Von der Garage auf den Weltmarkt
Der Maschinenbauer KHS ist 150 Jahre alt geworden. Passend zum Jubiläum ist diese Zahl: 150 Verpackungsanlagen verlassen jährlich das Werk in Kleve. Die Mitarbeiter identifizieren sich stark mit ihrem Unternehmen.
KLEVE (RP) Ein Tüftler und seine tüchtige Ehefrau errichteten in Kleve eine Ideenschmiede fürVerpackungsmaschinen. Schnell schafften sie es, mit Kisters von der Garagenfertigung zum weltweiten Innovationsführer – eine Erfolgsgeschichte mit vielen Hochs und wenigen Tiefs. 2003 wird das Unternehmen auf die KHS GmbH übertragen und vollständig in diese integriert. Nun feiert die Gruppe gemeinsam das 150-jährige Bestehen.
Gegründet wird Kisters 1957 von den Eheleuten Karl und Maria Kisters – er versierter Schlossermeister, sie Kauffrau mit ausgeprägtem technischen Verständnis. In Garagenfertigung mit zunächst zwei weiteren Angestellten werden Maschinen für die lokale Industrie gebaut, speziell für den Kinderschuhhersteller Elefanten, in dessen Schlosserei Kisters gelernt hat. Schnell wendet sich der Betrieb auch anderen Produkten zu, zum Beispiel für XOX, einen großen in Kleve ansässigen Produzenten von Süß- und Salzgebäck. Innerhalb weniger Jahre finden auch Schneidemaschinen für Lebkuchen oder Klebevorrichtungen für Pralinenschachteln, Waffelfaltautomaten so wie eine Erdnuss-Flips-Maschine Eingang ins Sortiment.
Nicht immer läuft alles gleich beim ersten Versuch glatt: Franz Grunenberg, der 1962 im Alter von 14 Jahren bei Kisters seine Ausbildung zum Schlosser beginnt, erzählt von einer Butterkeksmaschine: „Die Kekse kamen in Schächte und wurden mit Hilfe von Messern in die Kartönchen geschoben. Weil die Kekse damals aber nicht alle hundertprozentig gleich dick waren, gab es am Anfang schon mal Probleme. Wir haben die Maschine deshalb auch Keksbrechanlage genannt“, erinnert er sich.
Überhaupt sei Kisters ein äußerst humorvoller Mann gewesen: „Im Betrieb hatten wir eine Klingel, die montags immer so oft schellte, wie in derVorwoche Maschinen verkauft worden waren. Für jede Maschine war ein eigener Klingelton reserviert“, berichtet Grunenberg. „So war die gesamte Belegschaft nicht nur im Bilde darüber, wie viele, sondern auch welche Maschinen an den Mann gebracht worden waren.“Das Klima bei Kisters ist so fa-
miliär, dass die Mitarbeiter Chef und Chefin respektvollVater und Mutter nennen. Bei allem Spaß ist Kisters in erster Linie außerordentlich ernsthaft – und erfolgreich. Werner Os- ter absolviert hier ab 1970 seine Ausbildung als erster Elektrolehrling, in einem schnell wachsenden Unternehmen, das damals schon als fortschrittlich gilt: „In den Sechzigerjahren war Kisters in Deutschland der erste Hersteller von Verpackungsmaschinen. Damit hatte das Unternehmen auf dem deutschen Markt damals eine Alleinstellung inne“, weiß der frühere Director Project Processing, der 2017 nach 46 Jahren Betriebszugehörigkeit in den Ruhestand wechselt.
Obwohl das Unternehmen und seine Innovationen längst Weltgeltung haben, bewahren sich die Firmeninhaber ihren unkonventionellen Führungsstil: Karl Kisters akquiriert auf seinen Reisen Aufträge, die seine Techniker teils vor große Herausforderungen stellen – nicht nur, weil der Raucher das Maschinenlayout meist auf das Innenpapier seiner Finas-Zigaretten- schachteln zeichnet. Finden seine Konstrukteure einmal keinen Weg, seine Ideen umzusetzen, kommt Kisters montags selbst mit einer Lösung in den Betrieb, die er am Wochenende in der heimischen Garage entwickelt hat. Maria Kisters, zuständig für das kaufmännische Wohl der Firma, erscheint nie ohne ihren Hund im Büro – und wen der Boxer nicht mag, der wird bei Kisters nicht eingestellt.
Wer zur sprichwörtlichen Kisters-Familie gehört, bezeichnet sich stolz als Kisteraner, selbst dann noch, als die Belegschaft Mitte der Neunziger auf rund 500 Mitarbeiter angewachsen ist und das Unternehmen einen Umsatz von über 100 Millionen Euro jährlich erzielt. Um ihren altersbedingten Rückzug aus dem Betrieb vorzubereiten, verkaufen Karl und Maria Kisters, die nie eigene Kinder bekommen haben, 1987 nach langer und gründlich überlegter Suche 50 Prozent ihres Unternehmens an Klöckner Mercator Maschinenbau in Duisburg. Maßgebliches Kriterium ist die Hoffnung, dass am Standort Kleve auch weiterhin Verpackungsmaschinen gebaut werden und die Mitarbeiter ihre berufliche Perspektive behalten sollen. Fünf Jahre später verkaufen sie auch ihre noch verbliebenen Geschäftsanteile, ziehen sich aus dem operativen Geschäft ganz zurück und gründen mit dem Erlös aus dem Anteilsverkauf die gemeinnützige Kisters-Stiftung. 2003 wird das Unternehmen von Klöckner auf die KHS-Gruppe übertragen und vollständig in diese integriert.
Rund 4000 Verpackungsmaschinen aus Kleve sind heute weltweit in Betrieb, jährlich verlassen durchschnittlich 150 die Hallen an der Boschstraße. Der Standort hat nicht nur eine bewegte Vergangenheit, sondern ist auch für die Zukunft gut aufgestellt. Das zeigen nicht nur die durch 427 Patente geschützten Innovationen, auch die Mitarbeiter identifizieren sich noch immer stark mit ihrem Unternehmen – auch wenn der Boxer nicht mehr über die Einstellung entscheidet.