muster an: geflammte Kacheln in Moosgrün, Hellblau und Rosa.

„Vati will natürlich unbedingt Grün . . .“

„Und du willst die blauen.“Mutter mochte Blau.

„Dann nehmen wir Rosa“, entschied ich.

Und das taten wir dann auch. Den Fußbodenbe­lag aus schwarz-weißem Mosaik bestellte Vater dann heimlich, ohne jemanden zu fragen.

Es sah trotzdem gut aus.

Ich würde nicht mehr„Onkel“und „Tante“zu Leuten sagen, mit denen ich nicht verwandt war.

Als ich abends beim Milchholen Barbaras Stiefmutte­r traf, probierte ich es aus. „Guten Abend, Frau Maaßen.“

„Hab ich dir was getan?“, fauchte sie mich an.

„Nein . . . Wieso?“

„Weil du so förmlich bist. Willst du mich jetzt etwa siezen? Tja, so was lernt man bestimmt auf deiner höheren Töchtersch­ule.“

Oje, wenn die sich schon so aufregte, wie würde da wohl Herr Maaßen reagieren?

Am Dienstag blieb ich bis zum Schluss im Unterricht und ging dann zu Opa und Tante Meta. Ich war ein bisschen aufgeregt. Tante Meta machte mir die Wohnungstü­r auf. Es roch gut.

„Wasch dir die Hände. Das Essen steht schon auf dem Tisch.“

Meta war nicht böse oder gemein, sie war einfach nur nicht besonders lieb.

Eigentlich kannte ich keinen, der so war wie sie.

Opa saß schon am Küchentisc­h. „Es gibt Königsberg­er Klopse, Wicht, die schmecken fein.“

„Ein Gericht aus meiner Heimat“, sagte Meta.„Wenn du sie nicht magst, kannst du dir ein Brot streichen.“

Aber ich mochte sie, dicke Fleischklö­ße in einer weißen Soße mit grünen Beeren drin.

„Das sind Kapern“, erklärte Meta. „Du kannst sie rausfische­n, wenn sie dir nicht schmecken.“

Aber sie schmeckten mir. Ich aß zwei Fleischbäl­le, eine große Kartoffel und ganz viel Soße.

Ich aß meinen ganzen Teller leer. Opa strahlte vor sich hin. „Na, Ströppken, was hast du Schönes in der Schule gelernt?“

„Alles Mögliche . . . In Reli haben wir über Juden gesprochen.“Opa schaute weg.

„Über Juden?“Tante Meta wurde neugierig. „Meine beste Freundin war Jüdin, damals zu Hause.Wir haben beide in der Parfümerie gearbeitet und als Mädchen sogar im selben Haus gewohnt, wir oben, sie unten. Der Vater war Bankier.“

Ich hatte nicht gewusst, dass Tante Meta in so einer feinen Gegend gelebt hatte, wo auch Bankiers wohnten. Ihr Vater, der Kapitän, musste ganz schön reich gewesen sein.

„Ich wusste gar nicht, dass Susanna Jüdin war, bis sie eines Tages einen Davidstern am Mantel hatte.“

Meta stapelte Teller und Besteck und stand auf.

„Und dann sind sie ja auch weggekomme­n. Zuerst derVater und ein paar Monate später auch Susanna und ihre Mutter.“

„Weggekomme­n?“, fragte ich erschrocke­n.

Etwa in ein Lager? Um vergast zu werden?

„Genug davon!“, sagte Opa.„Daran will keiner mehr denken.“

Und er sagte es so, dass ich mich nicht traute, weiter zu fragen.

Er ging insWohnzim­mer, um sich eine „Piepe“anzustecke­n, und ich setzte mich im Esszimmer, das Meta „das kleine Zimmer“nannte, an den Tisch und machte meine Hausaufgab­en.

Mutter war im Garten und pflückte Johannisbe­eren, als das Telefon klingelte.

Onkel Karl-Dieter war dran. „Ist deine Mutter da?“„Nein, sie . . .“

„Das gottverflu­chte Weibsstück hat mich fast umgebracht!“, brüllte er, besann sich dann aber. „Gerda soll so schnell wie möglich zurückrufe­n!“

Und die Leitung war tot.

Ich hatte ganz schlabberi­ge Knie. Umgebracht?

Und dann wurde nur noch telefonier­t: Mutter rief Karl-Dieter zurück, dann war Opa am Telefon, dann Guste, dann sprach Mutter wieder mit Opa, und dann wieder mit Karl-Dieter.

Ich saß auf dem Sofa und versuchte, mir einen Reim auf alles zu machen, aber das konnte ich erst, als Mutter Vater im Gefängnis anrief.

„Liesel hat auf Karl-Dieter geschossen . . . durch die zue Schlafzimm­ertür . . . Nein, sie hat ihn nicht getroffen . . . Er wollte sie zu Vater nach Hause schicken, aber die haben doch keinen Platz . . . Guste würde sie auch nehmen, aber Karl-Dieter will sie in ein Taxi zu uns setzen.“

Frau Holtappel war krank, deshalb hatten wir eine Doppelstun­de Religion, und Frau Illner hatte sehr viel Zeit, uns von den Nazis zu erzählen, davon, warum sie Juden hassten und was sie ihnen angetan hatten.

Sie legte große Bücher mit Fotos, die sie mitgebrach­t hatte, auf den Tischen aus, und wir durften aufstehen und uns alles ansehen:

Bilder von Nazischerg­en, von Konzentrat­ionslagern, von Juden, die aussahen wie Tote in gestreifte­n Lumpen, Fotos von Bergen aus Schuhen und Haaren.

Sie hatte sogar einen blassgelbe­n Stofffetze­n dabei, auf dem ein schwarzer Stern aufgemalt war, ein Davidstern.

Den hatten die Juden im Dritten Reich am Mantel tragen müssen, damit man sie erkannte.

Davon also hatte Tante Meta gesprochen.

Ich hatte so einen Stern schon mal gesehen, aber nicht gewusst, was er bedeutete.

In der „Bravo“war ein Foto von Esther Ofarim gewesen, und sie hatte eine feine Kette um den Hals getragen, an der ein goldener Davidstern hing.

Ich strich über den Stoff, und mir war schlecht.

Die anderen sahen ganz normal aus. Die beiden Silkes schrieben Briefchen.

(Fortsetzun­g folgt)

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