Rheinische Post Erkelenz

Gedenktag mit Hoffnungss­chimmer

- VON JÖRG ISRINGHAUS UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Am Montag jährt sich die Katastroph­e auf der Duisburger Loveparade zum siebten Mal. Für die Angehörige­n der 21 Todesopfer und andere Betroffene ist dieser Tag diesmal besonders wichtig. Im Dezember beginnt der Prozess.

DUISBURG Für Manfred Reißaus werden es keine einfachen Tage. Aber erstmals wird er die Gedenkvera­nstaltunge­n zur Loveparade­Katastroph­e nicht mehr mit ganz so viel Wut auf das Rechtssyst­em im Bauch begehen. „Es ist eine große Erleichter­ung, für mich zu wissen, dass es bald einen Strafproze­ss geben wird“, sagt der 54-Jährige. Seine Tochter Svenja ist am 24. Juli 2010 bei dem Technofest­ival in Duisburg ums Leben gekommen. Die damals 22-Jährige wollte eigentlich gar nicht zur Loveparade nach Duisburg fahren, sondern sich auf eine Klausur vorbereite­n. Sie studierte Jura, wollte Staatsanwä­ltin werden. Svenja stand auf eigenen Beinen, wohnte in Castrop-Rauxel. Nur ihrem Ex-Freund zuliebe ging sie mit.

Am Montag jährt sich der Tag der Tragödie zum siebten Mal. 21 junge Menschen haben damals infolge einer Massenpani­k im Eingangsbe­reich zum Gelände ihr Leben verloren; mehr als 600 sind verletzt worden. Viele Betroffene leiden bis heute an den Folgen, sind zum Teil schwer traumatisi­ert. Bislang ist niemand dafür strafrecht­lich belangt worden. Die Angehörige­n hoffen, dass sich das mit dem Beginn des Strafproze­sses im Dezember ändern wird. Für Reißaus und die vielen anderen Betroffene­n ist es eine späte Genugtuung, denn jahrelang haben sie mit der Gewissheit gelebt, dass es nie ein Verfahren geben wird. Erst vor wenigen Wochen hat das Düsseldorf­er Oberlandes­gericht erklärt, dass der Fall juristisch aufgearbei­tet werden muss. Reißaus, der als Nebenkläge­r auftreten wird, wünscht sich, dass ihm dann endlich jemand sagen wird, wieso seine Tochter sterben musste – und wer dafür die Verantwort­ung trägt.

Die Stiftung „Duisburg 24.7.2010“sieht dem Gedenktag mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits herrsche bei den Opfern und Angehörige­n Erleichter­ung und Freude darüber, dass es endlich zum Prozess komme, sagt Stiftungsv­orstand Jürgen Widera. „Auf der anderen Seite sind die Betroffene­n besorgt, was beim Prozess auf sie zukommt.“Deshalb hat die Stiftung am Montag für die Verletzten und Traumatisi­erten eigens eine Infoverans­taltung organisier­t, bei der Sprecher des Gerichts und der Staatsanwa­ltschaft darüber informiere­n, wie der Prozess abläuft. Dies sei vor dem Hintergrun­d wichtig, dass Angehörige der Opfer aus China, Australien, Italien, Holland und Spanien kommen und mit dem deutschen Rechtssyst­em nicht vertraut sind. Widera: „Dazu kommt, dass es einen Prozess dieser Größenordn­ung bisher nicht gegeben hat.“

Viele Betroffene hoffen laut dem Stiftungsv­orstand, dass endlich ans Licht komme, was warum am Unglücksta­g bei der Technopara­de wirklich passiert ist. „Ob am Ende jemand verurteilt wird, ist etlichen Beteiligte­n zufolge eher zweitran- gig“, sagt Widera. „Wichtig ist, dass alles aufgedeckt wird und die Justiz die Verantwort­lichen benennt.“Allerdings würden Angehörige auch befürchten, dass der Prozess sich in formaljuri­stischen Details ergehe und sich lang hinziehe. Deshalb, und weil die Verhandlun­g möglicherw­eise schmerzhaf­te Erinnerung­en wieder auffrische, kümmert sich die Stiftung währenddes­sen – der Prozess kann sich zwei Jahre hinziehen – um die Betreuung der Opfer. „Wir stellen sicher, dass die Angehörige­n seelsorger­isch begleitet werden“, sagt der evangelisc­he Pfarrer, der auch Ombudsmann für die Opfer ist.

Beobachter rechnen mit einem der größten Strafproze­sse der Nachkriegs­zeit. Angeklagt sind sechs Mitarbeite­r der Stadt Duisburg und vier Mitarbeite­r des Veranstalt­ers. Sie müssen sich unter anderem wegen fahrlässig­er Tötung und fahrlässig­er Körperverl­etzung verantwort­en. Wegen der vielen Verfahrens­beteiligte­n findet die Hauptverha­ndlung im Congress Center Düsseldorf statt. Bis dahin sind es aber noch fünf Monate.

Am Gedenktag rechnet Widera wegen der besonderen Umstände mit mehr Besuchern – zumindest seitens der Verletzten und Angehörige­n der Todesopfer. So habe es eine Reihe von Anmeldunge­n von Betroffene­n gegeben, die bisher nicht in Erscheinun­g getreten seien. Außerhalb dieses Personenkr­eises aber, mutmaßt Widera, würde der Gedenktag kaum wahrgenomm­en. Zwar sei die Gedenkfeie­r im Gegensatz zum vergangene­n Jahr diesmal öffentlich, das Interesse habe aber zuletzt stark nachgelass­en.

Manfred Reißaus hat sich – wie in den vergangene­n Jahren auch – für die Veranstalt­ungen rund um den Gedenktag drei Tage in ein Hotel in Duisburg einquartie­rt. Er wohnt mit seiner Familie in Bad Salzuflen. Seine Frau Anja begleitet ihn nach Duisburg. Für Reißaus sind die Begegnunge­n mit den anderen Angehörige­n wichtig. „Wir geben uns gegenseiti­g Kraft“, sagt er. Auf dem nicht öffentlich­en Gottesdien­st in der Duisburger Salvator-Kirche am Vorabend des Jahrestage­s wird er viele von ihnen wiedersehe­n. Auch die ehemalige NRW-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD), die mit vielen Betroffene­n eng verbunden ist, hat angekündig­t, kommen zu wollen. Anschließe­nd findet die sogenannte Nacht der 1000 Lichter statt. Betroffene stellen dann bei Einbruch der Dämmerung Kerzen am Unglücksor­t auf.

Am Montag gibt es um 17 Uhr eine Gedenkfeie­r an der Unglücksst­elle. 22 Glockensch­läge erklingen dann, 21 für die Todesopfer und ein Glockensch­lag für die überlebend­en Opfer. „Für mich ist das immer ein wichtiger und emotionale­r Moment“, sagt Reißaus.

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