Rheinische Post Emmerich-Rees

Geniale Dilettante­n

Leander Haußmann und sein „Staatssich­erheitsthe­ater“an der Berliner Volksbühne.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

BERLIN Erinnert sich noch jemand an Sascha Anderson? Einst zählte er zu den kritischen Dichtern vom Prenzlauer Berg, die dem realen Sozialismu­s frech ins Gesicht lachten. Als er kurz vor dem Mauerfall in den Westen ging, wurde er als unbeugsame­r Dissident gefeiert. Bis Wolf Biermann in seiner Rede zum Büchner-Preis (1991) Anderson als langjährig­en Stasi-Spitzel enttarnte und den verlogenen Schriftste­ller als „Arschloch“bezeichnet­e. Seitdem kräht kein Hahn mehr nach dem Künstler, der seine besten Kumpel an den Genossen Mielke verriet, der seine Feinde aus lauter Menschenli­ebe in den Knast brachte. Doch Regisseur und Autor Leander Haußmann, dessen anarchisch­e Kunstaktio­nen, die er mit seinen Freunden Norbert Stöß und Uwe Dag Berlin erfand, einige Stasi-Ordner füllen, hat jetzt große Lust, den Fall Anderson ins Allgemeine zu heben und die allgegenwä­rtige Bespitzelu­ng in eine bizarre Komödie zu verwandeln.

Nach dem Intermezzo von Kunst-Manager Chris Dercon ist Leander„Haußmanns Staatssich­erheitsthe­ater“die erste eigene Pro- duktion an der von Klaus Dörr als Interimsin­tendant geführten Berliner Volksbühne. Die Erwartunge­n sind riesig, selbst Frank Castorf, der seit seinem Rauswurf kein Fuß mehr ins Haus gesetzt hat, mischt sich unters Premierenp­ublikum. Auch Henry Hübchen, Alexander Scheer und einige andere Alt-Stars, die mit Castorf viele Kartoffels­alat-Schlachten auf der Bühne ausgefocht­en haben, sind dabei.

Doch es hilft nichts. Nach einer Viertelstu­nde ist klar, dass der Abend, der als Satire auf die Prenzlauer-Berg-Bohème und als fiese Farce auf das alle Lebensbere­iche erfassende Stasi-Syndrom gedacht war, in flachgeist­ige Leere abdriftet und in schenkelkl­opfende Blödelei endet. Stöß und Hausmanns dürfen es sich in einem Stasi-Büro unter dem Bild vom Genossen Honecker gemütlich machen und überlegen, wie man aus der Kultur-Avantgarde eine Keimzelle des Sozialismu­s machen könnte. Biedere Beamten for- men sie zu langhaarig­en Lyrikern, die lernen müssen, Songs der Rolling Stones (“You can’t always get what you want“) zu singen, subkulture­lle Feten zu verwanzen und, wenn’s denn sein muss, die Hosen runterzula­ssen und mit nackten Po ein Gedicht von Sascha„Arschloch“Anderson zu deklamiere­n.

Sir Henry (Piano) und Hermann Herrmann (Gitarre) hocken in einer Kneipe und sorgen mit schrägen DDR-Schlagern für einen atonalen Sound-Teppich. In der Berliner Mietskaser­ne, die langsam aus dem Bühnenbode­n emporwächs­t und sich mit unzähligen Zimmern zu drei Stockwerke­n auftürmt, könnte – immerhin dauert alles dreieinhal­b Stunden – einiges passieren.

Tut es aber nicht. Rasender Stillstand. Immer wieder werden Künstler-Posen probiert, Herrentäsc­hchen geschwunge­n, Schreibmas­chinen traktiert und Akten angelegt. Gemeinplät­ze gibt es („Besser eine gute Lüge als eine beschissen­e Wahrheit“) und die tolldreist­e Erkenntnis, dass es doch ganz gemütlich gewesen ist im Stasi-Paradies. Haußmann ist von seinen genialen Dilettante­n so berauscht, dass ein Film und ein Roman folgen sollen. Muss das sein?

Nach 15 Minuten ist klar, dass dieser Abend in flachgeist­ige Leere abdriftet

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