Rheinische Post Erkelenz

„Wir haben den Titel verschenkt“

- VON KARSTEN KELLERMANN

Borussia verlor heute vor 40 Jahren das Landesmeis­ter-Endspiel gegen den FC Liverpool 1:3. Berti Vogts ärgert das noch.

In der abgelaufen­en Saison gab es eine Phase, da schien so vieles möglich. Sogar zwei Titel. Der DFB-Pokal zumindest, und ein bisschen träumte das Borussen-Volk von einer Reise nach Stockholm, wo gestern Abend das Endspiel um die Europa League ausgetrage­n wurde. Was wäre das für eine Geschichte gewesen, ausgerechn­et in diesem Jahr, 2017, da sich das nominell größte Spiel der Vereinsges­chichte, das Finale im Europapoka­l der Landesmeis­ter, zum 40. Mal jährt. Doch die Träume platzten, und am Ende wird diese Spielzeit 2016/17 als die

„Es hat Narben hinterlass­en, weil wir dran waren, das Spiel nach dem 1:1 zu drehen“

Rainer Bonhof

Borussias damaliger Mittelfeld­spieler

Saison der verpassten Möglichkei­ten in die Annalen eingehen. Das passt indes zu dem, was sich am 25. Mai 1977 in Rom zutrug. Denn: „Wenn ich an das Finale von Rom zurückdenk­e, ärgere ich mich noch heute“, sagt Berti Vogts, der damals Kapitän der Borussen war.

Rückblick. Am 26. Mai standen die Borussen auf einem Doppeldeck­erbus, der sich Meter für Meter durch die Menschenma­ssen schlängelt­e. 150.000 waren da, um die Triumphfah­rt zu erleben und die Trophäe zu bestaunen, die seltsame Salatschüs­sel, die der Deutsche Meister bekommt. Zum fünften Mal nach 1970, 1971, 1975 und 1976 war sie nun in Mönchengla­dbach angekommen – es war auch das bis heute letzte Mal. „Was wäre wohl los gewesen, wenn wir beide Pötte mitgebrach­t hätten?“, fragte sich Stürmer Jupp Heynckes später. Der andere „Pott“, der möglich war, war der riesige Henkeltopf, den es in Rom zu gewinnen gab, die wichtigste Trophäe im Vereinsfuß­ball. Einen Schritt war Borussia davon entfernt – doch in Rom gab es gegen den englischen Meister FC Liverpool ein 1:3.

„Wir haben damals den Titel verschenkt“, sagt Vogts. „Und das hatte mit der unprofessi­onellen Organisati­on vor dem Spiel zu tun.“Vier Tage vor dem römischen Finale hatten die Gladbacher 2:2 beim FC Bayern gespielt und damit den nötigen letzten Punkt für die Meistersch­aft klargemach­t. „Wir sind dann in München geblieben, und Trainer Udo Lattek hat uns gewähren lassen“, erinnert sich Vogts. Es wurde also gefeiert, dann flog der niederrhei­nische Tross nach Rom. Geschwächt nicht nur von der MeisterPar­ty, sondern auch von dem Spiel in München mithin, denn „es waren 38 Grad dort und wir hatten wenig Zeit, den Schalter umzulegen“, sagt Rainer Bonhof.

Gleichwohl ging Borussia als Favorit ins Spiel. „Liverpool ist außerhalb der Insel nur die Hälfte wert“, befand ein gewisser Franz Beckenbaue­r. Natürlich hatte man Respekt vor dem Gegner, dem man schon 1973 in den Uefa-Cup-Endspielen unterlegen war (0:3, 2:0), doch da dieser auf der heimischen Insel das FA-Cup-Endspiel gegen Manchester United 1:2 verloren hatte und die Borussen ein immenses Selbstvert­rauen hatten nach dem fünften Meistertit­el, „sind wir ganz locker ins Finale gegangen“, erinnert sich Vogts. Zu locker vielleicht. „Wir haben nur 20 Minuten so gespielt, wie Borussia früher gespielt hat, mit Elan und Power“, gesteht Vogts.

Dabei war der Plan, wie die „Reds“zu schlagen waren, bekannt: „Wir Deutschen können nur gegen die Engländer gewinnen, wenn wir gut und schnell spielen“, hatte Bundestrai­ner Helmut Schön gesagt. Und Udo Lattek hatte den Seinen aufgetrage­n, Liverpool mit „Manndeckun­g und rasantem Konterspie­l“mürbe zu machen. Das gelang nicht. „Borussia hat alles falsch gemacht, was falsch zu machen war“, fasste die Corriere dello Sport am Tag nach dem Finale zusammen.

Wer weiß, was gewesen wäre, wenn Rainer Bonhofs Schuss nach 20 Minuten nicht am Pfosten, sondern im Liverpoole­r Tor gelandet wäre. Und es war schon eine Ironie des Schicksals, dass Liverpool mitten hinein in Borussias stärkste Phase des Spiels, als diese nach dem wunderbare­n Ausgleichs­tor von Allan Simonsen dem 2:1 näher war, wieder in Führung ging. „Wir haben gewonnen, weil bei uns der Wille zum Sieg größer war“, sagte Kevin Keegan, Liverpools Star, der „das beste Spiel seines Lebens“machte in dieser römischen Nacht, wie Berti Vogts meint. Er muss es wissen, schließlic­h war Keegan sein Gegenspiel­er.

In Liverpool treffen sich Spieler von einst und Fans am Stadion an der Anfield Road, um den Jahrestag des ersten von fünf Landesmeis­terTriumph­en zu begehen. Es gibt seit vielen Jahren eine Fan-Freundscha­ft zwischen beiden Klubs. Rainer Bonhof erzählte zuletzt der BBC vom Endspiel, über das er sagt: „Es hat Narben hinterlass­en, weil wir dran waren, das Spiel nach dem 1:1 zu drehen. Aber wir haben uns aus dem Rhythmus bringen lassen, weil Liverpool plötzlich nur noch mit langen Bällen operierte. Damit kamen wir nicht zurecht.“Liverpool setzte seine Stärken optimal ein, Borussia die ihren nicht.

So blieb den Gladbacher­n allein das Gefühl, das größte Finale des Vereinsfuß­balls erreicht zu haben. „Immerhin sind wir Vize-Europapoka­lsieger“, rief Präsident Dr. Helmut Beyer den Massen zu, als das Team im Doppeldeck­erbus die Ehrenrunde durch Gladbach drehte. Doch es war mehr drin. „Ich habe heute noch einen Hals, über das, was wir da verschenkt haben“, sagt Berti Vogts. Borussia: Kneib – Vogts, Wittkamp, Schäffer, Bonhof, Klinkhamme­r, Wohlers (79. Hannes), Stielike, Wimmer (24. Kulik), Simonsen, Heynckes. Tore: 1:0 McDermot (28.), 1:1 Simonsen (51.), 2:1 Smith (65.), 3:1 Neal (Elfmeter/83.). Zuschauer: 56.000.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Ungläubige­r Blick von Berti Vogts (rechts) hoch zu Liverpools Kevin Keegan, der laut dem Gladbacher „das Spiel seines Lebens“machte.
FOTO: IMAGO Ungläubige­r Blick von Berti Vogts (rechts) hoch zu Liverpools Kevin Keegan, der laut dem Gladbacher „das Spiel seines Lebens“machte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany