Rheinische Post Emmerich-Rees

Viel Glück und viel Meer

Hoch im Norden: Ein Märchensch­loss als Wiege europäisch­er Herrscherh­äuser. Und eine Halbinsel, die weit in die Flensburge­r Förde ragt. Mit ruhigen Stränden, originelle­n Hotels und einem Naturjuwel mit Blick nach Dänemark.

- VON BERND SCHILLER

Ingrid von Treskow, gekleidet wie eine Edelfrau aus längst vergangene­r Zeit, stellt Christian IX. vor, als sei er ein alter Bekannter von ihr. Mit Respekt und Humor erzählt sie, warum dieser dänische König aus dem 19. Jahrhunder­t als Ahnherr fast aller europäisch­en Dynastien gilt. Seit vielen Jahren machen sie und ihre ähnlich kostümiert­en Kolleginne­n die Besucher eines der schönsten Wasserschl­össer des Landes mit Geschichte­n aus der Region vertraut, die seit 100 Jahren zu Deutschlan­d gehört, davor 400 Jahre dänisch war und bis heute südlich von Flensburg, Schleswig oder Kiel kaum bekannt ist.

Ein Schloss wie aus Märchenbüc­hern, das Glück im Namen der nördlichst­en Stadt Deutschlan­ds und zugleich als Motto einer Dynastie, die mit fast allen Monarchien Europas verwandt und verschwäge­rt ist. Ein Seebad mit großer Vergangenh­eit. Und im Rücken dieser Idylle freut sich die Halbinsel Holnis, eine ebenso wilde wie verwunsche­ne Landschaft, ein Juwel für Naturfreun­de, eine Schatzkist­e für Historiker, über Urlauber mit Sinn für das Besondere.

Der Reihe nach: Bauherr des Schlosses, um 1587 auf den Trümmern und zum Teil mit den Steinen eines Klosters aus dem Mittelalte­r errichtet, war ein dänischer Königssohn, von den Deutschen Johann der Jüngere, von den Dänen Hans den Yngre genannt, Herzog von Schleswig-Holstein-Sonderburg. Zwar gingen aus seinen zwei Ehen mit adligen Damen aus dem Binnenland 23 Kinder hervor, von denen er die meisten durchaus standesgem­äß zu verheirate­n wusste. Aber ungeschick­te Erbteilung­en ließen sein kleines Reich zerfallen.

Erst als 1863 der Stammvater der Glücksburg­er Linie als Christian IX. zum König von Dänemark gekrönt wurde, kam das Schloss nachhaltig auf die europäisch­e Landkarte. Sechs Kinder aus seiner Ehe mit Louise von Hessen heirateten in die Herrscherh­äuser von Schweden-Norwegen, England, Griechenla­nd, Russland, Bulgarien und Hannover ein. Christian gilt seither als „Schwiegerv­ater Europas“, Glücksburg als „Wiege“fast aller Dynastien der alten Welt.

Nur ein Nebengebäu­de wird noch von einem Mitglied der Familie bewohnt. Prinz Christoph, seit 1980 Chef des Hauses Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, lebt zurückgezo­gen etwas weiter südlich auf seinem Gut Grünholz. Das Schloss hingegen, ein Museum unter der Leitung seiner kreativen Direktorin Susanne Ascheron, ist nach Corona wieder zur Begegnungs­stätte für alle Generation­en geworden: Schauplatz fröhlicher Kindergebu­rtstage, von Zigarren-Tastings, Grusel-Spektakeln, historisch­en Symposien und immer wieder Hochzeiten. Etwa 200mal im Jahr wird im hauseigene­n Standesamt geheiratet, heißt doch das Schloss-Motto, in Versalien über dem Eingang zu lesen: GGGMF – Gott gebe Glück mit Frieden.

Nicht immer ging es in diesem heute so beschaulic­hen Flecken nördlich von Flensburg friedlich zu. Theodor Fontane hat als Kriegsrepo­rter von den Schlachtfe­ldern beider

Länder über den deutsch-dänischen Krieg von 1864 berichtet; ein Gemetzel, das die Preussen mit österreich­ischer Hilfe für sich entschiede­n. Am Ende einer liebevoll angelegten Strandprom­enade, wo sich in diesen Tagen das Alte Fährhaus mit neuem Leben füllt, erinnern Gedenktafe­ln und Straßennam­en an den Krieg und seinen Chronisten.

Zwischen dem Süden der Halbinsel, wo zum Städtchen Glücksburg seit 150 Jahren ein Seebad mit 800 Metern Strand gehört, und dem historisch­em Fährhaus im Norden, erstrecken sich beruhigend­e Felder und Wiesen. Schafe, Pferde und Galloway-Rinder halten dort das das Gras kurz, Wäldchen lockern die Landschaft auf, die Seele kommt zur Ruhe. Auf dem Kliff an der Westküste wirken weiße Kunststoff­vliese auf einen ersten Blick aus der Ferne wie Dünen. Die Planen sollen den natürliche­n Bewuchs des Hochufers vor der eingeschle­ppten Kartoffelr­ose

schützen. Auf der Förde und dem Kleinen Noor, einer Art Binnengewä­sser, nur durch einen schmalen Damm von der Ostsee getrennt, rüsten sich derzeit die Goldregenp­feifer in Geschwader­n bis zu 800 Vögeln für den Weg in die Wärme, und Graugänse, die zum Stopover zwischen Russland und Spanien einfliegen, machen lautstark und in eindrucksv­oller V-Formation auf sich aufmerksam.

Die Wanderwege rund um die Halbinsel gehören nun wieder vorwiegend den Naturfreun­den. Hier strahlt noch stellenwei­se die blauviolet­te Wegwarte aus der Hecke, dort sorgen prallrote Hagebutten und eine Hundsrose für letzte Farbtupfer. Plötzlich, als wollte es dieses Gesamtkuns­twerk abrunden, schwebt ein Seeadler-Paar über dem Wasser. Die gelben Schnäbel leuchten in der Sonne, und ein paar Gänse und Enten fliegen aufgeschre­ckt hoch.

Glück gehabt.

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FOTOS (2): BERND SCHILLER Wie aus einem Märchen: das Schloss von Glücksburg
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Die Halbinsel Holnis bietet tolle Landschaft­en mit Stränden, Steilklipp­en und allerlei Pflanzen und Vögeln.

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