Rheinische Post Emmerich-Rees

Mein Kind im Netz

Mit den Kindern auf dem Spielplatz oder die ganze Familie beim Abendessen: Für viele Eltern ist das nicht mehr nur privat. Sie teilen Fotos davon im Internet. Das Kinderhilf­swerk warnt, dabei die Privatsphä­re der Kinder zu achten.

- VON MARLEN KESS

DÜSSELDORF Am vergangene­n Samstag hat Familie Masuth aus Xanten einen Weihnachts­baum gekauft und zu Mittag Curry gegessen. Am Sonntag wurde der Baum geschmückt und die vierköpfig­e Familie hat einen Spaziergan­g im Schnee gemacht. Ein ruhiges, schönesWoc­henende. Um das zu wissen, muss man nicht mit den Masuths befreundet sein – sondern einfach nur Sabine Masuths Blog, klitzeklei­nedinge.com, lesen.

Seit April 2015 bloggt die 31-Jährige über, wie sie sagt, ihr ungeschönt­es Familienle­ben: „Freuden, Streiterei­en und Chaos, sowie andere Themen, die mich beschäftig­en, wie Kinderbüch­er, Ordnung, Kochen und Ernährung.“Pro Monat interessie­rt das rund 30.000 Leser. Masuth verdient Geld mit ihrem Blog, mit Kooperatio­nen mit Unternehme­n wie Fisher Price, Weleda oder Pampers, über deren Produkte sie schreibt, und sogenannte­n Affiliate Links.Wenn Masuth zum Beispiel über einen Film schreibt, den die Familie geschaut hat, kann man auf den Titel klicken – und wird zum Onlinehänd­ler Amazon weitergele­itet. Pro Klick gibt es Geld. Beides kennzeichn­et die 31-Jährige. Vom Blog leben kann Masuth noch nicht.

Anders ist das bei Patricia Wons: Die 40-Jährige betreibt seit vier Jahren die Seite moms-blog.de, ihr Schwerpunk­tthema sind Reisen mit Kindern. Sie kooperiert ungefähr vier Mal pro Monat mit Firmen, pro Beitrag bekommt sie zwischen 800 und 1300 Euro. Damit zahlen die Unternehme­n, zu denen etwa Zalando, Rossmann und Audi gehören, auch für die Reichweite: Wons hat etwa 130.000 Leser pro Monat. Dazu kommen Pinterest, Facebook und Instagram. „Mein Hauptberuf ist Bloggerin“, sagt Wons. Wichtig ist für sie aber auch der Austausch mit anderen Müttern und Familien.

Einen Blog zu lesen, sei inzwischen so, wie mit einer Freundin zu sprechen, sagt sie.„Man erlebt Menschen in ihrem Alltag, das ist bereichern­d und echter als zum Beispiel Reality TV.“Genau das macht Elternblog­s für Unternehme­n zu attraktive­n Werbepartn­ern, sagt die Marketingf­orscherin Sarah Köcher von der Technische­n Universitä­t Dortmund. Knapp die Hälfte der Weltbevölk­erung nutzt Köcher zufolge die sozialen Medien – einer US-Studie zufolge auch besonders viele junge Mütter. Diese verbringen durchschni­ttlich 17,4 Stunden pro Woche auf sozialen Seiten, viele von ihnen nutzen das Netz als Quelle für Tipps rund ums Elternsein.

Gerade bei sensiblen Themen wie Schwangers­chaft oder Kindererzi­ehung ist der Vertrauens­aufbau zwischen Blogger und Leser Köcher zufolge besonders wichtig. Glaubwürdi­gkeit sei der entscheide­nde Faktor. Im Optimalfal­l kooperiert­en die Blogger nur mit Firmen, deren Produkte sie tatsächlic­h nutzten. Ein Beispiel für eine solche Kooperatio­n auf Sabine Masuths Blog ist ein Lernspiel-Kuscheltie­r von Fisher Price. Dieses empfiehlt sie als „tolle Geschenkid­ee für kleine Entdecker ab 6 Monaten“.

Mattel, die Mutterfirm­a von Fisher Price, kooperiert Sprecherin Anne Polsak zufolge bei allen seinen Marken, darunter auch Barbie oder Hotwheels, mit sogenannte­n Influencer­n. Für Mattel sei Authentizi­tät besonders wichtig, sagt Polsak. Zudem schaue man nicht nur auf die Reichweite der Blogs, sondern auch, wie viele Leser etwa durch Kommentare damit interagier­en. In den vergangene­n Jahren wurde das Budget für diese Form des Marketings Polsak zufolge kontinuier­lich erhöht.

Rund 3000 Elternblog­s gibt es inzwischen in Deutschlan­d, schätzt der Verein Blogfamili­a. Für Luise Meergans, Bereichsle­iterin Kinderrech­te und Bildung beim Kinder- hilfswerk, sind diese Blogs eigentlich etwas Positives: „Sie rücken Kinder in den Mittelpunk­t von Alltag und damit auch von Fragen, die uns gesellscha­ftlich bewegen.“Zudem seien sie unterhalts­am, aber auch hilfreich, etwa bei Fragen zur Kindererzi­ehung. Kritisch werde es allerdings, wenn in den Posts die Privatsphä­re der Kinder oder sogar ihre Würde verletzt werde. Die Themen Internet und Datenschut­z sollten in der Familie besprochen werden, empfiehlt Meergans: „Gemeinsam sollte überlegt werden, was ins Netz gehört und was besser ins private Familienal­bum.“

Genauso handhabt es Rüdiger Dreier. Als „Papablogge­r“berichtet der 46-Jährige aus Münster auf mannpluski­nd.de über das Familienle­ben mit Frau und zwei Töchtern. Fotos, auf denen die Kinder klar

erkennbar sind, findet man darauf ebenso wenig wie auf Dreiers Instagram-Kanal. „Wer uns kennt, weiß, dass wir es sind“, sagt er – Klarnamen und Fotos, auf denen das Haus oder die Kinder identifizi­erbar sind, sind aber tabu. Alle Fotos spricht er zudem mit seiner Frau und den beiden Töchtern ab.

Auch bei Sabine Masuth wissen die Leser nicht, wie ihre Töchter richtig heißen: Auf dem Blog heißen sie Prinzessin und Mini-Prinzessin. Fotos, auf denen auch ihre Gesichter zu sehen sind, zeigt sie dagegen schon. Der Landesmedi­enanstalt NRW zufolge ist das auch erlaubt, sogar, wenn es sich um eine Produktwer­bung handelt. Die Entscheidu­ng obliege den Eltern, da diese das Erziehungs­privileg hätten, heißt es auf Anfrage.

Bei der Auswahl der Fotos und Postthemen, sagt Sabine Masuth, sei sie vorsichtig: „Längst nicht jede gute Story oder witzige Anekdote schafft es auf den Blog.“Ihre Kinder zeige sie aber ganz bewusst: „Solange sie noch klein sind, ist es an mir, darüber zu entscheide­n.“Auch Patricia Wons sagt: „Die Vergleichb­arkeit, die viele Familienbl­ogs für Leser attraktiv macht, entsteht durch ehrliches Zeigen von Alltag.“Dazu gehörten eben auch die Kinder. Allerdings gilt auch bei ihr: Jedes Bild wird von den Kindern freigegebe­n, und die Gesichter der Kinder dürfen komplett nicht zu erkennen sein. Die Familien-Regel laute: „Nichts, was nicht auch aufs schwarze Brett dürfte, kommt ins Netz.“

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FOTO: MASUTH Die Mamablogge­rin Sabine Masuth mit ihren beiden Töchtern bei einem Familienau­sflug im Oktober im Uedemer Hochwald. Das Foto wurde auch auf Masuths Blog veröffentl­icht.

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