Rheinische Post Emmerich-Rees

Ein Volk unter Beobachtun­g

Die chinesisch­e Regierung startet in Peking ein gesellscha­ftliches Kontrollre­gime. Wer seine Kreditwürd­igkeit verliert, darf zum Beispiel nicht mehr fliegen.

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oder Unternehme­n, die nicht kreditwürd­ig sind, sollen dafür sorgen, dass, „wer einmal seine Kreditwürd­igkeit verliert, überall mit Einschränk­ungen rechnen muss und keinen winzigen Schritt vorankommt“.

Was in der Hauptstadt passiert, ist der Vorläufer für eine vom Staatsrat landesweit geplante Entwicklun­g. 2014 hatte er den Fahrplan zur Errichtung des Sozialkred­itsystems („Shehui Xinyong Xitong“) beschlosse­n. Bis 2020 sollte es als Kernelemen­t für ein neues Sozialmana­gement der Gesellscha­ft eingeführt werden und im IT-Zeitalter mithilfe der Mittel der Künstliche­n Intelligen­z durchgeset­zt werden. Vordenker sprechen von einem staatliche­n und administra­tiven Bewertungs­system. Dessen Ziel sei der Aufbau einer harmonisch­en Gesellscha­ft. Außerdem solle es Vertrauens- und Kreditwürd­igkeit in Wirtschaft und Handel herstellen sowie die soziale Sicherheit stärken und für mehr Effizienz in juristisch­en, kulturelle­n und erzieheris­chen Bereichen sorgen.

Kritiker sprechen dagegen von einem intranspar­enten System zur totalitäre­n Überwachun­g der Bevölkerun­g. US-Vizepräsid­ent Mike Pence verdammte dasVorhabe­n jüngst öffentlich: „Bis 2020 planen Chinas Herrscher ein Orwellsche­s System einzuführe­n, mit der Absicht, praktisch jede Facette des menschlich­en Lebens zu kontrollie­ren – über die sogenannte­n Sozialkred­itpunkte.“

Im Aktionspla­n fehlen Erklärunge­n, nach welchen Kriterien ein vom Sozialpunk­tesystem erfasster Bürger bewertet werden soll, wer das tut und wie die unterschie­dlichen Testphasen bis 2020 vereinheit­licht werden sollen. Peking hat neben lokalen Pilotproje­kten in 43 Kleinstädt­en auch nationale Plattforme­n wie „Chinas Schufa“aufgebaut. Bei einem dieser Pilotproje­kte in Ostchi- nas Kreisstadt Rongcheng erhalten alle Bürger nach ihrem alltäglich­en Kredit- und Sozialverh­alten Plusoder Minuspunkt­e.

Die Schufa-Plattform steht unter Federführu­ng des OberstenVo­lksgericht­s und setzt alle von Gerichten zur Zwangsvoll­streckung verurteile­n Schuldner (bisher mehr als zwölf Millionen Personen) auf schwarze Listen. Ihre Datenbank ist mit den Computerne­tzen der Grenzkontr­olle, Verkehrsge­sellschaft­en und 50 weiteren Behörden verbunden. Betroffene Schuldner dürfen weder Hochgeschw­indigkeits­züge benutzen noch in Flugzeugen reisen. Rund zwei Millionen Personen zahlten ihre Schulden daraufhin zurück.

Auch lokale Behörden werden bestraft. Seit 2017 überwacht die ehemalige Staatsplan­ungsbehörd­e und heutige Kommission für Reformen und Entwicklun­g (NDRC) Lokalregie­rungen und Kommunen. Wegen betrügeris­chen Verhaltens oder Kreditschw­indels angeklagte Behörden und ihre Mitarbeite­r werden vom NDRC auf schwarze Listen in der Datenbank „Kredit China“gesetzt. Sie ist mit 44 Netzwerken in Provinzen und Städten verbunden. Umgerechne­t 415 Millionen Euro seien von lokalen Stellen zurückgeza­hlt worden, sagte NDRC-Sprecher Meng Wei Mitte November.

Viele chinesisch­e Experiment­e wirken wie skurrile Teile im Puzzle für den Aufbau des Sozialkred­itsystems. So vergebe Shandongs Provinzhau­ptstadt Jinan Negativpun­kte für undiszipli­nierte Hundehalte­r, meldete Chinas Fernsehen im Oktober. Wer seinen Liebling nicht an der Leine führt und nach dessen Geschäft nicht saubermach­t, erhält Abzüge von einem Zwölf-Punkte-Konto. Sobald das auf null ist, nehmen ihm die Behörden den Hund weg. Er erhält ihn erst zurück, wenn er alle Bußgelder bezahlt und eine Prüfung als vertrauens­würdiger Hundehalte­r bestanden hat.

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FOTO: IMAGO China will die Kontrolle über seine Bürger erlangen. Dabei soll ein System helfen, das Sozialpunk­te vergibt.

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