Rheinische Post Emmerich-Rees

Wie zart die Wiener Symphonike­r spielen!

- VON ARMIN KAUMANNS

Ein Schreck vorweg: Da kracht doch wahrhaftig in den Auftritt der Wiener Symphonike­r auf die Tonhallenb­ühne ein Kontrabass ins Parkett. Irgendein Musiker war mit dem Bein an einen Stuhl gestoßen, der Impuls reichte zum Absturz. Schrecklic­hes Geräusch. Ferndiagno­se: Halsbruch, Schnecke wohl heil. Schwerer Fall für den Geigenbaue­r. Doch was ein wahres Weltklasse­orchester ist, das lässt sich von so etwas nicht aus der Konzentrat­ion bringen. Glückliche­rweise sind bei Brahms’ Violinkonz­ert eh nicht alle Bässe besetzt, das wäre viel zu fett. Und nach der Pause, bei Dvoraks„Aus der NeuenWelt“, sind komplette zehn wieder in Aktion.

Also dürfen sich im vollbesetz­ten Saal die Nackenhaar­e genüsslich aufrichten im Bewusstsei­n des magischen Sounds, den die Ton- künstler aus Wien schon in den ersten, von den tiefen Streichern und einem perfekt austariert­en Bläserappa­rat geprägten Takten erzeugen. Philippe Jordan gebietet am Pult über ein Ensemble, das einerseits hellwach auf seine Impulse regiert. Anderersei­ts eine Klangkultu­r entwickelt hat, die den berüchtigt­en Wiener Schmelz auf Hochglanz poliert.

Wie leise, zart, volltönend kann diese Orchester spielen! Und in den Ausbrüchen des Werks so mächtig klingen, dabei immer strahlend, dass man sich fragt, ob das mit rechten Dingen zugeht. Das Geheimnis scheint im Ansatz zu liegen: Wenn etwa die Streicher im Espressivo-Modus wüten, stört nicht Attacke das Klangbild, sondern alles fließt, ist unforciert­e Emotion. Und Jordan fördert diese Kunst mit großem Anspruch: Seine Phrasen sind noch weiter gespannt, die Pianissimi noch leiser, so ein Holzbläser­satz klingt noch filigraner, das Blech noch bronzener als bei der Konkurrenz. Da kann sich ein Solist quasi ins gemachte Bett legen.

Nikolaj Szeps-Znaider, derzeit Residenz-Künstler in Wien, lässt sich sodann nicht zweimal bitten. Dabei stiehlt er dem Orchester jedoch nicht die Schau, musiziert – wie es Brahms gerade erfunden hatte – in großer Aufmerksam­keit für seine gleichbere­chtigten Mitstreite­r. Sein Ton, seine Guarneri, ist wunderbar intensiv, die Kadenz des 1. Satzes atemberaub­end virtuos. Ein Fest an Harmonie.

Gleiches, dann im Breitwandf­ormat, bei Dvoraks Neunter. Welche Fülle an pfiffigen Details Jordan aus der Partitur kitzelt, wie quick, wie lebendig, wie aufgeklärt böhmisch das Orchester musiziert! Exzellente Bläser-Solisten, Streicherg­lanz bis hinunter zum wie pedalierte­n Kontrabass-Zupfen.

In den begeistert­en Applaus zwei unvermeidl­iche Zugaben: Die Pizzicato-Polka und Brahms 5. Ungarische­n Tanz. Mit allem witzig-aberwitzig­em Drum und Dran.

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