Vor 25 Jahren: Das Weihnachtshochwasser
Wetterextreme gab es auch früher: Vor genau einem Vierteljahrhundert, pünktlich zum Weihnachtsfest, trat am Niederrhein der namensgebende Fluss stark über die Ufer. Es gab dramatische Rettungsaktionen: Wildtiere mussten per Boot gerettet werden.
WESEL/REES Es war für viele Helfer vom Niederrhein das Gegenteil von stiller Nacht, und statt weißer Weihnacht gab es in manchem Keller nasse Weihnacht. Wasser, so weit das Auge reicht: Die große Flut von 1993 wird auch heute noch mit dem Superlativ „Jahrhunderthochwasser“bezeichnet. Vor genau einem Vierteljahrhundert war dies der Fall; das Weihnachtshochwasser erinnert daran, dass man auch schon früherWetterextremen ausgesetzt war. Es ist gleichsam auch Ermahnung: Denn genauso, wie den Niederrhein potenziell wieder eine lange Dürreperiode treffen kann, steigt die Gefahr zunehmender Regenperioden.
Der Weseler Feuerwehrmann Conny Reinhard erinnert sich: „Am Heiligen Abend erhielten wir einen Voralarm für die nächsten zwei Tage mit steigender Tendenz deutlich über zehn Meter.“Am zweiten Weihnachtstag hätten die Vorbereitungen dann begonnen.
1993 war vom Klimawandel noch weniger die Rede. Der Niederrheiner nahm diesesWetterextrem stoischer hin. Er staunte erst angesichts der Bilder aus der überfluteten Kölner Altstadt – und wurde an Heiligabend 1993 selbst auch getroffen. Mit 10,85 Meter erreichte der Rhein an diesem Tag bei Wesel einen der höchsten je gemessenen Stände – höher stand dasWasser bis dato nur in der Nacht auf den 3. Januar 1926: Das damalige Jahrhunderthochwasser brachte gar einen Pegelstand von 12,31 Metern. Zwei Jahre nach dem Weihnachtshochwasser, in der Nacht zum 31. Januar 1995, wurden gar 11,16 Meter erreicht. Bei 11,45 Meter wäre es für die Deiche kritisch geworden. Anfang dieses Jahres wurde ein Pegel von 9,40 Metern erreicht. In Wesel liegt die Hochwassermarke I, die zu ersten Beschränkungen für die Schifffahrt führt, bei 8,70 Meter.
Die Folgen des Rheinhochwassers waren auch inWesel gravierend. Die Helfer, THW und Feuerwehr, waren laufend im Einsatz. Das RWZ-Kraftfutterwerk musste fortlaufend pum- pen. Der Campingplatz Grav-Insel stand unter Wasser, ebenso der Flugplatz in der Aue. Bei der Feuerwehr in Wesel gab es gewisse Erfahrungswerte, erinnert sich Feuerwehrmann Conny Reinhard: Aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre sei bekannt gewesen, dass die Firmen Hülskens und das Kraftfutterwerk RWZ mit Sandsäcken gesichert werden müssen. „4000 Sand- säcke waren in der Feuerwache gelagert und mussten am Bauhof der ASG befüllt werden.“Am Rhein gab es stündliche Kontrollfahrten, weil die Grav-Insel abgeschnitten wurde. Ein Risiko bestand auch für die Anlegestelle am alten Brückenpfeiler. „Diese wurde schon einmal durch Hochwasser abgerissen und fortgespült“, berichtet Reinhard. Zum Jahreswechsel 1993/1994 wur- de es auch in Ginderich kritisch. „Im Bereich EyländerWeg stieg auch das Grundwasser. Dort drohte bei einigen Häusern die Kellerdecke aufzubrechen, durch Gegengewicht mit Sandsäcken konnte größerer Schaden verhindert werden. In einem Fall musste der Keller von der Feuerwehr geflutet werden, um ein Aufbrechen zu verhindern“, erzählt der Feuerwehrmann. Er erinnert sich auch an eine besondere Gefahrenlage in Büderich: Am 6. Januar 1994 drohte das Hoch- und Grundwasser die Stromversorgung des Senders lahmzulegen. Reinhard erinnert sich auch an eine besondere Rettung: Im Bereich Lippeschlösschen waren durch Rückstau vom Rheinhochwasser mehrere Rehe unterhalb vom Lippeschlösschen von der Lippe eingeschlossen. „Alle Tie- re konnten von der Feuerwehr mit dem Mehrzweckboot gerettet werden.“
Der meteorologische Blick auf das große Rheinhochwasser: Der November 1993 war eigentlich niederschlagsarm, selbst die erste Dezemberwoche. Vom 8. bis 24. Dezember bestimmte allerdings eine sogenannte zyklonale Westlage das Wettergeschehen. Mehrere atlantische Tiefdruckgebiete brausten über den Deutschland hinweg und brachten Regen, Regen, manchmal auch als Schnee. Bis zu 200 Prozent mehr Regen als Dezembermittel fielen in dieser Zeit. Mehrere ungünstige Konstellationen kamen zusammen: Der Neckar führte fiel Wasser, die Nahe, die Lahn – dazu eine außergewöhnlich hohe Flutwelle der Mosel.
Am 23. Dezember erreichte diese Moselflutwelle den Rhein, von dort arbeiteten sich dieWassermaßen an Weihnachten über Köln – 70 Stunden stand die Altstadt unter Wasser – bis an den Niederhein vor.
Mehrere Todesopfer gab es im Rheingebiet, in vielen Städten gab es Evakuierungen von Stadtteilen. In Koblenz wurde ein Viertel der bebauten Stadtfläche von der Flut erfasst. In Köln, Bonn und Königswinter gab es erhebliche Gebäudeschäden. Auch Schiffe konnten nicht fahren. Im Rheingebiet, so wurde errechnet, lagt der Gesamtschaden bei einer Milliarde Euro.
Aus den Erfahrungen dieser Zeit ist der Hochwasserschutz am Rhein inzwischen stark verbessert worden. Die Bezirksregierung Düsseldorf ordnete aus Konsequenz daraus per Verfügung an, dass die Deiche saniert werden sollen. Daraufhin mussten die Deichverbände unter großem Aufwand und Kosten die Trassen untersuchen. Teilweise wurde der Deich schon ausgebaut, etwa bei Haffen-Mehr. Andernorts warten die Bürger noch auf Verbesserungen, wie etwa bei Vahnum.
Das Hochwasser von 1993 bleibt eine Mahnung, dass die Deiche stets gepflegt werden müssen, denn diesesWeihnachtsfest war am Unteren Niederrhein für viele mehr Bangen als Freude.