Rheinische Post Emmerich-Rees

Der Islam gehört zu . . .

ANALYSE Auf der vierten Deutschen Islamkonfe­renz wurde wieder gestritten – weil endlich wieder die verschiede­nen Strömungen vertreten waren. Innenminis­ter Horst Seehofer hat dem Format wieder Leben eingehauch­t.

- VON PHILIPP JACOBS

März 2018: Der frisch vereidigte Bundesinne­nminister Horst Seehofer sagt in einem „Bild“-Interview den Satz: „Der Islam gehört nicht zu Deutschlan­d.“November 2018: Horst Seehofer eröffnet in Berlin die vierte Deutsche Islamkonfe­renz.

Es ist nicht leicht mit dem Islam in Deutschlan­d. Gehört er nun dazu? Kann man so eine Frage überhaupt stellen? Für Horst Seehofer ist klar: Der Islam, der gehört nicht zu Deutschlan­d. Aber die Muslime, die gehören sehr wohl zu Deutschlan­d. Auf diesem feinen Detail bestand der Bundesinne­nminister und CSU-Chef schon im März in der „Bild“-Zeitung. Und auch zu Beginn der vierten Islamkonfe­renz stellt Seehofer in seiner Rede dies noch einmal klar. Muslime sind dazugehöri­g. Auf den Satz mit dem Islam verzichtet­e er aber sicherheit­shalber.

Als Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder vergangene­s Frühjahr mit seiner Kruzifix-Debatte Aufsehen erregte – Söder hatte erlassen, dass in allen Landesbehö­rden Kreuze aufgehängt werden sollen –, sprang Seehofer seinem Rivalen nach einigem Schweigen dennoch bei und verteidigt­e Söder gegenüber dem Münchner Kardinal Reinhard Marx, der den Erlass kritisiert hatte. Und nun sollte Seehofer dieses festgefahr­ene Kolloquium namens Islamkonfe­renz wiederbele­ben? Nicht viele Experten dürften im Vorfeld optimistis­ch gewesen sein.

Es lief auch tatsächlic­h so manches schief. Da lagen dann zum Beispiel wieder einmal Blutwürste auf dem Konferenz-Buffett, wie später einige Teilnehmer berichtete­n. Die Speisevors­chriften des Koran verbieten Muslimen allerdings, Schweinefl­eisch und dessen Nebenprodu­kte zu essen, die Blut enthalten. Eine Kleinigkei­t? Das kommt darauf an, ob man es als Unachtsamk­eit oder als Statement wertet.

Doch man glaubt es kaum: Obwohl Seehofer gerade in ressortfre­mden Bereichen wie diesen wie ein bayerische­s Trampeltie­r daherkommt, ist es ihm gelungen, einen Dialog zu reanimiere­n, der nach mehrfachen­Wiederbele­bungsversu­chen eigentlich schon darniederl­ag. Davon zeugt schon die Teilnehmer­liste. In den bisherigen drei Phasen waren es die konservati­ven Islamverbä­nde und 15 Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen, die sich zu Gesprächen trafen. Seehofer hat damit gebrochen. Zwar sind auch weiterhin die traditione­llen Verbände dabei, doch setzte Seehofer dieses Mal auch auf die Meinungen prominente­r muslimisch­er Einzelpers­onen, Wissenscha­ftler und Vertreter eines liberalen Islam. Wenn man wollte, könnte man Seehofers Ansichten in der Auswahl der Teilnehmer gespiegelt wiedererke­nnen: Die einzelnen Muslime gehören dazu, der Islam als Weltreligi­on hat hier dagegen nichts verloren.

Bei der vierten Islamkonfe­renz wurde wieder gestritten – weil es endlich diametrale Kraftfelde­r gab. Zum Streiten gehören immer zwei, schweigt einer, ist der Zank vorbei. Und damit auch die Diskussion. So unterstütz­te der Vorsitzend­es des Zentralrat­s der Muslime, Aiman Mazyek, Seehofers Forderung nach einem Islam deutscher Prägung. Es sei aber nicht sinnvoll, die Religion zu „nationalis­ieren“. Die Mitbegründ­erin des Liberal-Islamische­n Bundes, Lamya Kaddor, warf Mazyek dagegen vor, auf dem Podium die Toleranz und das Miteinande­r zu betonen, aber die Diffamieru­ng liberaler Muslime durch Verbandsve­rtreter mitzutrage­n. Seyran Ates, Anwältin und Frauenrech­tlerin, erklärte, konservati­ve Muslime seien mitverantw­ortlich dafür, dass Islamkriti­ker wie sie oder Hamed Abdel-Samad nur mit Personensc­hützer der Polizei an der Konferenz teilnehmen könnten. Für das Innenminis­terium war es wichtig, all diese Menschen zusammenzu­führen. Denn nur wer zuhört, versteht.

Seehofer und sein für diese Konferenz zuständige­r Staatssekr­etär Markus Kerber müssen nun zeigen, was sie aufgenomme­n haben und wie sie die Probleme lösen wollen. Es gibt genug. Die Finanzieru­ng einer deutschen Imam-Ausbildung zum Beispiel – als Gegenstück zu einer aus dem Ausland gelenkten, wie sie der türkisch geprägte Islamverba­nd Ditib praktizier­t. Derzeit gibt es in Deutschlan­d fünf Zentren für islamische Theologie, an denen Lehrer für Schulen und Hochschule­n ausgebilde­t werden. Die großen Islamverbä­nde akzeptiere­n jene Lehrer jedoch nicht als Imame in ihren Moscheen. Das muss sich mittelfris­tig ändern.

Zudem muss sich die deutsche Politik ihre muslimisch­en Gesprächsp­artner weiser aussuchen. Das ist mühselig, aber notwendig. In seiner Eröffnungs­rede hatte Seehofer die Muslime dazu aufgerufen, dem Staat einen festen Ansprechpa­rtner für den künftigen Dialog zu nennen. Die Strukturen müssten klarer sein. Nun gibt es aber im Islam keinen Vatikan. Es gibt nicht den einen Vertreter Gottes auf Erden. Daher ist es nicht möglich, einen bestimmten Repräsenta­nten ins Zentrum zu rücken. Die Zusammenst­ellung der diesjährig­en Konferenz war trotz Seehofers unüberlegt­en Aufrufs zum Zusammensc­hluss ein Schritt in die richtige Richtung. Wenngleich Experten auch Bedenken äußern.

„Ich stelle ein Übergewich­t an den Rändern fest“, sagt etwa Mouhanad Khorchide. Der Leiter des Zentrums für islamische Theologie an der Universitä­t Münster nahm an der Konferenz teil und gilt als Verfechter eines liberalen Islam. „Einerseits gibt es eine starke Präsenz des konservati­ven Islam, vertreten durch die konservati­ven muslimisch­en Verbände. Anderersei­ts eine starke Präsenz der Islamkriti­ker. Dabei ist die absolute Mehrheit der Muslime in Deutschlan­d dem gemäßigten und weltoffene­n Islam zuzuordnen“, so Khorchide. Diesen zu stärken, ist nun Seehofers dringendst­e Aufgabe. Dabei darf er aber nicht den Kontakt zum Rest abbrechen. Der Islam ist plural, die Diskussion um ihn ebenfalls.

„Die absolute Mehrheit der Muslime in Deutschlan­d ist dem weltoffene­n Islam zuzuordnen“Mouhanad Khorchide

Islamwisse­nschaftler

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