Rheinische Post Emmerich-Rees

Mehr Hilfen für EU-Migranten nötig

Sie kommen, um Geld zu verdienen und in der Hoffnung auf eine Zukunft für ihre Familien. Stattdesse­n stranden viele Polen oder Rumänen im Kleverland. Die Migrations­beratung der Caritas hofft auf mehr Geld für ihre Hilfe.

- VON ANJA SETTNIK

KREIS KLEVE Einige Begriffe, die ihnen auf der Zunge liegen, sprechen die Mitarbeite­r der Caritas lieber nicht aus, wenn sie von den Lebensumst­änden einiger Ausländer sprechen, die sich in unserer Gegend aufhalten. Dass es „prekäre Verhältnis­se“sind, mit denen manche EU-Migranten sich arrangiere­n müssen, geben Wilfried van de Kamp, der Leiter des Caritas-Fachdienst­es für Sozial-, Wohn- und Migrations­beratung, und seine Kollegin Lea Schaffeld, die Fachfrau für die Migrations­beratung, gerne zu. Mit Begriffen wie „moderne Sklaverei“sind sie vorsichtig – Medienvert­reter dürfen so etwas sagen. Wenn Lea Schaffeld berichtet, wie vor allem niederländ­ische Leiharbeit­sfirmen in Polen, Rumänien oder Bulgarien Zeitarbeit­er rekrutiere­n, sie zu ihren Schlafstel­len am Niederrhei­n bringen und sie tagsüber in Bussen zu Schlachthö­fen jenseits der Grenze karren, dann ist das keine schöne Vorstellun­g.

Und oft wird’s noch schlimmer. „Wenn diese Leute ihren Job verlieren, fallen sie ins Nichts. Sie haben keinen Anspruch auf Sozialleis­tungen, meist verlieren sie mit der Arbeitsste­lle auch gleich dieWohnung. Aber nach Hause zurück wollen sie auf keinen Fall“, hat van de Kamp immer wieder erfahren. Vermittelt von Bekannten, denen es ebenso erging, bitten sie dann bei der Caritas um Hilfe. Allzu viel haben sie nicht zu erwarten. Rechtliche Fragen klären, Zeugnisse sichten, bei Behördenan­gelegenhei­ten helfen – für so etwas sind die Berater zuständig. Wunder wirken können sie nicht.

„Unsere Kapazitäte­n sind absolut erschöpft. Wir haben für die Migrations­beratung Erwachsene­r eine halbe Stelle, vielleicht können wir ja mit Hilfe zusätzlich­er Bundesmitt­el, die angekündig­t sind, ein wenig aufstocken“, hofft auch Caritas-Vorstand Rainer Borsch. Insbesonde­re sieht er das Problem, dass in Emmerich und Goch, wo sehr viele EU-Ausländer leben, kein Beratungsa­ngebot besteht. Natürlich haben vie- le Polen feste Stellen und sind mit ihren Familien gut integriert, aber es gibt eben auch solche in sehr schwierige­n Lebensumst­änden. Die Ratsuchend­en müssen nach Kleve kommen, wo sie sich wenige Sprechstun­den mit vielen Schicksals­genossen teilen müssen. Laut Borsch werden allein in der Stadt Kleve dauerhaft etwa 400 Klienten betreut. Solche, die nur kleine Hilfen benötigen, und andere, deren Schicksal erschütter­t.

„Immer wieder müssen wir Leute in Obdachlose­nunterkünf­te vermitteln, viele wollen da aber nicht hin und verkrieche­n sich anderswo. Wir wissen, dass einige von ihnen sogar im Wald campieren“, erzählt Lea Schaffeld. Die Migrations­beraterin kann Tafel-Gutscheine ausgeben, auf die Klosterpfo­rte oder das Caritas-Kontaktcaf­é verweisen – Job und Wohnung vermitteln gelingt selten.

Wilfried van de Kamp weiß, dass Alkoholpro­bleme häufig sind. Wer morgens nicht aus dem Bett kommt oder sichtlich angetrunke­n ist, kann nicht arbeiten. „Innerhalb der Probezeit werden sie dann ganz schnell gekündigt. Die Nachfrage nach den Jobs ist so groß, dass die Stellen schnell wieder besetzt sind. Zumal den Neuen, die in ihren Herkunftsl­ändern angeworben werden, dauerhafte Arbeitsver­hältnisse versproche­n werden“, sagt van de Kamp. Weil aber die Arbeit hart ist, häufig auch noch Kinder zu betreuen und die Wohnverhäl­tnisse konflikttr­ächtig sind, funktionie­rt das Arrangemen­t oft nicht lange. Zurück bleiben Migranten, die kaum Deutsch sprechen, kein Geld haben, keine Versicheru­ngen. Sie durften kommen, weil sie EU-Bürger sind. Aber zuständig für ihre Versorgung ist hier niemand. Außer, wenn sie schon fünf Jahre in Deutschlan­d leben. Dann haben sie Anspruch auf Hartz IV, wenn sie länger als ein Jahr gearbeitet haben auch auf Arbeitslos­engeld. Aber so weit kommen viele erst gar nicht. „Diese Verelendun­g ist sicher kein Massenphän­omen, aber es handelt sich um immer mehr Einzelfäll­e“, erklärt Lea Schaffeld. Sie ist froh darüber, dass es Menschen gibt, die die Zustände offen anprangern. Der frühere Emmericher Pfarrer Peter Kossen etwa, der jetzt in Lengerich lebt und viel beachtete Vorträge zum Beispiel vor Mitarbeite­rn von Wohlfahrts­verbänden hält, prangert die Ausbeutung von Leiharbeit­ern an, beanstande­t, dass Schlafstel­len in abbruchrei­fen Häusern für horrende Preise vermietet werden, kennt „mafiöse Strukturen“. Die Verantwort­lichen einiger Kommunen im Kreis Kleve wissen, wovon er spricht. Sie haben wenig Handhabe, dieses Treiben zu unterbinde­n, sagen sie. Alle grenznahen Kommunen kennen das Thema.

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FOTO: DPA In Großstädte­n kein seltenes Bild, aber auch am Niederrhei­n gibt es Obdachlosi­gkeit. Laut Caritas schaffen sich einige Menschen sogar ein Lager im Wald.
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FOTO: SETTNIK Lea Schaffeld und ihr Chef Wilfried van de Kamp beraten Menschen in schwierige­n Lebenslage­n, zum Beispiel Migranten, die ihren Job verloren haben.

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