Der große Wandel
Die CDU wird am Freitag eine neue Ära in ihrer Parteigeschichte einleiten. So oder so wird sie wieder konservativer.
BERLIN Wendezeit. In der CDU. Und wer weiß, vielleicht auch im ganzen Land. Nach fast zwei Jahrzehnten mit Angela Merkel an der Spitze gehen die Christdemokraten mit der Entscheidung über deren Nachfolge an diesem Freitag neue Wege – gleich, ob Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz oder Gesundheitsminister Jens Spahn gewählt werden wird. Die Volkspartei hat sich verändert nach acht Regionalkonferenzen mit einem beispiellosen internen Wahlkampf, der sogar im Ausland als ein vorbildhaft anständiger Umgang der Kandidaten untereinander beschrieben wird. Den Mitgliedern gefällt der neue demokratische Prozess, sie erwarten von nun an mehr davon: mehr Beteiligung, Transparenz, Erklärung.
Manchen haben die Auftritte der drei so gut gefallen, dass sie keinen von ihnen nach der Vorstandswahl verlieren wollen. Eine Doppelspitze ausgerechnet analog zu den Grünen wird mitunter gewünscht oder die enge Einbindung der Unterlegenen in Parteiführung oder Kabinett. Mit Angela Merkel als Kanzlerin wollen nach Angaben alle drei weiter- machen. Mit Merz oder Spahn als CDU-Vorsitzendem dürfte diese Zeit kürzer ausfallen als mit Kramp-Karrenbauer. Aber so oder so, die Ära Merkel geht zu Ende. Nachfolgend das Potenzial der drei Bewerber, über deren politische Zukunft 1001 Delegierte entscheiden:
Kramp-Karrenbauer Die 56-jährige Saarländerin nutzt ihre Nähe zu Merkel, um sich deren Anhängerschaft in der Partei zu sichern, und grenzt sich zugleich in der Migrationspolitik von ihr ab. Sie zeigt klare Kante, wo Merkel zurückhaltend bleibt, fischt am rechten Rand mit der Forderung, syrische Straftäter in ihre Heimat abzuschieben, widerspricht Merz nach dessen Äußerung über mögliche Änderungen des Grundrechts auf Asyl und stellt sich in der von Spahn angestoßenen Debatte über den UN-Migrationspakt hinter Merkel. Kramp-Karrenbauer ist eine gute Rednerin, aber sie braucht dafür die nötige Tagesform. Während der Regionalkonferenzen hatte sie die nicht immer. Sie ist breit aufgestellt: christlich-sozial, katholisch, konservativer als Merkel. Nach Umfragen in der Bevölkerung liegt sie vor Merz und Spahn. Das heißt aber noch nichts für die Partei. Dennoch: Kramp-Karrenbauer ist Sympathieträgerin. Schwer vorstellbar, dass sie, die 18 Jahre in der saarländischen Regierung war und Wahlen gewonnen hat, der CDU nicht mehr zur Verfügung stünde, wenn sie diesmal verliert. Ihre Perspektive sieht deshalb eher so aus: Entweder Parteichefin oder – nach einer langen oder kurzen Denkpause – ein Comeback.
Merz Der 63-jährige Sauerländer ist der Anti-Merkel. Wirtschaftsliberal, Lobbyist, seit neun Jahren nicht mehr in Bundestag und Parteistrukturen verankert. Die einen sehen darin eine Schwäche, weil er thematisch nicht immer sattelfest ist, die anderen werten es als Chance, weil er so neue Anstöße geben könne. Seine Schlangenlinie beim Grundrecht auf Asyl gilt auch seinen Unterstützern als ärgerliche Panne. Zumindest sei es kein guter Beleg für seine Behauptung, er könnte die AfD halbieren. Dass er nicht offen sagen mochte, Millionär zu sein, sei keine Glanzleistung gewesen, sagen selbst Merz’ Sympathisanten. Schwerer wiegt aber, wenn Menschen das Gefühl haben, ein reicher Politiker wisse nicht um die Nöte der Armen. Hier fällt ihm eine alte Geschichte mit einem nicht gezahlten Finderlohn für Obdachlose auf die Füße, die auf seinen Laptop gestoßen waren. Nach seinem Vorschlag, die Altersvorsorge über einen steuerlich begünstigten Aktienkauf anzusparen – mit „vier, fünf Euro pro Tag“–, wird ihm vorgehalten, nicht zu wissen, dass viele Menschen dafür kein Geld haben, erst recht nicht mehr als 100 Euro pro Monat. Merz ist aber der große Hoffnungsträger für die Konservativen, die nach 18 Jahren Merkel einen Neustart und mehr Gewicht für die Belange der Unternehmer wollen. Seine Perspektive: Parteichef oder zurück in die Wirtschaft. Wahrscheinlich.
Spahn Der 38-jährige Westfale wurde sofort zum Außenseiter erklärt, als Merz seine Kandidatur ankündigte. Politische Freunde wie Carsten Linnemann von der Mittelstandsvereinigung schwenkten auf Merz um. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der immer als Spahns Ziehvater galt, bereitete hinter den Kulissen die Rückkehr von Merz vor. Jetzt sagte er der „FAZ“: „Es wäre das Beste für das Land, wenn Friedrich Merz eine Mehrheit auf dem Parteitag erhielte.“Spahn, trotz seines niedrigen Alters ein erfahrener und kampferprobter Bundestagsabgeordneter, lässt sich aber nicht erschüttern. Bei den Regionalkonferenzen trat er locker auf, beschwor die CDU, den Menschen die Themen besser zu erklären. Seine Perspektive: Wenn er nicht Parteichef wird, bleibt er eben Gesundheitsminister. Er reklamiert für sich, was Merz und Kramp-Karrenbauer so nicht haben: Zeit. Er kann auch in vier Jahren Parteichef werden. Oder in acht. Oder in zwölf.