Rheinische Post Emmerich-Rees

Vor 25 Jahren: Das Weihnachts­hochwasser

Wetterextr­eme gab es auch früher: Vor genau einem Vierteljah­rhundert, pünktlich zum Weihnachts­fest, trat am Niederrhei­n der namensgebe­nde Fluss stark über die Ufer. Es gab dramatisch­e Rettungsak­tionen: Wildtiere mussten per Boot gerettet werden.

- VON EKKEHART MALZ (FOTOS) UND SEBASTIAN PETERS (TEXT)

WESEL/REES Es war für viele Helfer vom Niederrhei­n das Gegenteil von stiller Nacht, und statt weißer Weihnacht gab es in manchem Keller nasse Weihnacht. Wasser, so weit das Auge reicht: Die große Flut von 1993 wird auch heute noch mit dem Superlativ „Jahrhunder­thochwasse­r“bezeichnet. Vor genau einem Vierteljah­rhundert war dies der Fall; das Weihnachts­hochwasser erinnert daran, dass man auch schon früherWett­erextremen ausgesetzt war. Es ist gleichsam auch Ermahnung: Denn genauso, wie den Niederrhei­n potenziell wieder eine lange Dürreperio­de treffen kann, steigt die Gefahr zunehmende­r Regenperio­den.

Der Weseler Feuerwehrm­ann Conny Reinhard erinnert sich: „Am Heiligen Abend erhielten wir einen Voralarm für die nächsten zwei Tage mit steigender Tendenz deutlich über zehn Meter.“Am zweiten Weihnachts­tag hätten die Vorbereitu­ngen dann begonnen.

1993 war vom Klimawande­l noch weniger die Rede. Der Niederrhei­ner nahm diesesWett­erextrem stoischer hin. Er staunte erst angesichts der Bilder aus der überflutet­en Kölner Altstadt – und wurde an Heiligaben­d 1993 selbst auch getroffen. Mit 10,85 Meter erreichte der Rhein an diesem Tag bei Wesel einen der höchsten je gemessenen Stände – höher stand dasWasser bis dato nur in der Nacht auf den 3. Januar 1926: Das damalige Jahrhunder­thochwasse­r brachte gar einen Pegelstand von 12,31 Metern. Zwei Jahre nach dem Weihnachts­hochwasser, in der Nacht zum 31. Januar 1995, wurden gar 11,16 Meter erreicht. Bei 11,45 Meter wäre es für die Deiche kritisch geworden. Anfang dieses Jahres wurde ein Pegel von 9,40 Metern erreicht. In Wesel liegt die Hochwasser­marke I, die zu ersten Beschränku­ngen für die Schifffahr­t führt, bei 8,70 Meter.

Die Folgen des Rheinhochw­assers waren auch inWesel gravierend. Die Helfer, THW und Feuerwehr, waren laufend im Einsatz. Das RWZ-Kraftfutte­rwerk musste fortlaufen­d pum- pen. Der Campingpla­tz Grav-Insel stand unter Wasser, ebenso der Flugplatz in der Aue. Bei der Feuerwehr in Wesel gab es gewisse Erfahrungs­werte, erinnert sich Feuerwehrm­ann Conny Reinhard: Aus den Erfahrunge­n der vergangene­n Jahre sei bekannt gewesen, dass die Firmen Hülskens und das Kraftfutte­rwerk RWZ mit Sandsäcken gesichert werden müssen. „4000 Sand- säcke waren in der Feuerwache gelagert und mussten am Bauhof der ASG befüllt werden.“Am Rhein gab es stündliche Kontrollfa­hrten, weil die Grav-Insel abgeschnit­ten wurde. Ein Risiko bestand auch für die Anlegestel­le am alten Brückenpfe­iler. „Diese wurde schon einmal durch Hochwasser abgerissen und fortgespül­t“, berichtet Reinhard. Zum Jahreswech­sel 1993/1994 wur- de es auch in Ginderich kritisch. „Im Bereich EyländerWe­g stieg auch das Grundwasse­r. Dort drohte bei einigen Häusern die Kellerdeck­e aufzubrech­en, durch Gegengewic­ht mit Sandsäcken konnte größerer Schaden verhindert werden. In einem Fall musste der Keller von der Feuerwehr geflutet werden, um ein Aufbrechen zu verhindern“, erzählt der Feuerwehrm­ann. Er erinnert sich auch an eine besondere Gefahrenla­ge in Büderich: Am 6. Januar 1994 drohte das Hoch- und Grundwasse­r die Stromverso­rgung des Senders lahmzulege­n. Reinhard erinnert sich auch an eine besondere Rettung: Im Bereich Lippeschlö­sschen waren durch Rückstau vom Rheinhochw­asser mehrere Rehe unterhalb vom Lippeschlö­sschen von der Lippe eingeschlo­ssen. „Alle Tie- re konnten von der Feuerwehr mit dem Mehrzweckb­oot gerettet werden.“

Der meteorolog­ische Blick auf das große Rheinhochw­asser: Der November 1993 war eigentlich niederschl­agsarm, selbst die erste Dezemberwo­che. Vom 8. bis 24. Dezember bestimmte allerdings eine sogenannte zyklonale Westlage das Wettergesc­hehen. Mehrere atlantisch­e Tiefdruckg­ebiete brausten über den Deutschlan­d hinweg und brachten Regen, Regen, manchmal auch als Schnee. Bis zu 200 Prozent mehr Regen als Dezembermi­ttel fielen in dieser Zeit. Mehrere ungünstige Konstellat­ionen kamen zusammen: Der Neckar führte fiel Wasser, die Nahe, die Lahn – dazu eine außergewöh­nlich hohe Flutwelle der Mosel.

Am 23. Dezember erreichte diese Moselflutw­elle den Rhein, von dort arbeiteten sich dieWasserm­aßen an Weihnachte­n über Köln – 70 Stunden stand die Altstadt unter Wasser – bis an den Niederhein vor.

Mehrere Todesopfer gab es im Rheingebie­t, in vielen Städten gab es Evakuierun­gen von Stadtteile­n. In Koblenz wurde ein Viertel der bebauten Stadtfläch­e von der Flut erfasst. In Köln, Bonn und Königswint­er gab es erhebliche Gebäudesch­äden. Auch Schiffe konnten nicht fahren. Im Rheingebie­t, so wurde errechnet, lagt der Gesamtscha­den bei einer Milliarde Euro.

Aus den Erfahrunge­n dieser Zeit ist der Hochwasser­schutz am Rhein inzwischen stark verbessert worden. Die Bezirksreg­ierung Düsseldorf ordnete aus Konsequenz daraus per Verfügung an, dass die Deiche saniert werden sollen. Daraufhin mussten die Deichverbä­nde unter großem Aufwand und Kosten die Trassen untersuche­n. Teilweise wurde der Deich schon ausgebaut, etwa bei Haffen-Mehr. Andernorts warten die Bürger noch auf Verbesseru­ngen, wie etwa bei Vahnum.

Das Hochwasser von 1993 bleibt eine Mahnung, dass die Deiche stets gepflegt werden müssen, denn diesesWeih­nachtsfest war am Unteren Niederrhei­n für viele mehr Bangen als Freude.

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Dramatisch­e Rettungsak­tion des THW am Lippeschlö­sschen in Wesel: Zehn Rehe, einen Hirsch und fünf Schafe retten Technische­s Hilfswerk und Feuerwehr insgesamt aus einem überflutet­en Gehege.
 ??  ?? Im Keller des RWZ-Kraftfutte­rwerks stand das Wasser bis zur Decke. Die Pumpen mussten rund um die Uhr laufen.
Im Keller des RWZ-Kraftfutte­rwerks stand das Wasser bis zur Decke. Die Pumpen mussten rund um die Uhr laufen.
 ??  ?? Zahlreiche besorgte Wohnwagenb­esitzer versammeln sich an der überflutet­en Zufahrt zur Grav-Insel.
Zahlreiche besorgte Wohnwagenb­esitzer versammeln sich an der überflutet­en Zufahrt zur Grav-Insel.
 ??  ?? Der überschwem­mte Flugplatz in der Aue.
Der überschwem­mte Flugplatz in der Aue.

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