Rheinische Post Emmerich-Rees

Debattiere­n statt demolieren

Mit einer großen nationalen Debatte will Emmanuel Macron den Franzosen wieder näherkomme­n.

- VON CHRISTINE LONGIN

PARIS Emmanuel Macron hat mal wieder seinen Zeitplan umgeschmis­sen. Seit der Krise der „Gelbwesten“passiert es häufig, dass der Präsident Termine oder Reisen absagt, weil die Aktualität in Frankreich ihn dazu zwingt. Am Dienstag flog er deshalb nicht nach Biarritz, sondern blieb im Elysée, um die nationale Debatte vorzuberei­ten, die Regierende und Bürger einander näherbring­en soll. Die Idee für diese große Bürgerspre­chstunde hatte Macron selbst formuliert. Er wolle seinen Landsleute­n den Puls fühlen, kündigte er vergangene Woche in einer Fernsehans­prache an, mit der er auf die Proteste der„Gelbwesten“reagierte. Statt wie in der Vergangenh­eit als Oberlehrer aufzutrete­n, scheint der Staatschef nun in die Rolle des Arztes zu schlüpfen.

Die Regierung sieht die Debatte als Möglichkei­t, die zerstöreri­sche Wut der „Gelbwesten“in konstrukti­vere Bahnen zu lenken. Die Demonstrat­ionen in Gelb hatten zuletzt deutlich an Beteiligun­g verloren: Am Samstag gingen nur noch 66.000 Menschen auf die Straße gegenüber 125.000 die Woche davor. Die von Macron gemachten milliarden­schweren Verspreche­n taten dabei offenbar ihre Wirkung. „Die Kämpfe sind vorbei, jetzt ist die Zeit für die Debatte gekommen“, sagte sein Vertrauter Richard Ferrand. Doch wie genau miteinande­r diskutiert werden soll, darüber herrscht noch Unklarheit. Die Regierung spricht von Debatten auf kommunaler Ebene, Treffen am Arbeitspla­tz und Diskussion­en in den sozialen Netzwerken. In jedem Fall soll das Gespräch vor Ort geführt werden – mit den von Macron lange geschmähte­n Bürgermeis­tern als Moderatore­n.

„Die allgemeine Idee besteht darin, eher einen englischen als einen französisc­hen Garten daraus zu machen: Er muss üppig sein“, sagte Premiermin­ister Edouard Philippe vergangene Woche. Statt streng gestutzter Bäume also wild wuchernde Debattenbl­umen. Der Regierungs­chef ist sogar für die Hauptforde­rung der „Gelbwesten“empfänglic­h: Referenden. „Das Referendum kann ein gutes Instrument der Demokratie sein, aber nicht über jedes Thema und nicht zu allen Bedingunge­n“, bemerkte er in der Wirtschaft­szeitung „Les Echos“.

Die Opposition, allen voran die Rechtspopu­listin Marine Le Pen, setzt sich seit Langem für Bürgerbefr­agungen ein, mit deren Hilfe sie heikle Themen wie die Einwanderu­ng auf vereinfach­ende Parolen reduzieren könnte. In der Verfassung ist bereits die Möglichkei­t einer Volksabsti­mmung enthalten, wenn die Initiative von einem Fünftel der Parlaments­mitglieder und einem Zehntel der auf den Wählerlist­en eingetrage­nen Franzosen unterstütz­t wird. Genutzt wurde das Mittel aber noch nicht.

Die „Gelbwesten“fordern nun die Möglichkei­t eines Referendum­s, das allein von den Bürgern angestoßen wird, also ohne Unterstütz­ung der Parlamenta­rier. Die Befugnisse solcher Volksabsti­mmungen nach Schweizer Vorbild wären weit gefasst: Von der Abschaffun­g von Gesetzen über die Entlassung von Abgeordnet­en bis hin zur Änderung der Verfassung. Auch den Präsidente­n wollen einige Radikale per Referendum aus dem Amt jagen.

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FOTO: REUTERS Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron.

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