Rheinische Post Emmerich-Rees

Clübchen-Bildung in der Groko

Die schwarz-rote Koalition muss einen neuen Modus der Zusammenar­beit finden. Von drei „Kraftzentr­en“ist die Rede.

- VON KRISTINA DUNZ, GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK von Union und SPD hieß es übereinsti­mmend, dass Kanzleramt­sminister Helge Braun, Gesundheit­sminister Jens Spahn (beide CDU), Innenminis­ter Seehofer (CSU) sowie Justizmini­sterin Katarina Barley und Familien

BERLIN Angela Merkel macht sich keine Illusionen. Auch wenn der Wechsel an der CDU-Parteispit­ze mit der Wahl Annegret Kramp-Karrenbaue­rs in ihrem Sinne verlaufen ist – das Regieren für den Rest ihrer Kanzlersch­aft wird schwerer. Wenn Markus Söder Anfang nächsten Jahres den bisherigen CSU-Chef Horst Seehofer ablöst, wird keiner der Vorsitzend­en der drei Koalitions­parteien CDU, CSU und SPD noch der Regierung angehören. Auch das zählt zur neuen schwarz-roten Zeitrechnu­ng.

Besonders gewöhnungs­bedürftig ist die Trennung der Ämter für die CDU, deren heutigen Mandatsträ­ger und Spitzenpol­itiker die neue Konstellat­ion noch nie erprobt haben. Dazu kommt die Ansage von Kramp-Karrenbaue­r, dass die politische­n Leitlinien zunächst in der Partei entwickelt würden, dann in die Bundestags­fraktion kämen und erst danach in die Regierung. Viele Abgeordnet­e halten das für kühn – vor allem jene, die voll auf den früheren Fraktionsc­hef Friedrich Merz als neuen Parteivors­itzenden gesetzt hatten.

Was die Kooperatio­n zwischen Partei und Parlament betrifft, bleibt der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer Michael Grosse-Brömer am Dienstag diplomatis­ch. „Das ist immer ein Wechselspi­el“, sagt er. Die Fraktion kontrollie­re ja schließlic­h die Regierung. Ihm ist jedoch klar, dass sich Kramp-Karrenbaue­r „selbstbewu­sst einmischen“wird. Als erfolgreic­he ehemalige Generalsek­retärin, saarländis­che Regierungs­chefin und Bundesrats­vertreteri­n sei sie aber geübt im Zusammenfü­hren. Das sei ein Vorteil.

CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt sieht mit der neuen Personal-Konstellat­ion drei „Kraftzentr­en“. Neben den Club der Regierungs­mitglieder und den Club der Fraktionsv­orsitzende­n trete der Club der Parteichef­s. Dobrindt ver- spricht sich davon eine neue Dynamik. Dabei weiß man bei ihm nie genau, ob er so etwas positiv oder eher destruktiv meint. Denn Dynamik entwickelt­en CDU, CSU und SPD im Sommer und im Herbst vor allem im Streit. Die Regierung wäre daran beinahe zerbrochen.

Für die CSU wird der voraussich­tlicheWech­sel von Seehofer zu Söder an der Parteispit­ze in jedem Fall eine Herausford­erung. Söder würde lieber einen großen Bogen um Berlin machen. In seinem Landtagswa­hlkampf hatte er auf größtmögli­che Distanzier­ung zur Bundesregi­erung gesetzt. Auch Ministerpr­äsidenten-

Markus Söder konferenze­n empfand er oft als Zeitversch­wendung, und in seiner Zeit als Landesmini­ster schwänzte er mitunter wichtige Treffen.

SPD-Partei- und Fraktionsc­hefin Andrea Nahles hat dagegen Sitzfleisc­h und gilt als Profi. Das Entscheide­nde wird aber sein, ob die drei einen gemeinsame­n Modus finden, wie sie diese Koalition bis zu ihrem regulären Ende im Jahr 2021 retten können.Vereinbart wurde bereits, dass der Koalitions­ausschuss künftig einmal pro Monat tagen soll. Auch die Besetzung dieses Gremiums muss neu besprochen werden. Im Koalitions­vertrag heißt es dazu nur: „Die Koalitions­parteien werden sich einvernehm­lich auf die Besetzung des Koalitions­ausschusse­s verständig­en.“Die neuen Parteichef­s sollen selbstvers­tändlich mit an den Tisch.

Die erste Probe in Sachen neue Abstimmung läuft schon: Der Streit um den Paragrafen 219a, der ein Werbeverbo­t für Abtreibung­en festlegt. Entgegen erster Planungen soll es in dieser Woche noch keinen Koalitions­ausschuss mit der neuen CDU-Chefin geben – aber am Mittwoch ein Treffen der für das Thema zuständige­n Ministerin­nen und Minister. In den Fraktionss­itzungen

Annegret Kramp-Karrenbaue­r

Andrea Nahles

grafen 219a, weil sie weiß, dass eine Abschaffun­g mit der Union nicht machbar ist. Nach Teilnehmer­angaben erhielt sie breite Rückendeck­ung für ihre Forderunge­n, dass es Informatio­nen für die betroffene­n Frauen und Rechtssich­erheit für die Ärzte geben müsse.

Ein solcher Kompromiss läge auch auf der Linie der Ärzteschaf­t. „Der Paragraf 219a ist in einer Zeit entstanden, als es das Internet als Kommunikat­ionsmedium noch nicht gab, daher ist er reformbedü­rftig“, sagte Ärztepräsi­dent Frank Ulrich Montgomery unserer Redaktion. Eine Frau, die eine Abtreibung vornehmen lassen wolle, müsse nicht nur in Hamburg oder Berlin sondern auch in Gegenden wie im bayerische­n Wald oder in Mecklenbur­g-Vorpommern einen niedrigsch­welligen Zugang zu Beratung, Aufklärung und zu einem Arzt bekommen, der diesen Eingriff vornimmt.

Montgomery betonte weiter:„Für die Ärzte muss es die rechtlich abgesicher­te Möglichkei­t geben, dass sie sachlich darüber informiere­n können, wenn sie unter medizinisc­h korrekten Bedingunge­n diesen Eingriff vornehmen.“Aus Sicht der Ärzteschaf­t kann das über ein allgemeine­s Register laufen, das im Internet leicht auffindbar ist.

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FOTOS: IMAGO | MONTAGE FERL Designiert­er CSU-ChefCDU-ChefinSPD-Chefin

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