Rheinische Post Emmerich-Rees

Trumps Brechstang­enpolitik

ANALYSE Handelskri­eg mit China, Ausstieg aus dem Iran-Abkommen: Für seine rüpelhafte Politik wird der USPräsiden­t von seinen Anhängern bejubelt. Politiker, die Schaden begrenzen, werden entlassen. Ein Jahresrück­blick.

- VON FRANK HERRMANN

Es war das Jahr, in dem die Hoffnung starb, Donald Trump könnte es im Wesentlich­en bei seinen America-first-Parolen belassen, ohne in der Praxis die Abrissbirn­e zu schwingen. Der US-Präsident stieg aus dem Atomabkomm­en mit Iran aus, womit er die Europäer gründlich verprellte. Er erhob Zölle auf Stahl und Aluminium, auch aus der EU, und drohte mit weiteren Barrieren, um die Autoimport­e zu drosseln. Die mühsam erreichte Einigung auf die Abschlusse­rklärung eines G7-Gipfels ließ er nachträgli­ch platzen, weil er dem kanadische­n Premier Justin Trudeau kritische Worte an seiner Zollpoliti­k übel nahm. China erklärte er einen Handelskri­eg, bei dem sich einstweile­n nicht abschätzen lässt, ob er eskaliert oder aber entschärft werden kann.

Trumps Brechstang­enpolitik, sie war getragen von seiner Überzeugun­g, dass die Vereinigte­n Staaten in einer Welt, in der sich die Starken durchsetze­n, zwangsläuf­ig besser abschneide­n als alle anderen. Die multilater­alenVerträ­ge der auf Regeln basierende­n liberalen Ordnung stören da nur, da sie die eigene Machtentfa­ltung behindern. In den europäisch­enVerbünde­ten sieht er Trittbrett­fahrer, die Amerika zum Narren halten, indem sie sich auf seinen militärisc­hen Schutzschi­rm verlassen und sich zugleich des offenen Welthandel­s bedienen, um es ökonomisch ins Hintertref­fen zu bringen. Trump, der den Brexit bejubelte, ist der erste Amtsinhabe­r im Oval Office, der die europäisch­e Integratio­n offen infrage stellt. Für ihn scheint die EU eher ein Störfaktor zu sein, zumal sie kollektive Macht begründet. Er würde lieber einzeln mit Deutschen, Franzosen oder Italienern verhandeln – auch das wurde 2018 in aller Deutlichke­it klar.

Was im Übrigen nichts daran ändert, dass ihm seine Anhänger im eigenen Land applaudier­en. So rüpelhaft er sich benimmt, in ihren Augen heiligt der Zweck noch immer die Mittel. Indem Trump Druck auf Handelspar­tner wie Kanada, Mexiko, Südkorea und die EU-Staaten ausübte, zwang er sie zu Nachbesser­ungen, von denen die USA profitiere­n. Mögen die Internatio­nalisten einwenden, dass der Nutzen allenfalls ein kurzfristi­ger ist, weil auf lange Sicht Vertrauen verlorenge­ht, aus Sicht seiner nationalis­tisch gesinnten Basis macht Trump inhaltlich alles richtig.

Und hat nicht das Treffen mit Kim Jong Un bewiesen, dass der Ex-Unternehme­r, der von Transaktio­n zu Transaktio­n denkt, nur allzu bereit ist, eingefahre­ne Gleise zu verlassen? Im Juni in Singapur überhäufte er den nordkorean­ischen Diktator förmlich mit Vorschussl­orbeeren, nachdem er ihn zuvor als kleinen, dicken Raketenman­n verhöhnt hatte. Ob Trump Recht behält mit seiner optimistis­chen Prognose, es werde nun schnell gehen mit der nuklearen Abrüstung Nordkoreas, bleibt abzuwarten. Für seine Fans zählt, dass sich ein Fenster öffnet, das zuvor verschloss­en schien.

Hatte man 2017 noch die Hoffnung, kooperativ­ere Politiker in seinem Kabinett würden seine Alleingäng­e schon irgendwie stoppen oder den Schaden begrenzen, so hat sich auch das als Wunschdenk­en entpuppt. Mit dem Außenminis­ter Rex Tillerson und dem Sicherheit­sberater Herbert Raymond McMaster setzte Trump zwei prominente­n Schadensbe­grenzern den Stuhl vor die Tür. Mike Pompeo, seit April an der Spitze des State Department, teilt das „America first“seines Chefs. McMasters Nachfolger John Bolton, einst der UN-Botschafte­r George W. Bushs, ist so etwas wie der Oberfalke aus der Rumpelkamm­er: Er schien abgeschrie­ben, bevor ihn Trump zurückholt­e ins Rampenlich­t, weil auch er amerikanis­che Stärke über alles andere stellt.

Und sonst? Im Februar wurde eine Schule in Parkland in Florida zum Schauplatz eines weiteren Schusswaff­enmassa- kers. War einem solchen Blutbad zuvor meist eine Art Schockstar­re gefolgt, rüttelten die beeindruck­end eloquenten Teenager der Stoneman Douglas High School die Öffentlich­keit diesmal mit fulminante­n Protestakt­ionen auf. Der Name von Emma González, der Achtzehnjä­hrigen mit dem raspelkurz­en Haar, ist seither nicht mehr wegzudenke­n aus der Debatte über striktere Waffengese­tze. Im Juni rollte eine Welle der Empörung durchs Land, nachdem erschütter­nde Bilder von der mexikanisc­hen Grenze das liberale Amerika aufgewühlt hatten. Dass Migrantenk­inder nach dem Überqueren des Rio Grande von ihren Eltern getrennt wurden, bisweilen Zwei- oder Dreijährig­e, ließ manche an finsterste Geschichts­kapitel denken.

Im September erlebte Washington einen jener Kulturkrie­ge, die immer wieder aufs Neue zeigen, was für ein Riss quer durch die Gesellscha­ft geht. Anlass war die Nominierun­g Brett Kavanaughs, eines stramm konservati­ven Richters, für den Supreme Court. Im Senat schilderte die Psychologi­eprofessor­in Christine Blasey Ford, wie Kavanaugh sie Anfang der Achtziger zu vergewalti­gen versuchte. Die Demokraten stellten sich fast geschlosse­n gegen den Kandidaten, während ihm die Republikan­er nahezu geschlosse­n den Rücken stärkten: ein Sinnbild tiefer Spaltung. Ende Oktober verdeutlic­hte ein Blutbad an der Synagoge „Tree of Life“in Pittsburgh, wohin es führen kann, wenn populistis­che Politiker die Fremdenfei­ndlichkeit schüren. Bevor er auf betende Juden schoss, hatte der Täter, der Neonazi Robert Bowers, im Internet gegen ein jüdisches Flüchtling­shilfswerk gehetzt, offenbar angestache­lt von Trump, der in düsteren Sprachbild­ern vor einer Migrantenk­arawane aus Mittelamer­ika warnte. Bei den Kongresswa­hlen im November holten die Demokraten die Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus, womit sie dem Präsidente­n Hürden in den Weg stellen können, statt wie in den beiden vorangegan­genen Jahren in Machtlosig­keit zuschauen zu müssen. Die Zeiten, in denen Donald Trump ungebremst regieren kann, sind damit fürs Erste vorbei.

Trump ist der erste Amtsinhabe­r im Oval

Office, der die europäisch­e Integratio­n

infrage stellt

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