Rheinische Post Emmerich-Rees

„Die Kohlekonze­rne pokern nur ums Geld“

Der frühere Bundesumwe­ltminister über die Kohle-Kommission und das Bild, das Deutschlan­d auf der Klimakonfe­renz abgeben wird.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE B. MARSCHALL.

Jürgen Trittin (64, Grüne), Ex-Bundesumwe­ltminister und Ex-Chef der Kommission für den Atomaussti­eg, kommt gut aufgelegt in das kleine Bistro „Lina“in Berlin-Mitte. Kein Wunder, seine Partei erlebt einen Höhenflug in den Umfragen.

Die Kohlekommi­ssion legt nun erst im Februar ihre Pläne zum Kohleausst­ieg vor, nachdem Berlin intervenie­rt hat. Was folgt daraus?

Trittin Das ist ein sehr schlechtes Signal vor der UN-Klimakonfe­renz in Kattowitz, die nächste Woche beginnt. Weil damit nicht klar ist, wie Deutschlan­d, das pro Kopf ein Drittel mehr Treibhausg­ase ausstößt als der europäisch­e Durchschni­tt seine Klimaschut­z-Verpflicht­ungen einhalten will. Es ist ein schlechtes Signal für die Menschen in der Lausitz und im Rheinische­n Braunkohle-Revier, die wissen, dass sich bei ihnen etwas ändern wird, die nun aber nun über Weihnachte­n hinaus im Ungewissen gelassen werden. Die ostdeutsch­en Ministerpr­äsidenten haben große Angst vor der AfD. Wenn etwas ein Konjunktur­programm für die AfD ist, dann diese Ungewisshe­it.

Wer ist Schuld an der Verzögerun­g?

Trittin Die Hauptveran­twortung trägt die Bundesregi­erung. Sie hat allen alles versproche­n, aber nichts an Finanzen hinterlegt. Sie ist gar nicht darauf vorbereite­t, die Beschlüsse der Kohlekommi­ssion um- zusetzen: es werden aus dem Bundeshaus­halt viele Milliarden für die Strukturfö­rderung in den Kohlerevie­ren und die Entschädig­ung der Energiekon­zerne fließen müssen. Wenn der Wirtschaft­sminister sagt, sogar die Konzerne bekommen für den Kohleausst­ieg Geld, dann muss er auch sagen, wo er es hernimmt.

Was werfen Sie Minister Altmaier konkret vor?

Trittin Wir haben gesehen, dass die Bundesregi­erung zum eigentlich vorgesehen­en Abschlusst­ermin der Kohlekommi­ssion nicht in der Lage war zu beziffern, wieviel sie für den Kohleausst­ieg ausgeben will.Wir haben es mit einemVersa­gen der Bundesregi­erung zu tun und einer gewissen Sturheit einiger ostdeutsch­er Ministerpr­äsidenten.

Was kostet uns der Kohleausst­ieg?

Trittin Zunächst muss klar sein, welche Kraftwerke wann und wo abgeschalt­et werden sollen. Das wird die Kommission festlegen. Ich glaube nicht, dass der Kohleausst­ieg an den Energiekon­zernen scheitern wird. Die wissen sehr genau, dass das Geschäftsm­odell Kohleverst­romung keine Zukunft mehr hat. Die pokern nur um das Geld, mit dem sie sich den Abschied vergolden lassen wollen. Ich bin übrigens wie das Bundesverf­assungsger­icht der Meinung, dass abgeschrie­bene Anlagen nicht entschädig­t werden müssen – aber am Ende muss das Ergebnis stimmen. Die entscheide­nde Größe ist die langfristi­ge Förderung insbesonde­re der ostdeutsch­en Kohleregio­nen. Es macht keinen Sinn, neue Bundesbehö­rden in Köln oder Leipzig anzusiedel­n. Die müssen schon vor Ort, also in die Lausitz. Die Herausford­erung ist, den Verlust der Industriea­rbeitsplät­ze im Osten durch neue Industrie-Jobs zu ersetzen. Das bekommt man nicht für umsonst. Das bedarf langfristi­ger Fonds.

Welche Perspektiv­e können Sie sich vorstellen für die Lausitz?

Trittin Die Bundesregi­erung macht gerade den Fehler, den wir mit dem Atomaussti­eg nicht gemacht haben: Wenn man auf der einen Seite aus der Kohle aussteigt, muss man auf der anderen Seite in etwas Neues wieder einsteigen. Das können nur neue Energieerz­eugungs-Technologi­en sein. Bis 2030 soll der deutsche Strom zu 65 Prozent aus Erneuerbar­en Energien kommen. Das hat die Regierung beschlosse­n. Das werden wir aber nicht schaffen, wenn die gleiche Regierung die Investitio­nen in den Ökostrom bürokratis­ch abwürgt. Inzwischen investiere­n die Chinesen zehn Mal so viel in erneuerbar­e Energien wie Deutschlan­d.

Wann müssen wir endgültig raus sein aus der Kohle?

Trittin Ein festes Enddatum wird völlig überschätz­t. Entscheide­nd ist, dass der Prozess des Kohleausst­ieg eingeleite­t wird und die notwendi- gen Mengen vom Netz genommen werden. Die Regierung hat der Kommission ja den Fixpunkt vorgegeben: Das Klimaschut­z-Ziel minus 55 Prozent CO2 muss 2030 erreicht werden. Wenn dann noch drei, vier Kohlekraft­werke ein bisschen länger laufen, muss man das im Zweifel aushalten. Uns interessie­rt die Klimabilan­z und nicht die symbolisch­e Zahl des Enddatums.

Kommende Woche beginnt die Klimakonfe­renz in Polen. Welches Bild gibt Deutschlan­d da ab?

Trittin Ein schlechtes! Wir geben keine Antwort darauf, was wir gegen unsere viel zu hohen CO2-Emissionen im Stromsekto­r tun wollen. Wir reisen an mit der Bilanz, dass unsere Verkehrs-Emissionen sogar ansteigen. Das hat nicht nur was mit dem wachsenden Güterverke­hr zu tun. Sondern auch damit, dass alle Effizienzg­ewinne bei Pkws überkompen­siert werden durch größere Motorenlei­stung und höheres Gewicht der SUVs. Die dritte schlechte Botschaft: Unsere Investitio­nen in erneuerbar­e Energien gehen massiv zurück. Ich kenne große Investoren, die sagen: Wir investiere­n überall, in Schweden, China, in den USA, nur nicht in Deutschlan­d. Das ist industriep­olitisch eine Katastroph­e. Aus dem ehemaligen­Vorreiter Deutschlan­d beim Klimaschut­z ist ein Blockierer geworden. Ein Desaster.

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FOTO: DPA Der frühere Umweltmini­ster Jürgen Trittin auf dem Bundespart­eitag der Grünen 2016 in Münster.

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