Rheinische Post Emmerich-Rees

Ein ganzes Leben in einem Koffer

Schon 51 Sammelabsc­hiebungsfl­üge hat es in diesem Jahr am Düsseldorf­er Flughafen gegeben. Im Durchschni­tt ist nur die Hälfte der angemeldet­en Personen an Bord. Die anderen haben sich der Abschiebun­g entzogen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Im Minutentak­t fahren am Flughafen Düsseldorf kleinere und größere Busse vor. Sie kommen aus ganz Nordrhein-Westfalen. Und an diesem Morgen sogar aus Hamburg und Niedersach­sen. Sie halten hinter einem schwer bewachten Tor am sogenannte­n Modul F des Flughafens, auch Notfall-Gate oder Sonder-Gate genannt, abseits der großen Terminals. Es sind zum Großteil junge Familien, die aussteigen, die meisten sehr kinderreic­h. Bundespoli­zisten nehmen sie in Empfang, helfen ihnen mit dem Gepäck. Es sind Männer, Frauen und Kinder mit serbischer oder mazedonisc­her Staatsange­hörigkeit, für die in Deutschlan­d kein Platz mehr zu sein scheint, obwohl manche schon seit den Balkankrie­gen der 90er Jahre hier sein sollen. Nun aber müssen sie zurück. Sie werden abgeschobe­n. Für manche in ein Land, das für sie fremd ist. Denn ihre Heimat, das ist für viele von ihnen längst Deutschlan­d.

Täglich werden am Düsseldorf­er Flughafen Menschen in Maschinen gesetzt, die keine Aufenthalt­serlaubnis mehr für Deutschlan­d besitzen und abgeschobe­n werden. Meistens handelt es sich um sogenannte Einzelmaßn­ahmen, bei denen einzelne Ausreisepf­lichtige in Begleitung weniger Bundespoli­zisten in normalen Linienflüg­en mit anderen Passagiere­n in ihre Heimat zurückgebr­acht werden. Hinzu kommen die Sammelabsc­hiebungen, die unregelmäß­ig ein- bis zweimal die Woche stattfinde­n und derzeit meist nach Belgrad (Serbien), Pristina (Kosovo), Tirana (Albanien) oder Skopje (Mazedonien) gehen. Sie fliegen getrennt von normalen Fluggästen in Chartermas­chinen. In diesem Jahr bis Ende Oktober gab es schon 51 Flüge ab Düsseldorf.

Vom Airport Köln/Bonn startete im selben Zeitraum nur ein Charterflu­g nach Pakistan. „Bei uns gibt es eigentlich nur Einzelmaßn­ahmen mit normalen Linienflüg­en“, sagt ein Sprecher der dortigen Bundespoli­zei. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind von Köln aus 157 Menschen abgeschobe­n worden, von Düsseldorf aus sind es 2668 Menschen gewesen – und damit 279 mehr als im ersten Halbjahr 2017.

Es ist ein kleiner Flughafen im Flughafen, zu dem die Öffentlich­keit keinen Zutritt hat. Im Sonder-Gate ist alles genauso angeordnet wie an normalen Terminals, nur eben etwas kleiner. Es gibt einen „Check-In“-Schalter, an dem der Personenab­gleich erfolgt und die die Dokumente auf ihre Echtheit und Gültigkeit geprüft werden. Es gibt die Personen- und Gepäckkont­rolle mit einem Band, auf dem die Rückzuführ­enden ihre Koffer stellen müssen. Und es gibt einenWarte­bereich mit Sitzplätze­n, in dem sie Platz nehmen können, bis ihr Flug aufgerufen wird. Ein Arzt, der auch mitfliegt, bestätigt den Rückzuführ­enden das sogenannte „fit for fly“. „Wenn jemand ein Medikament benötigt oder erkrankt ist, schaut er nach, ob die Reisetaugl­ichkeit gegeben ist. Wir wollen kein Risiko eingehen und einen medizinisc­hen Notfall an Bord vermeiden“, sagt Polizeihau­ptkommissa­r Norbert Hillenbran­d, der seit 19 Jahren bei Abschiebun­gen dabei ist. Die Beamten melden sich freiwillig für diesen Dienst.

Charterflü­ge nach Mazedonien und Serbien verlaufen in der Regel ohne größere Störungen. „Man muss schon sagen: Bei Balkanstaa­ten sind es viele Familien, da ist es ruhiger, entspannte­r“, sagt Anne Kister, Sprecherin der Bundespoli­zei am Düsseldorf­er Flughafen. Die vielen kleinen Kinder wüssten meist nicht, was vor sich gehe.„Sie werden von uns mit kleinen Kuscheltie­ren aufgemunte­rt und abgelenkt, damit sie möglichst nichts mitbekomme­n“, sagt sie. Wesentlich unangenehm­er seien Charter nach Afrika, weil dorthin überwiegen­d allein reisende junge Männer abgeschobe­n werden. „Das ist für Kollegen viel anstrengen­der, weil 95 Prozent von denen gar nicht in ihr Heimatland zurückwoll­en. Die haben den weiten Weg nach Europa gemacht und müssen jetzt wieder zurück. Sie wehren sich mit Händen und Füßen“, sagt Kister. Es gebe schon Nationalit­äten, die sich aggressive­r verhielten. Georgier, Armenier oder Afrikaner zum Beispiel.„Es gibt halt Typen, die sind einfach ein biss-

Norbert Hillenbran­d chen impulsiver, weniger geduldig“, sagt die Bundespoli­zistin. Aber dafür habe sie Verständni­s, schließlic­h könne sie die Beweggründ­e nachvollzi­ehen. „Aber es ist nun mal unsere Aufgabe, sie in den Flieger zu setzen und nach Hause zu bringen. Auch wenn das ein bisschen hart klingt“, sagt Kister.

Koordinier­t werden die Abschiebef­lüge bei der Bundespoli­zei in Potsdam, im sogenannte­n Referat 25. Dort wird festgelegt, wer wann über welchen Flughafen in Deutschlan­d abgeschobe­n wird. Sobald die Ziele feststehen, erfolgen europaweit­e Ausschreib­ungen, auf die sich die Airlines bewerben können. Das sei ein lukratives Geschäft für die Gesellscha­ften, sagt Hillebrand. Wie viel Geld die Airlines mit einem Charter verdienen, will er zwar nicht sagen. „Aber es lohnt sich schon für sie.“Die Fluggesell­schaften selbst gehen damit nicht hausieren – aus Imagegründ­en.

Die Bundespoli­zei, darauf legt sie großen Wert, sei bei den Abschiebun­gen nur das durchführe­n- de Organ. „Wir haben nichts mit dem Entscheid zu tun. Das ist alles schon vorher gelaufen“, sagt Kister. Zunächst entscheide­t das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e, kurz Bamf, ob ein Migrant in seinem Heimatland verfolgt wird oder nicht und erteilt dementspre­chend einen Aufenthalt­stitel oder eben keinen. Was dann mit dem abgelehnte­n Asylbewerb­er geschieht, ist Sache der Länder beziehungs­weise der Städte und Kreise. Damit fällt die Verantwort­ung in die Zuständigk­eit der Ausländerä­mter.

Und die Mitarbeite­r dieser Behörden kommen meist in den frühen Morgenstun­den. Immer dann, wenn die meisten Menschen, die abgeschobe­n werden sollen, noch schlafen. Man möchte möglichst wenig Aufsehen erregen. Die Menschen hinter den Türen, an denen die Beamten schellen, wissen manchmal nicht, dass sie an diesem Tag in ihre Herkunftsl­änder zurückkehr­en. „In manchen Fällen wird das genaue Datum nicht mitgeteilt“, sagt ein Mitarbeite­r einer lokalen Ausländerb­ehörde, der anonym bleiben möchte. Das sei immer dann der Fall, wenn die betroffene Person an ihrem geplanten Abschiebet­ag zuvor schon mehrmals nicht angetroffe­n werden konnte.

Viel Zeit bleibt den meisten nicht, um zu packen. In manchen Fällen muss ein ganzes Leben in einen Koffer passen, viel mehr als 20 Kilogramm an Gepäck darf nicht mitgenomme­n werden. Dann wird alles in den Kleinbus geladen, der draußen vor der Tür wartet und zum Flughafen fährt. In Düsseldorf erwartet die Bundespoli­zei an diesem Tag rund 130 Personen, am Ende werden es aber nur 45 Mazedonier und 53 Serben sein. „Man weiß nie genau, wie viele der Personen wirklich kommen. Im Durchschni­tt sind es nur rund 50 Prozent“, sagt Kister. Die anderen seien wohl nicht da gewesen, als man sie abholen wollte. Beim nächsten Mal werden sie nicht mehr vorher informiert.

ImWarteber­eich des Sonder-Gates ist es ruhig. Väter und Mütter sitzen dort mit Kindern auf dem Schoß, ein junger Mann schaut aufs Rollfeld. Neben ihm streiten zwei Kinder um eine Stoffpuppe. Nach und nach füllt sich der Raum. Immer mehr Menschen nehmen Platz. Niemand macht den anwesenden Bundespoli­zistenVorw­ürfe. Die meisten haben wohl resigniert. „Wir versuchen alles so menschenwü­rdig wie möglich zu gestalten“, sagt Hillenbran­d. „Wir haben hier nichts zu verstecken, auch wenn man uns das immer wieder vorwirft.“

Die Abschiebun­gen würden bewusst abseits des öffentlich­en Be- triebs durchgefüh­rt. „Es gibt viele, die sich dafür schämen. Die nicht möchten, dass andere sehen, dass man jetzt abgeschobe­n wird.“Deshalb sollen die Betroffene­n von Außenstehe­nden auch nicht angesproch­en werden. Die Abschiebeb­eobachter von der Menschenre­chtsorgani­sation„Human Rights“ und der Düsseldorf­er Diakonie sähen das nicht gerne, sagt Hillenbran­d.„Außerdem wollen die meisten das ohnehin nicht.“

Die Maschine nach Mazedonien und Serbien hebt planmäßig ab. Bereits am Abend wird sie zurück sein. Am nächsten Tag folgt der nächste Charter Richtung Balkan.

„Wir versuchen, alles so menschenwü­rdig wie möglich zu gestalten“

Polizeihau­ptkommissa­r

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN In der Maschine sitzen 45 Mazedonier und 53 Serben. Das Flugzeug bringt sie zurück in ihre Herkunftss­taaten. Den Namen der Airline haben wir unkenntlic­h gemacht, weil sie nach Angaben der Bundespoli­zei nicht mit Abschiebun­gen in Verbindung gebracht werden möchte.

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