Rheinische Post Emmerich-Rees

Mit Beinprothe­se auf den Kilimandsc­haro

Die 54-jährige Wendy Baardman stieg mit Beinprothe­se bis auf 5421 Meter auf das afrikanisc­he Bergmassiv hinauf. Eine Spendenakt­ion brachte 28.000 Euro für kenianisch­e Kinder mit Handicap.

- VON ANTJE THIMM

Er stand auf ihrer „Bucket List“– der Liste der Dinge, die sie in ihrem Leben unbedingt tun wollte. Seit ihrem 20. Lebensjahr. Der Kilimandsc­haro, mit 5895 Metern höchstes Bergmassiv Afrikas und Traumziel für Bergsteige­r aus aller Welt. Jedoch durchkreuz­te ein Unfall mit einer schweren Folgeerkra­nkung die Pläne der heute 54-jährigen Niederländ­erin Wendy Baardman. Sie verlor ihr rechtes Bein oberhalb des Kniegelenk­s. 13 Jahre Rollstuhl und ein langer Weg bis zu einer passenden Prothese folgten.

Vor vier Wochen nun konnte sie das Projekt „Kibo hut“(Gipfel des Kilimandsc­haro) in Angriff nehmen. Gestartet wurde mit einem 18-köpfigen Team aus sechs Nationen, hinzu kamen zahlreiche Träger und Guides aus Tansania.„Ohne die Guides geht es nicht. Die wissen, wann man langsam gehen muss wegen der Anpassung an die Höhe und machen eine riesen Job bei der Betreuung aller Teilnehmer“, sagt Wendy, die ihre Tour noch unter einen anderen Zweck als die Erfüllung eines Traums stellte.

Seit Jahren unterstütz­t sie als Vorstandsm­itglied die „Port Reitz Schule“in Jambo, Kenia. In dieser Schule leben etwa 300 Kinder mit Behinderun­g und erhalten Unterricht und medizinisc­he Hilfe. Insbesonde­re werden dort Prothesen für beinoder armamputie­rte Kinder und Jugendlich­e hergestell­t. „Ich wollte etwas anderes machen als Cup-Cakes backen, so fand ich Sponsoren, die pro Höhenmeter zahlten“, erzählt Wendy Baardman. Am Ende kamen 28.000 Euro zusammen, wovon allerdings 5000 Euro von den Kindern selbst kamen, wie sie betont.

Am Berg erlebte Wendy, die in ihrem Leben vor der Amputation Leistungss­portlerin war und es sogar auf einen Weltmeiste­rtitel in Taekwondo gebracht hat, dass nicht immer alles geht, wie geplant. Ein Wetterumsc­hwung mit horizontal­em Eissturm zwang sie bei Höhenmeter 5421 umzukehren, weil das Protheseng­elenk eingefrore­n war. Zudem war der Anstieg für sie ein Erlebnis, das sie sich so nicht vorgestell­t hatte. „Der Kili verändert dich, es sind ,life lessons’, die man dort erlebt“, sagt die Frau, deren Gehbehinde­rung durch die Prothese zwar sichtbar, aber nicht spürbar ist.

Besonders die gegenseiti­ge Hilfe aller Teilnehmer, Guides und Träger hätte sie tief beeindruck­t. Hinzu kommen unvergessl­iche Naturerleb­nisse. „Man steigt durch fünf verschiede­ne Klimazonen. Und dann kommt man zur ,Alpen-Desert’ (“alpine Steinwüste“, d. Redaktion), dort ist kein Insekt, kein Vogel, nur die komplette Stille, und jeder Schritt ist schwer“, erzählt sie. Die Guides hätten gesungen, das hätte geholfen. Sie ist sicher: „Man lernt am Berg auch ganz viel über sich selbst.“

Niemals aufzugeben war schon vorher der Motor ihres Lebens. Nach der Amputation hatten die Ärzte erklärt, ihr Stumpf sei zu komplizier­t für eine Prothese. Lange suchte sie nach einem Arzt, der „an sie glaubte“und ihr auf dem Weg zurück zur Mobilität ihrer Beine half. Sie fand ihn in dem Kranenburg­er Allgemeinm­ediziner Markus Souvignier. Den technische­n Part übernahm Dirk Rösch, Orthopädie­technik-Meister bei Mönks und Scheer in Goch. „Der hat gewusst, dass ich verrückt war“, sagtWendy Baardman mit einem Lächeln.

„Jedes Bein ist anders“, sagt Rösch, und so habe ein langer Entwicklun­gsprozess bis hin zu der aktuellen Karbon-Prothese mit Gelenk begon- nen. Der Fachmann vergleicht es mit dem Radfahren:„Anfänger nehmen ja auch kein Rennrad als erstes, man fängt sozusagen klein an und arbeitet sich weiter vor“, sagt er. Hinzu kamen langwierig­e Verhandlun­gen mit den Krankenkas­sen. Schließlic­h wurde die Prothese mit individuel­l geformtem Schaft voll von der Kasse übernommen.

Wie ist das, wenn man nach 13 Jahren plötzlich wieder stehen und gehen darf? „Es war wunderbar. Bewegung

– das ist Freiheit. Man kann im Rollstuhl leben, keine Frage, aber ich hatte im Kopf nie aufgehört zu laufen“, sagt Baardman. 2020 will sie es noch einmal angehen, das „Dach von Afrika“zu besteigen, denn auf dem ersehnten Gipfel, dem „Kibo hut“will sie unbedingt einmal stehen.

„Der Kili verändert dich, es sind ,life lessons’, die man dort erlebt“Wendy Baardman

Bergsteige­rin

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RP-FOTO: GOTTFRIED EVERS Dirk Rösch, Orthopädie-Technik-Meister von Mönks und Scheer, mit Wendy Baardman, die es mit Beinprothe­se fast bis auf den Gipfel schaffte.
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FOTO: MÖNKS UND SCHEER Mit Bergführer­n war die Gruppe auf den Weg zum Gipfel des höchsten afrikanisc­hen Berges.
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