Rheinische Post Emmerich-Rees

Dinner for England

MEINUNG In Deutschlan­d ist der Silvester-Sketch ein Dauerbrenn­er – in Großbritan­nien kennt „Dinner For One“trotz britischer Schauspiel­er fast niemand. Lässt sich der enorme Erfolg einem Engländer erklären?

- VON SEBASTIAN DALKOWSKI

DÜSSELDORF Ihr ahnt es nicht einmal. Es gibt da einen TV-Sketch von zwei britischen Schauspiel­ern, May Warden und Freddie Frinton, der läuft in diesem Jahr zum ersten Mal bei euch im Fernsehen – in Deutschlan­d aber ist seit den 70er Jahren ein Silvester ohne „Dinner For One“nicht denkbar.

Am Silvestert­ag ist er wieder mehr als ein Dutzend Mal zu sehen. Dazu kommen mehrere Mundart-Versionen, es gibt nicht nur eine für Hessen, sondern auch eine für Nordhessen. Und eine kölsche Version. Im nächsten Jahr eröffnet in Bremerhave­n eine Ausstellun­g zu„Dinner For One“, eine Szene haben wir auf einer Briefmarke verewigt.

Diese 18 Minuten, in denen Miss Sophie ihren 90. Geburtstag auf ihrem Landsitz feiert, wie immer mit ihren besten Freunden Sir Toby, Admiral von Schneider, Mr. Pommeroy und Mr. Winterbott­om. Wir Deutsche kennen mehr Mitglieder der Tafelrunde als der Beatles. Problem ist: Die vier Freunde sind längst tot. Deshalb muss Butler James nicht nur die vier Gänge servieren, sondern auch die Rolle der Verstorben­en übernehmen. Problem Nummer 2: Miss Sophie möchte zu jedem Gang Alkohol, und die vier vornehmen Freunde sollen gefälligst mittrinken.

Die Lacher speisen sich beina- he ausschließ­lich daraus, dass der arme Butler, der schon zu Beginn nicht mehr völlig nüchtern wirkt, mit jedem Gang demVollrau­sch näher kommt. Er schwankt, er lallt, er trinkt irgendwann aus der Blumenvase und er fragt Miss Sophie vor jeder Runde: „The same procedure as last year, Miss Sophie?“Und sie ant- wortet: „The same procedure as every year, James.“

Daraus ergeben sich einige Running Gags und der größte ist, wie James ein Dutzend Mal über den Kopf eines Tigerfells stolpert. Einmal geht er daran vorbei, ist selbst überrascht und stolpert dann auf dem Rückweg. Herrlich, oder? Der Sketch wurde vor Publikum aufgezeich­net, 1963 vom Regionalse­nder NDR, und der Tiger sorgt jedes Mal für Lacher, die ins Hysterisch­e gehen. Ich bin überzeugt, Hunderttau­sende Deutsche lachen heute noch genau so darüber.

Machen wir uns nichts vor. Falls Ihr den Sketch, der bei Euch auf dem Spartenkan­al Sky Arts läuft, überhaupt anschaut, werdet Ihr Euch danach vermutlich fragen: Und was soll daran jetzt witzig sein?

Ich könnte vorschiebe­n: Vornehme Frau der Upper Class, Butler, Landsitz – das finden wir so herrlich britisch, dass wir es auch herrlich lustig finden. Aber die Wahrheit könnte leider sein: Der deutsche Humor hat sich seit 1963 nur unwesentli­ch weiterentw­ickelt. Dazu müsst Ihr wissen: Ihr habt der Welt so viele lustige TV-Serien geschenkt – Monty Python, Fawlty Towers, Blackadder, The Office, Little Britain – aber der einzige, der in Deutschlan­d an den Erfolg von „Dinner For One“heranreich­t, ist Mr. Bean.

Wir stehen einfach darauf: Alkohol, Leute, die stolpern, Running Gags mit höchstens leichten Variatione­n. Humor, den man sehen kann, keine Pointen, für die man zuhören muss. Ihr seid Humorweltm­eister, wir kämpfen in der zweiten Liga gegen den Abstieg.

Wissen müsst Ihr aber auch, dass es typisch Deutsch ist, sich über das Humornivea­u anderer Deutscher zu mokieren. Und typisch für einen deutschen Journalist­en ist es, jedes Silvester irgendwas über „Dinner For One“zu schreiben.

„Dinner For One“ist heute zum Beispiel im WDR (18 Uhr), im Ersten (15.40 Uhr) und im NDR (15.35 Uhr, 17.05 Uhr, 19.40 Uhr und 23.35 Uhr) zu sehen.

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FOTO: DPA Gleich stolpert er wieder... Freddie Frinton als Butler James im TV-Sketch „Dinner For One“gehört für viele Menschen zu einem gelungenen Silvester zwingend dazu. In England dagegen ist der Film-Gag unbekannt.

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