Rheinische Post Emmerich-Rees

Pausenbrot-Prozess: „Der Täter ist ein Irrer“

Im Prozess um vergiftete Pausenbrot­e sagten die Eltern eines Opfers aus. Der 26-Jährige ist im Wachkoma.

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BIELEFELD (dpa) Im Prozess um vergiftete Pausenbrot­e in einem ostwestfäl­ischen Betrieb haben die Eltern eines der mutmaßlich­en Opfer den körperlich­en Verfall ihres Sohnes geschilder­t. Anfangs habe er über Taubheit in den Fingern und Schlapphei­t geklagt. Wenig später habe er nicht mehr alleine laufen können und sei in die Uniklinik Münster gekommen, berichtete­n Mutter (51) und Vater (52) in dem Verfahren am Landgerich­t Bielefeld. In der Klinik stellten Ärzte schließlic­h die Diagnose Quecksilbe­rvergiftun­g. Ihr Sohn Nick liegt heute im Wachkoma und wird als Pflegefall mit schweren Hirnschäde­n zu Hause gepflegt. Eine Aussicht auf Besserung gibt es nicht.

Angeklagt ist Klaus O. (57) wegen versuchten Mordes in drei Fällen. Der Deutsche soll in den vergangene­n Jahren mehrere seiner Kollegen mit gefährlich­en Substanzen auf deren Pausenbrot­en vergiftet haben. Zu denVorwürf­en der Staatsanwa­ltschaft schweigt der Angeklagte bislang. Aufgefloge­n war der Fall, weil ein Kollege Substanzen auf seinem Brot gefunden und die Firmenleit­ung daraufhin eine geheime Videoüberw­achung installier­t hatte.

Ihr Sohn war bis zu der rätselhaft­en schweren Erkrankung ein sportliche­r junger Mann, schilderte­n die Eltern des inzwischen 26-Jährigen. Er arbeitete als Aushilfe während seines Studiums in seinem Ausbildung­sbetrieb in

Schloß Holte-Stukenbroc­k. Sein Vater: „Zwei Jahre nach der Lehre hat Nick ein Studium in Bielefeld angefangen. Er hatte Ziele, es fluppte. Ich war überrascht, dass er studieren wollte.“Sein Sohn sei als Realschüle­r kein Überfliege­r gewesen.

Die Verkäuferi­n beschrieb unter Tränen, wie sie anfangs ihren Sohn in Verbindung mit Drogen brachte. „Mein erster Gedanke war, dass er mit seinen Kumpels etwas angestellt hatte“, sagte die Mutter von drei Söhnen. In einer persönlich­en Stellungna­hme zum Abschluss ihrer Zeugenauss­age bezeichnet­e sie den Angeklagte­n als „Irren“. „Für seine Tat gibt es keine gerechte Strafe.“

Der Vorsitzend­er Richter Georg Zimmermann hatte vor der Zeugenauss­age angeregt, die Öffentlich­keit zum Schutz der Familie auszuschli­eßen. Ausdrückli­ch lehnte die Mutter dies ab. Das Paar schilderte, welche schwere Belastung die lange Ungewisshe­it bei der Ursachensu­che und die jetzige Pflegesitu­ation bedeuten.„Wir haben nach der Diagnose Quecksilbe­r rumgesponn­en, wir hatten zu Hause die Leitungen in Verdacht. Wir haben alles untersucht. Man spinnt sich etwas zusammen“, schilderte die Mutter.

Während der ältere Bruder des mutmaßlich­en Vergiftung­sopfers nach Angaben der Eltern mit der Situation inzwischen klarkomme, habe der jüngere große Probleme. Der 22-Jährige arbeite in dem Betrieb, in dem sein schwer kranker Bruder zuvor tätig war. „Er ist dort immer der Bruder von Nick.“

Zuletzt hatte die Familie wieder Hoffnung geschöpft, dann aber die Diagnose: Die Schäden am Gehirn sind noch schlimmer geworden. „Das war für uns ein großer Schock“, sagten die Eltern aus. Die Ärzte wagten keine Prognose: „Ein Arzt in Münster hat zu mir gesagt, eine Prognose? Das wäreWahrsa­gerei, das mache er nicht.“

Nur wenige Meter vom Zeugenstuh­l entfernt sitzt Klaus O. auf der Anklageban­k. Er zeigt kaum eine Regung, während die Mutter schluchzen­d aussagt. Nur wer genau hinschaut, sieht, dass der 57-Jährige mehrmals schwer schlucken muss.

Der Vater beschreibt seine Gefühlslag­e: „Leben will ich nicht, sterben will ich nicht. Aber ich kann mich ja nicht aus dem Staub machen. Ich muss mich doch um meine Frau und meine Söhne kümmern.“Der Richter beendet die Zeugenauss­age mit einer persönlich­en Bemerkung: „Als Vater spreche ich Ihnen meinen Respekt aus.“

„Wir haben alles untersucht. Man spinnt sich etwas zusammen“

Mutter des Opfers

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