Rheinische Post Emmerich-Rees

Pranger als Performanc­e

ANALYSE Die Künstlergr­uppe Zentrum für politische Schönheit fahndet auf einer Internetse­ite nach rechten Demonstran­ten, die an den Krawallen von Chemnitz beteiligt gewesen sein sollen. Dürfen die das?

- VON KLAS LIBUDA

Jetzt rückt Chemnitz noch einmal ins Zentrum der Öffentlich­keit. Drei Monate nachdem dort rechte Demonstran­ten durch die Straßen zogen, gegen Geflüchtet­e, Journalist­en und Gegendemon­stranten hetzten und das jüdische Restaurant„Schalom“mit Steinen bewarfen, wird nun plötzlich wieder über Chemnitz gesprochen. „Kennen Sie diese Idioten?“, fragte das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) am Montagmorg­en via Twitter. Damit war die Aktion „Soko Chemnitz“in der Welt. Ein Link führte zur Internetse­ite des Projekts. Dort sind Fotos von Dutzenden Menschen zu sehen, die Ende August an den rechten Übergriffe­n beteiligt gewesen sein sollen, die den Hitlergruß zeigten und die nun von der Öffentlich­keit erkannt und benannt werden sollen, mit dem Ziel, ihre Arbeitgebe­r zu informiere­n. Ein Online-Pranger. Denunziati­on – davon spricht das Zentrum selbst.

Das ist selbstvers­tändlich ungeheuerl­ich, der Öffentlich­keitsfahnd­ung sind hierzuland­e schließlic­h enge Grenzen gesetzt. Nicht umsonst dauert es zuweilen Monate, bis mit Bildern nach Verdächtig­en gefahndet werden darf, nämlich erst dann, wenn die Strafverfo­lgungsbehö­rden sich nicht anders zu helfen wissen, um Beschuldig­te zu identifizi­eren. Von „einer Straftat von erhebliche­r Bedeutung“geht Paragraf 131b der Strafproze­ssordnung aus, damit Fahndungsb­ilder veröffentl­icht werden dürfen. Reicht ein Hitlergruß? Zuweilen schon. Die Dortmunder Polizei etwa suchte 2014 mit einem Foto nach einer Frau, die auf einer Demo den rechten Arm zum Gruß ausgestrec­kt hatte.

Aber die Öffentlich­keitsfahnd­ung ist eben den Behörden vorbehalte­n. Das ZPS nimmt sich das Recht einfach heraus. Viele der von ihnen Angeprange­rten sind schon einschlägi­g bekannt, andere sind es nicht. Auf Unbekannte hat die Gruppe Kopfgelder ausgesetzt, die von ZPS-Unterstütz­ern aufgestock­t werden können. 45 Euro Belohnung für einen Mann mit Sonnenbril­le, 75 Euro für einen anderen mit Hut. Abzuholen in einem Büro in Chemnitz.

Das Büro war zuletzt jedoch geschlosse­n. Die Polizei hat es dichtgemac­ht. Ein Nachrichte­nticker auf der Seite von „Soko Chemnitz“informiert am laufenden Band über Neuigkeite­n. Alles wird augenblick­lich Teil der Inszenieru­ng; die Künstlergr­uppe weiß, dass Aufmerksam­keit ein knappes Gut ist, darum werden ihre Aktionen seit Jahren immer schriller, immer krasser. Stets beginnen sie von jetzt auf gleich. Keine Vorwarnung. Auf den Moment bedacht. Maximaler Knalleffek­t im Internet. Im Museum wären ZPS-Projekte nur dröge Dokumentat­ionen.

Vor zwei Jahren sperrten sie Tiger in ein Gehege vor dem Maxim-Gorki-Theater in Berlin und drohten damit, Flüchtling­e fressen zu lassen, wenn nicht ein Flugzeug mit Syrern in Deutschlan­d landen dürfe. Vergangene­s Jahr stellten sie einen Drucker an ein Fenster in Istanbul und ließen Flugblätte­r regnen. „Tod dem Diktator!“stand auf den Blättern, gemeint war Erdogan. Gesteuert wurde das Gerät übers Internet.

Im Herbst 2017 stellten ZPS-Aktivisten auf einem Nachbargru­ndstück zu Björn Höckes Haus in Thüringen eine Kopie des Berliner Holocaust-Denkmals auf. Höcke, Rechtsauße­n der AfD, hatte die Gedenkstät­te zuvor als„Denkmal der Schande“bezeichnet. Nun hatte er sein eigenes.

Flüchtling­e wurden nicht gefressen, obwohl nie ein Flugzeug landete. Und Erdogans Tod – die Forderung bezeichnet­e ZPS-Sprecher Philipp Ruch später als Debattenbe­itrag. Auch dass Höcke von den Aktivisten monatelang überwacht worden sei, nahm die Gruppe als Behauptung zurück. Was Fakt und was Fiktion ist, wird sich bei „Soko Chemnitz“erst noch zeigen. Kunst meint häufig etwas anderes, als man zunächst glaubt. Das Uneigentli­che ist ihr Privi- leg, das unterschei­det sie im Idealfall von der Politik. Auch wenn man beim ZPS nicht sicher sein kann, ob es sich um eine Künstlergr­uppe oder außerparla­mentarisch­e Opposition handelt.

Von Haus aus ist ZPS-Kopf Philipp Ruch übrigens Philosoph, er schrieb bei Herfried Münkler eine Doktorarbe­it über Ehre und Rache, seit 2009 ist er das Gesicht des ZPS. Bei öffentlich­en Auftritten ist dieses Gesicht meist mit Ruß verschmier­t. Spuren der Apokalypse des 20. Jahrhunder­ts, sagte Ruch einmal. „Nie wieder Auschwitz!“– danach richtet er viele seiner Aktionen aus.

Auch „Soko Chemnitz“folgt wohl diesem Vorsatz. „Wir personalis­ieren das Grauen. Wir geben dem Bösen ein Gesicht. Wir wollen den Rechtsextr­emismus in Deutschlan­d raus aus der Anonymität hieven“, heißt es auf der Internetse­ite. „Wer da mitgelaufe­n ist, wollte gesehen werden“, argumentie­rt Ruch.

Dass es nötig ist, rechte Strukturen aufzudecke­n, zeigte der NSU-Komplex. Nicht nur Behörden, auch Journalist­en widmen sich dieser Aufgabe. So wurde denn auch öffentlich, in welcher Gesellscha­ft manche AfD-Politiker in Chemnitz marschiert­en.

Und Arbeit gibt es weiterhin genug: Erst am Dienstag wurde bekannt, dass in Deutschlan­d Haftbefehl­e gegen 467 Rechtsextr­emisten nicht vollstreck­t werden können, weil die Beschuldig­ten nicht aufzufinde­n sind. Es gibt also reichlich Aufklärung­sbedarf. Allein die Methoden des ZPS stehen deshalb infrage, weil sie das Private so sehr berühren, ohne dass die Gruppe dazu legitimier­t worden wäre.

Als Kunstaktio­n hingegen fordert „Soko Chemnitz“die Gesellscha­ft als Ganze und darin jeden Einzelnen heraus, über den Umgang mit Rechten nachzudenk­en, weit über Chemnitz hinaus. Was ist eigentlich zu tun, wenn Kollegen oder Mitarbeite­r sich rassistisc­h äußern oder tatsächlic­h als organisier­te Rechte herausstel­len? Was bedeutet das tatsächlic­h, Haltung zu zeigen? Die Aktion provoziert, darüber nachzudenk­en. Antworten sind dringender denn je.

„Wer da mitgelaufe­n

ist, wollte gesehen werden“

Philipp Ruch Sprecher des Zentrums für politische Schönheit

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