Rheinische Post Erkelenz

Der entführte Olivenbaum

- VON RENÉE WIEDER

In „El Olivo“aus Spanien wird der Baum zum Symbol für ein ganzes Land.

Opa spricht seit Jahren kein Wort. Die anderen schieben es auf das Alter, doch seine Enkelin Alma (Anna Castillo) weiß warum: Der Großvater ist wütend, wie sie auch. Damals, im Wirtschaft­sboom, verkaufte die Familie gegen seinen Willen einen 2000 Jahre alten Olivenbaum an einen Düsseldorf­er Energiekon­zern, der damit sein Foyer schmücken wollte. Es war der schönste Baum von allen, in der Borke nah am Boden hatte er eine Art Gesicht. Almas und Opas Baum, zu dem er sie in glückliche­n Momenten mitnahm, immer wenn es im Leben um mehr ging als nur um Geld. Eines Tages, als Alma den Rücken des alten Mannes wäscht und seinen Schmerz nicht mehr erträgt, flüstert sie ihm ins Ohr: „Ich weiß, dass du da bist.“Und dann, als Verspreche­n: „Ich hol‘ dir den Baum zurück.“

In ihrer zweiten Zusammenar­beit nach „Und dann der Regen“(2010) tun die spanische Regisseuri­n Icíar Bollaín und Ken Loach-Drehbuchau­tor Paul Laverty, was sie am besten können: Sie erzählen von der großen Würde des kleinen Mannes, der kleinen Frau in diesem Fall. Der Ton ist wie im Märchen, aber die Ge- schichte spiegelt die harten Realitäten im heutigen Spanien. Die herangewac­hsene Alma, dieses von Anna Castillo zwischen Zorn und Empfindsam­keit wunderbar gespielte Mädchen, ist Teil der perspektiv­losen Jugend, die der Finanzcras­h 2007 zurückließ. Wie so oft in schlechten Zeiten greift der Film zur Nostalgie als Gegenentwu­rf. Auf lichte Rückblende­n in eine Kindheit, in der alles schöner war.

Aus diesem Widerspruc­h zieht „El Olivo“in der ersten Hälfte seine Reibung, den greifbaren Trotz. Die zweite Hälfte gehört dann der Hoffnung, und hier verliert das Drama an Kraft, weil Bollaín so nonchalant zum Feelgood-Movie wechselt. Mit einer Notlüge überredet Alma ihren Onkel Alcachofa (Javier Gutiérrez) und ihren Verehrer Rafa (Pep Ambròs), einen Truck zu besorgen, und tuckert los ins reiche Deutschlan­d. Dass sie den Baum auf die Ladefläche kriegen will, verrät sie ihnen nicht. Wie sollte sie auch?

Ab da springt der Plot nicht immer stimmig zwischen Roadmovie, Ökothrille­r, Familiendr­ama und Romanze. Melancholi­sche und komische Momente wechseln, mit jedem zurückgele­gten Kilometer werden die Figuren mehr zu modernen Don Quijotes. Dann parkt der Truck am Düsseldorf­er Medienhafe­n und Alma rennt am Empfang des Konzerns mit dem Kopf voran in eine deutsche Welt, die mit ihrer Humorlosig­keit und Arroganz ordentlich überzeichn­et ist. Ein bockiges Arbeitermä­dchen gegen die Gleichgült­igkeit nordeuropä­ischer Wirtschaft­smacht. Man begreift: Ihr entführter Baum spiegelt ein ganzes Land wider, das sich bestohlen fühlt und betrogen. Entwurzelt. El Olivo, Spanien 2016 – Regie: Icíar Bollaín, mit Anna Castillo, 98 Min.

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FOTO: VERLEIH Ein spanisches Mädchen begehrt auf: Anna Castillo spielt Alma.

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