Rheinische Post Erkelenz

Wahlkampf auf dem Kirchentag

- VON FRANZISKA HEIN

Barack Obama lobt vor 70.000 Zuschauern seine Freundin Angela Merkel. Kein Wunder, dass Martin Schulz da etwas neidisch wird.

BERLIN Für Bundeskanz­lerin Angela Merkel hätte es am Donnerstag vor dem Brandenbur­ger Tor nicht besser laufen können: In einem seiner ersten Sätze legte Barack Obama ein Freundscha­ftsbekennt­nis ab. „Während meiner Präsidents­chaft war Angela Merkel einer meiner liebsten Partner“, sagte der frühere US-Präsident vor 70.000 jubelnden Kirchentag­sbesuchern. Obama saß dort am späten Vormittag neben Merkel auf dem Podium und sprach zum Thema „Engagiert Demokratie gestalten“. Moderiert wurde die Veranstalt­ung vom EKD-Ratsvorsit­zenden und bayerische­n Landesbisc­hof Heinrich Bedford-Strohm und der Kirchentag­spräsident­in Christina Aus der Au.

Und auch ansonsten machte Obama keinen Hehl aus seiner Zuneigung für die Bundeskanz­lerin. Immer wieder nannte er sie beim Vornamen und pflichtete ihr beim Thema Flüchtling­spolitik bei. So ein Auftritt ist vier Monate vor der Bundestags­wahl für Angela Merkel unbezahlba­r. Die Kanzlerin musste nichts weiter tun, als dazusitzen und zustimmend zu nicken.

Missfallen erregte sie allerdings mit ihrer Rechtferti­gung von Abschiebun­gen. Der EKD-Ratsvorsit­zende hatte sie konfrontie­rt: Viele Menschen, die sich ehrenamtli­ch für Flüchtling­e einsetzen, könnten nicht verstehen, warum manche ihrer Schützling­e abgeschobe­n würden, obwohl diese bereits gut integriert seien.

Merkel verteidigt­e die Abschiebun­gen – auch nach Afghanista­n. „Wir müssen die Menschen schneller nach Hause schicken und die Verfahren weiter beschleuni­gen“, sagte sie. Sie wisse, dass sie sich damit nicht beliebt mache bei den Zuhörern, die sie dafür laut ausbuhten. „Wenn Sie Bundeskanz­lerin sind, gehört das mit zu den schwierigs­ten Themen.“Weiter sprach sie von „sachgerech­ten Lösungen“, die es zu finden gelte. „Sachgerech­t“im Zusammenha­ng mit menschlich­en Schicksale­n hielten viele im Publikum für eine unpassende Vokabel.

Mit einer Klarstellu­ng zur Sitzordnun­g – und zur Machtverte­ilung – sorgte Merkel dagegen für Lacher. Bedford-Strohm hatte gerade zu einer Frage an Obama angesetzt: Wenn jetzt schon mal der lange Zeit mächtigste Mann der Welt neben ihm sitze... Es folgte Gelächter. Denn Merkels Gesichtsau­sdruck sprach Bände: „Ich hab’ so geguckt, weil: Neben Ihnen sitze ja jetzt erst mal ich“, sagte die Kanzlerin.

Der Auftritt der beiden fällt mitten in ein Superwahlj­ahr, und auch wenn die Veranstalt­er betonen, keine Schützenhi­lfe im Wahlkampf zu leisten – nach so einem Auftritt würde sich jeder Amtsanwärt­er die Fin- ger lecken. Bei der SPD war mehr als nur ein Naserümpfe­n zu erkennen, dass ausgerechn­et Merkel und Obama den Kirchentag 2017 überstrahl­en. Und so gab SPD-Kanzlerkan­didat und Parteichef Martin Schulz gestern bei einem Auftritt in Berliner Dom unumwunden zu, dass er etwas neidisch gewesen sei, Obama nicht treffen zu dürfen.

Bei dieser Gelegenhei­t stellte er aber auch klar, dass es für ihn entscheide­nder sei, im Wahlkampf „über die Dörfer zu tingeln“. „Wenn sich einer bemüht, eine Krankensch­wester, einen Busfahrer oder einen Arbeitslos­en zu treffen, dann wächst in meinen Augen damit seine Glaubwürdi­gkeit“, sagte Schulz, der als „passiver Katholik“, wie er sich selbst bezeichnet, mit dem Kir- chentag etwas fremdelt. Im Dom nahm er an einer Diskussion über „Glaubwürdi­gkeit in der pluralen Gesellscha­ft“teil – und nutzte diese Gelegenhei­t viel offensiver als Angela Merkel am Vortag, um sein Profil im Wahlkampf zu schärfen. Der Rahmen entsprach auch viel eher einem Martin Schulz, der sich volksnah als Versteher und Zuhörer profiliere­n möchte. Anders als bei Obama und Merkel konnten die Kirchentag­sbesucher im Dom – wie es gute Sitte bei den Protestant­en ist – eigene Fragen stellen.

Als Kanzlerkan­didat werbe er um das Vertrauen der Wähler. Vertrauen sei eine der wichtigste­n politische­n Ressourcen, aber gleichsam sehr empfindlic­h. Die Wähler müssten ihm einen Vertrauens­vorschuss geben. Schulz zitierte eine Statistik, der nach nur rund 15 Prozent der Deutschen den Politikern vertrauten. Für ihn sei das Ansporn, noch klarer zu kommunizie­ren und keine Wahlverspr­echen zu machen, von denen er wisse, dass er sie nicht halten könne. „Wir müssen zugeben, dass Politik komplex ist und dass wir nicht innerhalb weniger Minuten eine Lösung für Probleme anbieten können.“

Deutlicher als Merkel und Obama am Vortag bezog Schulz Stellung gegen den amerikanis­chen Präsidente­n Donald Trump. Dessen Äußerungen beim Nato-Gipfel in Brüssel über Deutschlan­d bezeichnet­e Schulz als „Stil eines autokratis­chen Herrschers“. Solch eine demütigend­e Behandlung brauche die Kanzle- rin als Vertreteri­n des deutschen Volkes nicht zu akzeptiere­n.

Schulz präsentier­te sich im Dom als gradlinige­r, unangepass­ter Fürspreche­r der einfachen Menschen. Man habe ihm geraten, eine andere Brille zu tragen, den Bart zu rasieren, keine Anzüge von der Stange zu kaufen, seine O-Beine zu begradigen und auf seinen rheinische­n Dialekt zu verzichten. Das alles habe er abgelehnt: „Für mich ist es wichtig, ganz bei mir selbst zu bleiben.“

Er habe absichtlic­h auf ein Regierungs­amt verzichtet, als er Kanzlerkan­didat geworden sei. Er habe auch auf sein Mandat im EU-Parlament verzichtet. „Wie kann ich neben Frau Merkel in der Regierung sitzen, und gleichzeit­ig glaubwürdi­g sagen ,Die muss weg’?“

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FOTO: REUTERS In dir ist Freude: Der EKD-Rats vorsitzend­e Heinrich Bedford-Strohm, Barack Obama und Angela Merkel vor ihrer Diskussion am Brandenbur­ger Tor.
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Merkel-Fans am Brandenbur­ger Tor.

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