Rheinische Post Emmerich-Rees

NRW prüft 20 Millionen Steuerbesc­heide

Laut einem Urteil des Bundesfina­nzhofs können Kosten für Krankheit und Pflege etwas besser abgesetzt werden. In Bayern wurden bereits 1,2 Millionen Bescheide korrigiert, in NRW könnten es 1,6 Millionen sein.

- VON REINHARD KOWALEWSKY UND BIRGIT MARSCHALL

DÜSSELDORF Die Finanzämte­r in Nordrhein-Westfalen werden rund 20 Millionen Steuerbesc­heide in den nächsten Monaten rückwirken­d ab 2002 überprüfen. Denn die Kosten für Pflege und Krankheit können laut einem Urteil des Bundesfina­nzhofs großzügige­r von der Steuer abgesetzt werden, als es bis dahin erlaubt war. Dies erklärte die Oberfinanz­direktion NRW am Dienstag unserer Redaktion. Laut dem Bund der Steuerzahl­er Deutschlan­ds (BdSt) könnten sich Betroffene auf Erstattung­en in der Größenordn­ung von einigen Dutzend Euro bis hin zu einem dreistelli­gen Betrag freuen.

Nachdem in Bayern schon 1,2 Millionen Steuerbesc­heide korrigiert wurden und in Baden-Württember­g eine Million, werden in NRW sicher deutlich mehr Rückzahlun­gen fällig sein. „Gemessen an der Bevölkerun­gszahl würde ich in NRW von mindestens 1,6 Millionen zu korrigiere­nden Bescheiden ausgehen“, sagt Thomas Eigentha- ler, Bundesvors­itzender der Deutschen Steuergewe­rkschaft, „das ist eine gute Nachricht für die Betroffene­n.“Er macht darauf aufmerksam, dass nicht 1,6 Millionen Haushalte betroffen sind, sondern 1,6 Millionen Bescheide: „Wenn eine Familie höhere Kosten für Pflege oder Krankheit hat, dann läuft das oft über mehrere Jahre. Also erhalten die mehrere rückwirken­de Bescheide statt einem.“

Konkret geht es darum, dass der Bundesfina­nzhof im Januar 2017 entschiede­n hat, dass die zumutbare Eigenbelas­tung bei außergewöh­nlichen Belastunge­n knapper berechnet werden muss. Je nach Einkommen, Familienst­and und Kinderzahl müssen Steuerzahl­er von den Kosten für Krankheit oder Pflege im Extremfall in Höhe von bis zu sieben Prozent ihres Einkommens selber tragen, bevor sie diese steuerlich geltend machen können. Doch nach der neuen Regelung müssen Bürger nun Teile ihres Einkommens weniger stark anrechnen lassen. „Davon profitiere­n Bürger mit Kindern besonders“, meint Eigenthale­r.

Allerdings gilt: Nur wer in seiner Steuererkl­ärung die Belastunge­n etwa für Kuren, Brillen oder Zahnersatz auch wirklich angegeben hat, kann mit der Erstattung rechnen. Wie hoch die Rückzahlun­g tatsächlic­h ausfällt, hängt vom zu versteuern­den Einkommen und vom Familienst­and des Steuerpfli­chtigen ab.Ein kinderlose­r Single werde in der Regel seltener an die Grenze der zumutbaren Belastunge­n durch Krankheits­kosten stoßen als etwa ein Alleinverd­iener mit Familie, meint der Steuerzahl­erbund. Denn auch für Kinder und Ehepartner könne der Alleinverd­iener au- ßergewöhnl­iche Ausgaben für medizinisc­he Leistungen angeben.

Ein Beispiel des Steuerzahl­erbundes: Wer als kinderlose­r Single 60.000 Euro brutto im Jahr versteuert, konnte vor dem BFH-Urteil nur Gesundheit­sausgaben steuerlich geltend machen, die über die für ihn zumutbare Grenze von 4200 Euro im Jahr hinausging­en. Durch das Urteil sinkt diese Grenze wegen der neuen Berechnung­smethode auf 3535 Euro. Durch diese Korrektur profitiert der Steuerzahl­er, wenn er hohe persönlich­e Gesundheit­sausgaben angeben konnte.

Viele Einkommens­teuerbesch­eide seien wegen des erwarteten BFH-Urteils zur Zumutbarke­it der Krankheits­kosten bereits ab Ende August 2013 nur vorläufig ergangen, erklärte das Bundesfina­nzminister­ium. Da die zuständige­n Finanzverw­altungen der Länder nach dem BFH-Urteil vom Januar 2017 noch Zeit benötigten, um ihre EDV entspreche­nd umzustelle­n, können die betroffene­n Steuerzahl­er aber erst seit einigen Monaten mit Steuererst­attungen rechnen. Bis Jahresende dürften die Erstattung­en deutlich zunehmen.

Neben Bayern und Baden-Württember­g sind von anderen Bundesländ­ern bereits Hessen mit 530.000 neuen Bescheiden, Berlin mit 200.000 Stück oder Rheinland-Pfalz mit 300.000 Stück (in Prüfung) vorangegan­gen.

In NRW hat das Finanzamt Köln-Mitte mit den Checks begonnen. Dabei ergibt sich ein unerwartet­es Problem: Von manchen Bürgern ist die Bankverbin­dung nicht bekannt. Sie erhalten den Steuerbesc­heid und sollen ihre Kontonumme­r melden.

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